Unser ist das Meer – Kapitel 11

Mit einem lauten Seufzen ließ Faenwulf sich auf die Bank im Gasthaus fallen. Er war den ganzen Tag unterwegs gewesen, doch jetzt war alles fertig. Er würde nun nur noch etwas essen, einige Ahl trinken und dann müde ins Bett fallen. Und morgen früh würde es los gehen. Er hatte der Wirtin den Auftrag gegeben ihn bei Sonnenaufgang zu wecken, damit sie früh genug los konnten. Die Ungeduld schien ihn zu zerreißen. Er fühlte sich wie ein Börn vor dem Swafnirstag, an dem alle Thorwaler ihren Gott feierten und nicht zu wenig auch sich selbst. Der Swafnirtag war bekannt dafür, dass nach jeder zweiten Strophe ein Horn auf Swafnir geleert wurde und jeder sang und fröhlich war.

Faenwulf fragte sich, ob er heute Nacht würde schlafen können.

Karva stellte ihm einen Krug kaltes Ahl hin und drückte ermutigend seine Hand, den Kater Zornbrecht stets an ihrer Seite. „Bald geht es los“, sagte sie lächelnd. „Schon diese Fahrt zu organisieren war eine große Herausforderung, die du grandios gemeistert hast.“ Faenwulf lächelte sie ebenfalls an und nahm einen großen Schluck von dem Ahl. Blotgrimm kam mit einigen der Herferder herein und sein Lachen dröhnte durch den Raum. Wie immer verbreitete er gute Laune und Faenwulf war froh, dass er dabei sein würde. Auch die jüngeren Thorwaler waren dabei und sahen sichtlich aufgeregt aus. Khemri und Hjasgar teilten sich ein Horn Met und unterhielten sich angeregt. Beide blickten auf, als die beiden Lehrlinge herein kamen, die Faenwulf heute Morgen bei Runolf Holzauge kennengelernt hatte. Khemri stand auf und umarmte Wulfgrimm herzlich. Faenwulf blickte Blotgrimm fragend an. „Die beiden kennen sich aus Waskir“, erklärte der Hüne. „Der alte Bastard war vor einem Winter oben und hat nach Holz für einen Drakkar gesucht. Hat überall schlechte Stimmung verbreitet und jeder in Waskir hat die armen Kerle bemitleidet, die bei ihm zum Skipsmider ausgebildet wurden. Und die Jungspunde haben natürlich zusammen gefunden und gemeinsam getrunken. Daher kennen sie sich.“ Faenwulf nickte, wobei er sich ein schmunzeln nicht verkneifen konnte. Die alte Tratschtante Blotgrimm wusste mal wieder über alle Bescheid.

Faenwulf stand auf und holte sich eine riesige Schüssel voll mit heißem Eintopf, der schon den ganzen Tag über dem Feuer gehangen hatte. Er war köstlich und Faenwulf holte sich noch einmal einen Nachschlag, diesmal mit einem großen Stück Sauerbrot, das in dem Eintopf einweichte. Es schien fast, als wollte ihm seine Aufregung die Kehle zuschnüren, denn jeder Schluck schien schwerer zu sein und das Kribbeln der Aufregung ließ seinen Magen grummeln.

Nach dieser reichhaltigen Mahlzeit kam die Müdigkeit schnell und Faenwulf verabschiedete sich, um schlafen zu gehen. Im Langhaus nebenan war der Lärm gedämpft und in seine warme Wolldecke gehüllt, fiel er bald in tiefen Schlaf.

Faenwulf erwachte einige Male, wenn trunkene Thorwaler das Langhaus betraten, um schlafen zu gehen und Karva schlug ihr Lager nahe neben Faenwulf auf. Die gedämpften Geräusche aus der Taverne wirkten beruhigend und im Halbschlaf begann Faenwulf über den Ablauf der Fahrt nachzudenken. Ein Högg war gut. Nostrische Fischerdörfer an der Küste waren ein leichtes Ziel und auch diesmal würden sich diese als erste Probe anbieten. Es gab meistens nicht viel zu holen, doch die Gefahr der Gegenwehr war gering und manche hatten doch das eine oder andere Schmuckstück, das gerne den Besitzer wechseln wollte und sich gut verkaufen ließ. Ein zufriedenes Lächeln breitete sich auf Faenwulfs Gesicht aus, als er in den Schlaf hinüber glitt.

Eine kräftige Hand schüttelte ihn und Faenwulf drehte sich leicht murrend um. Diesmal trat ihn jemand leicht in die Seite und mit einigen Flüchen setzte er sich auf. Die Wirtin stand neben ihm und er sah, dass noch kein Licht durch die Fenster herein drang. „Der Hahn hat bereits mehrmals gekräht“, murrte die Wirtin. „Du hast mich bezahlt, um dich zu wecken, also tu ich das auch.“ Sie hielt demonstrativ die Münze hoch, die Faenwulf ihr gestern gegeben hatte und verließ leise murrend das Langhaus. Faenwulf erhob sich und streckte sich ausgiebig. Der harte Boden war nicht gut für seine nicht mehr jungen Knochen. Die Kälte kroch einem fiel zu tief in die Glieder. Er ging von Lager zu Lager und weckte die müden Herferder, von denen einige sicher erst seit einer Jurgaliedlänge geschlafen hatten. Die jungen waren schnell auf den Beinen und begannen ihr Schlaflager schon zusammenzupacken, während sich die anderen noch den Schlaf aus den Augen rieben. Faenwulf hörte Regen auf das Dach plätschern und er fluchte innerlich. Niemand ruderte gerne bei Regen und direkt am ersten Tag war Regen reichlich demotivierend. Vor allem die Jungspunde würden enttäuscht reagieren, wenn sie erst mal bis auf die Haut durchnässt auf ihrer Ruderbank gegen den Sturm rudern mussten.

Faenwulf trat aus dem Langhaus und machte sich auf den Weg zum Hafen. Die Händler würden bald da sein, um ihre Waren zur Vegahögg zu bringen. Anders als erwartet herrschte im Hafen schon reges Treiben. Die Skipsmider arbeiteten bereits an den Planken und die Händler luden gekaufte Waren von den ankommenden Schiffen. Die Skjalde waren bereits an Deck der Vegahögg gebracht worden und lehnten an den bereitgestellten Ruderkisten, in denen die Herferder ihre Besitztümer würden verstauen können.

Faenwulf betrat mit Stolz im Herzen sein prächtiges Schiff. Sein Platz war bereits durch seine reich verzierte Ruderkiste markiert und er deponierte sein Gepäck darin. Sanft packte er den Griff des Ruders, das er auf dieser Herferd so oft schlagen würde. Er war glücklich und anders als gestern Abend, sehr ruhig. Mit geschlossenen Augen horchte er auf das Rauschen des Meeres, doch er hörte nichts außer Wellen. Ingibjörg hätte vielleicht heraushören können, ob sie unter einem guten Stern fahren würden, ob die Wellen etwas flüsterten, doch so würden sie ins Ungewisse fahren müssen.

Es dauerte eine Jurgaliedlänge bis alle Herferder an Bord und sämtliche Vorräte und Eigentum an Deck verstaut waren. Der Regen war mittlerweile stärker geworden und alle nass bis auf die Haut. Faenwulf trug seinen blauen Klappenmantel, der ihn teilweise vor dem Regen schützte und eine lederne Mütze, die den Regen wenigstens von seinem Kopf fern hielt. Seinen langen Zopf hatte er unter seinem Mantel verborgen, damit sein Haar trocken blieb.

Trotz des Regens arbeiteten die Skipsmider eifrig an den Schiffen und als er den Lehrling Wulfgrimm auf die Vegahögg zulaufen sah, runzelte er fragend die Stirn. „Hallo Wulfgrimm“, begrüßte er den jüngeren freundlich, aber zurückhaltend. „Wieso bist du nochmal hierher gekommen? Wir werden bald ablegen.“ Wulfgrimm schien ausreichend nervös zu sein und wollte zuerst nicht mit seinem Anliegen herausrücken. „Ich will mit“, platzte er dann jedoch heraus. „Ich will mit euch auf Fahrt gehen.“ Faenwulf dachte lange nach. Er hatte sich gestern noch mit Blotgrimm über die jungen Lehrlinge unterhalten und Blotgrimm, Tratschtante die er war, wusste viel über die jungen Thorwaler zu erzählen. Wulfgrimms Mutter war eine berühmte Skaldin gewesen, wunderschön mit dunklem Haar und lebhaften, blauen Augen, angesehen für ihr Wissen, aber auch für ihre klare Stimme und ihr Geschick mit der Harfe. Doch auch in ihr loderte der Drang nach Abenteuer und sie war von einer Expedition, die nach Swafnirs Eiland suchte, nicht wieder zurück gekehrt. Sein Vater war ein Raufbold gewesen, ein guter Skipsmider, doch mit kochendem Blut. Der Wal tobte oft in ihm und regelmäßig hatte er Schlägereien in der Taverne angezettelt, bis sein Gesicht zerfurcht und zerschlagen war und alle ihn nur noch Trollwulf nannten, jedoch nie wenn er in Hörweite war. Er war an einer Wunde gestorben, die er sich zugezogen hatte, als er den Kopf eines stolzen Drakkars geschnitzt hatte. Lange hatte er gegen die Entzündung und sein vergiftetes Blut gekämpft, seinen faulenden Unterarm hatten die Heilari entfernt um ihn zu retten und doch war er schließlich zu Swafnir gegangen. Von da an war Wulfgrimm von seiner Sippe groß gezogen worden und war, dem Vorbild seines Vaters folgend, bei Runolf Holzauge in die Lehre gegangen. Wie sein Vater war Wulfgrimm wild und ungestüm im Kampf und auch er begann gerne mal eine Schlägerei. Aber war er auch treu? „Ist dein Platz nicht hier?“, fragte Faenwulf und musterte den jungen Skipsmider erneut skeptisch. „Du hast deine Ausbildung noch nicht beendet.“ Wulfgrimm blickte ihn zornig mit seinen blauen, fast schön wölfischen Augen an. „Ich hasse es hier“, sagte er verbittert. „Dieser miese Bastard behandelt mich wie einen Hund. Ich werde von hier verschwinden, auch ohne Herferd.“ Faenwulf nickte und dachte erneut nach. „Dann komm“, antwortete er schließlich und drückte die Schulter des jungen Mannes. „Ein Rekker mehr kann nur von Vorteil sein.“ Wulfgrimm strahlte ihn glücklich an, griff nach seinem Seesack und zog den Riemen fest mit dem er seinen Skjald auf seinen Rücken geschnallt hatte. Grinsend lief er zu Khemri herüber, der sich seine mit Fell besetzte Ledermütze zum Schutz vor dem Regen tief ins Gesicht gezogen hatte. Als Khemri Wulfgrimm erblickte, hellte sich sein Gesicht auf und er schlug dem anderen freundschaftlich gegen die Schulter. Wulfgrimm strahlte zurück und schüttelte sich den Regen aus dem Haar. „Hast du noch eine Mütze für deinen alten Freund Wulfgrimm?“, fragte dieser gut gelaunt und deutete auf den noch immer stärker werdenden Regen. Khemri nickte lachend und zog eine zerfledderte Gugel aus seinem Gürtel. Dann betraten sie aufgeregt redend die Vegahögg.

Es war so weit. Einige bezahlte Arbeiter zogen den Drakkar vom Strand und die Herferder begannen zu rudern. Die Fahrt begann.

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