Unser ist das Meer – Kapitel 12

Der Wind war stürmisch und das rot-weiße Segel der Vegahögg blähte sich auf und zog die Taue stramm, die es fixierten. Sie waren jetzt seit drei Tagen unterwegs und viele der Herferder sahen müde aus. Die meisten waren noch nie, oder lange nicht auf Fahrt gewesen und das tägliche Rudern und die unsicheren Nächte an fremden Stränden, hatten sie erschöpft. Hinzu kam, dass die ganz jungen den Wellengang nicht gewohnt waren. Obwohl die meisten Thorwaler sich schon in der Wiege nach dem Rauschen des Meeres sehnten, kam es immer wieder vor, dass einige das stete Schaukeln des Drakkar nicht vertrugen. Ihre Seekrankheit hielt zwar nur einige Tage an, doch wie bei den Landratten, war es kein schönes unterfangen.

Eine junge Thorwalerin, Bryda, schwang ihren schwarzen Zopf über ihre Schulter und blickte mit blassem Gesicht gen Himmel. Sie kniete vor einem der Stinktöpfe, die Faenwulf hatte anfertigen lassen. Der andere Topf wurde fest verschlossen hinter der Vegahögg her gezogen. Der, in den Bryda nun zum zweiten Mal für den heutigen Tag, ihr Frühstück erbrochen hatte, würde dem anderen folgen. Die anderen Herferder rümpften über den Gestank bereits die Nase. Faenwulf grinste. Dieser Gestank würde noch schlimmer werden, doch die Stinktöpfe waren ein wichtiges und wirksames Mittel. Es würden noch faule Fischabfälle, Kohlreste und weitere Ausscheidungen folgen, die dann möglichst lang in den Tonkrügen gärten. Dann wurden die Stinktöpfe fest verschlossen und bis zu ihrer Verwendung hinter dem Schiff hergezogen. Die Tontöpfe wurden erst benutzt, wenn sie einem Schiff begegneten, das nicht einfach zu kapern war. In so einem Fall wurden die Stinktöpfe auf das gegnerische Schiff geschleudert, wo sie zerbrachen und der ekelerregende Inhalt sich über das Deck ergoss. Die meisten wurden von dem Gestank so übermannt, dass sie nicht anders konnten als ihren Mageninhalt von sich und jeglichen Widerstand aufzugeben. Eine sehr beliebte Taktik der Thorwaler, die schon zu den lustigsten Abenden am Feuer geführt hatte. Faenwulf hatte schon häufig gelacht bis ihm die Tränen die Wangen herunter liefen und er dachte sein Bauch müsste vor Lachen platzen, wenn Blotgrimm die Besatzung eines horasischen Schiffs imitierte, die sich nach seinen Worten „die Seelen aus dem Leib gekotzt“ hatten, noch während sie versuchten sich die Fischreste aus den Haaren zu pflücken. Eine Erinnerung, die ihn immer wieder mit Schadenfreude und Genugtuung erfüllte.

Sein Blick glitt herüber zu der Schiffskatze Zornbrecht und Thurbold dem Olporter. Beide waren sich seit dem Beginn der Herferd aus dem Weg gegangen und es war zu keiner Auseinandersetzung gekommen. Zornbrecht hatte Thurbolds freudige Annäherungen mit rüdem Fauchen abgewehrt und der gutmütige Hund hatte das akzeptiert und den grimmigen Kater nicht mehr belästigt. Abends hatte es sich Zornbrecht auf Karvas Lager gemütlich gemacht und Thurbold seinen üblichen Platz auf Blotgrimms Füßen eingenommen.

An Deck hatte sich Thurbold unter eine ölige Wolldecke verzogen, die Blotgrimm ihm extra hingelegt hatte. Die Wolle war rau und kratzig, doch das Öl in den Fasern hielt das zottige Fell des Olporters auch bei hohen Wellen und spritzender Gischt trocken. Zornbrecht hatte einen Annäherungsversuch gewagt und sich schließlich auch unter die Decke verzogen. Er ahnte wohl, dass ein Sturm aufzog. Faenwulfs Blick glitt gen Himmel und in der Ferne konnte man bereits die ersten dunklen Wolken aufziehen sehen. Doch da mussten sie durch. Die Wolken bewegten sich schnell und der Sturm hatte sie sicher eingeholt, bevor sie das sichere Festland erreichten. Einen Sturm wie diesen würden sie überstehen, doch es war anstrengend und immer eine Herausforderung für die Herferder. Um die Vegahögg machte Faenwulf sich die wenigsten Sorgen. Sein Schiff hatte schon schlimmerem Stand gehalten und war fast unbeschädigt weiter gesegelt.

Faenwulf blickte herüber zu Bryda, die den Stinktopf gewissenhaft verschloss und dann das schwere Gefäß über die Reling hievte und von Bord warf. Ihre muskulösen Arme zeugten von ihrer Arbeit im Steinbruch und sie war eine kluge und unbarmherzige Kämpferin, doch wahrlich keine Seefahrerin. Ständig plagte sie die Übelkeit und ihr kräftiges Rudern wurde immer wieder davon unterbrochen, dass sie sich über die Reling beugten musste, um die Fische zu füttern. Bryda war jedoch auch ein Dickkopf und so hatte sie sich entschieden erneut mit Faenwulf auf Fahrt zu gehen. Faenwulf wusste, dass sie dies nicht nur der Abenteuer wegen Tat, hatten sie doch auf der letzten Herferd häufig ein Lager geteilt. Karva wusste bisher nichts davon und Faenwulf entschied sich ihr nichts davon zu erzählen, auch wenn er sich allein bei dem Gedanken wie ein törichter Junge vorkam. Einen Grund hatte er nicht für diese Heimlichtuerei.

Um auf andere Gedanken zu kommen, schlenderte Faenwulf über das Deck. Durch den kräftigen Wind konnten sich die Herferder ausruhen und mussten nicht rudern. Faenwulf wollte ihnen noch etwas Ruhe gönnen, denn wenn der Sturm erst einmal über ihnen war, würden alle Rudern müssen und das so lange bis der Sturm nachließ. Blotgrimm und Karva unterhielten sich angeregt und beide lächelten Faenwulf an, als dieser zu ihnen stieß. „Es sieht nach Sturm aus“, bemerkte Karva in einem bestätigenden Ton. Sie wusste, dass Faenwulf die Wolken bereits bemerkt hatte. Ihr Blick glitt herüber zu ihrem mürrischen Kater, der von Thurbolds schwarzem Fell fast komplett verdeckt wurde. „Wir sollten den Kater im Auge behalten und wie er sich verhält“, murmelte Karva geistesabwesend mit finsterer Stimme. „Wir sind weit weg vom Festland und wer weiß was der Sturm mit sich bringt. IhreKinder…“ „Halt den Mund“, fuhr Faenwulf Karva an. Faenwulfs Gesicht verfinsterte sich. Seine Hand griff ruckartig zu dem Swafniranhänger und er spuckte auf den Boden. Blotgrimm ergriff den eisernen Knauf seiner Axt. „Gerade du solltest wissen, dass es Unglück bringt an Bord eines Schiffes überhaupt an so etwas zu denken.“ Karva senkte schuldbewusst den Blick und flüsterte eine Entschuldigung. „Ich weiß nicht was in mich gefahren ist.“ Die Wut verflog, doch die Bilder waren nun in Faenwulfs Kopf und machten sein Herz schwer, füllten es mit kriechender Angst. Ein mit grünen Schuppen bedeckter, langer Körper, der sich schnell und lautlos durch das Wasser bewegt. Ein Dornenkamm, der die Wellen teilt und gelbe Augen, die einem direkt in die Seele blicken und nur das Schlechte sehen. Sieben Reihen Zähne, lang wie Dolche und ein kaltes, schwarzes Herz. Ein mächtiger Kopf erhebt sich aus den Wellen in denen Trümmer und Leichen treiben und die gelben Augen blicken ihn an. Faenwulf zuckte zusammen, als Karva ihre kalte Hand in seinen Nacken legte und einige Worte in sein Ohr flüsterte, die er nicht verstand. Doch die Gedanken, die Vision, von dem grässlichen Wesen, von einem ihrer Kinder, wich den Gedanken an den gütigen Gottwal Swafnir. Faenwulfs Blick glitt über das stürmische Meer, doch nirgendwo sah er ein Zeichen. Und doch schien es ihm als könnte die riesige weiße Flosse jeden Moment vor ihnen aus dem Wasser steigen. Seine finstere Stimmung verflog langsam. War dieser Ausbruch von Karva, der so untypisch für sie war, etwas das ihr Vater ihr vermacht hatte? Kein Thorwaler bei vernünftigem Verstand, würde an Bord eines Drakkar auch nur an eine Seeschlange denken. Hranngars Gezücht brachte stets Unglück und Tod mit sich und nur daran zu denken, war ein Frevel.

Als Faenwulf wieder sein Schiff betrachtete, bemerkte er, dass alle ihn unsicher betrachteten. Sie hatten seinen Ausbruch Karva gegenüber bemerkt und ebenso Blotgrimms und seine Geste, um Böses fern zu halten. Er zwang sich, seine Mannschaft ermutigend anzulächeln und die meisten entspannten sich wieder.

Karva blickte ihn noch immer schuldbewusst, aber auch besorgt an und ergriff seine Hand, so als bräuchte sie Trost. „Etwas ist mit meinem Vater“, flüsterte sie und blickte besorgt Richtung Sturm.

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