Unser ist das Meer – Kapitel 14

Sie saßen nun am Strand, erschöpft, durchnässt und schweigsam. Der Sturm war so stark gewesen, wie Faenwulf es erwartet hatte und er hatte sie so schnell erreicht, dass eine Rückkehr zum Ufer hoffnungslos gewesen war.

Alle an Bord der Vegahögg hatten das plötzliche Ansteigen des Windes bemerkt, während sich der Drakkar schnell auf die schwarze Wolkenwand zubewegte. Die ersten Blitze waren in der Ferne zu hören und ein Donnergrollen, das ihnen eine Gänsehaut über die Körper jagte. Karva, die jahrelang von ihrem Vater ausgebildet worden war, betrachtete die Wolkenformationen mit besorgtem Blick. Was auch immer sie darin sah, Faenwulf selbst erkannt nur, dass es einer der stärksten Stürme war, den er je erleben würde und es war nicht von Vorteil, dass sie auf See waren.

Dann war der Regen plötzlich über ihnen und der Drakkar schien sich zornig aufzubäumen. Hastig brüllte Faenwulf Befehle gegen das Dröhnen des Windes an. Alles an Bord musste festgezurrt werden, sonst war es für immer verloren. So wurden die Ruder eingezogen und alle beschäftigten sich hektisch damit, ihr Hab und Gut in den Ruderkisten zu verstauen und diese am Boden des Drakkar zu fixieren. Faenwulf selbst nutzte seinen Klappenmantel, um alles Zerbrechliche in seiner Kiste zu polstern und legte sich dann seinen ledernen Mantel, zum Schutz vor dem Regen, um. Gemeinsam holten sie das Segel ein, schnürten den völlig durchnässten Wadmal zusammen, damit der Wind ihn nicht zerriss und legten dann den Mast um.

Das Meer wurde immer wilder und die Thorwaler eilten nun zu ihren Rudern und begannen jetzt gegen die ersten hohen Wellen anzukämpfen. Sie mussten verhindern, dass sie aufs offene Meer hinaus getragen wurden und durften die Kontrolle über das Schiff nicht verlieren. Faenwulf selbst saß an seinem Ruder und es schien als würde er gegen die Wellen ringen. Mit ganzer Kraft umklammerte er das Holz und stieß es immer wieder in die Wellen. Nach wenigen Strophen waren alle nass bis auf die Haut, doch niemand schien dies wirklich wahrzunehmen. Vor allem die Jungen konzentrierten sich alleine aufs Rudern und die, denen die Fahrt bisher eher auf den Magen geschlagen war, hatten ihre Übelkeit vergessen. Ein Blitz schlug direkt neben ihnen in die Wellen ein und Faenwulf hörte ein nervöses „Bei Swafnir“ hinter sich. Ein Seil peitschte über das Deck und Thurbold winselte leise vor sich hin. Der große Olporter hatte sich an den Füßen seines Herrn zusammengekauert und schien Todesängste auszustehen. Die Augen des Katers Zornbrecht blitzten unter der Decke hervor und schienen Faenwulf anzustarren. Tu dein Bestes, dachte Faenwulf. Wenn du Magie in dir hast, hilf uns jetzt. Der Kater würde bei so einem Sturm alles tun, damit das Schiff nicht sank.

Eine Welle brach an der Seite des Drakkar und tränkte sie alle im salzigen Wasser Efferds, das so kalt war, dass Faenwulf sofort zu zittern begann. Er blickte herüber zu Karva, die neben ihm ruderte und sah, dass ihre Lippen bereits blau waren, doch ihre Augen versprühten ein Feuer, das ihn weiter rudern ließ. Es schien, als wäre das Meer ein lebendiges Wesen, das mit ihnen spielte, sie herum warf und ins Schwanken brachte. Eine weitere große Welle riss Bryda von ihrer Ruderkiste und drohte sie von Bord zu spülen. Wie eine leblose Puppe riss das Wasser sie von ihren Füßen und mit sich in Richtung Reling. Blotgrimm packte sie im letzten Augenblick am Arm und riss sie zurück aufs Schiff. Am nächsten Tag würde Bryda ihren Arm kaum heben können, doch trotzdem blickte sie Blotgrimm mit tiefster Dankbarkeit an. Ohne zu zögern sprang sie auf und setzte sich wieder auf ihre Kiste, ergriff ihr Ruder und begann im Rhythmus der anderen zu rudern. Faenwulf konnte den Schmerz ihres verdrehten Arms in ihrem Gesicht sehen, doch sie gab keinen Laut von sich und machte weiter.

Trotz der Kälte ruderten sie weiter und Faenwulf, der schon seit Jahren ruderte und ein kräftiger Thorwaler war, begann zu spüren wie ihm langsam aber sicher die Kräfte schwanden. Sie ruderten gegen das Meer an und dieses war letztendlich immer stärker. Die Wellen spielten mit ihnen, warfen sie herum, bis eine Welle sie schließlich mit sich trug, weit nach oben, bis sie dann in sich zusammenfiel. Einige an Bord fielen von ihren Ruderkisten und klammerten sich zitternd an ihren Rudern fest. Ängstlich murmelten einige vor sich hin und Faenwulf wusste, dass sie für sich beteten. Das Holz des Drakkars ächzte und krachte und es schien, als wollte das Meer ihn zerreißen, doch Faenwulf vertraute in sein Schiff. Da mussten schon ganz anderen Mächte kommen um sein Drachenschiff zu versenken. Seine Mannschaft hatte jedoch nicht so viel Glaube in das Schiff. Noch während Faenwulf nach den richtigen Worten suchte, um seine Leute zu beruhigen, erhob Karva ihre Stimme. „Swafnir“, rief sie. „Alte Flosse, großer Bruder, wie du siehst sind wir in Not. Zu mächtig ist das Meer, zu zornig der Sturm. Zu sehr hat dein immerwährender Kampf gegen die verderbte Hranngar die Gezeiten aufgewühlt. Hilft uns, gib uns Mut und gib uns Kraft, dass wir an deiner Seite streiten können und nicht in den Tiefen der See versinken müssen.“

Faenwulf glaubte, dass das laut ausgesprochene Flehen vielen Mut gab, denn die stillen Gebete verstummten und die Thorwaler ruderten weiter, mit neuer Entschlossenheit im Blick.

Das Wasser des Regens lief Faenwulf in die Augen und der eiskalte Wind schnitt in seine Wangen wie kleine Klingen, doch das Meer schien ruhiger zu werden. Der Drakkar, der sich vorher wie ein ungezähmtes Pferd aufgebäumt hatte, schien nur noch zu bocken und der Regen wurde schwächer. Sein wildes Toben nahm langsam ab und der Sturm wurde zu einem starken Wind. Sie mussten noch ein bisschen durchhalten und konnten dann im besten Fall ans Ufer segeln und sich ausruhen. In der Ferne waren schon die ersten Sonnenstrahlen zu sehen und das Rudern fiel zusehends leichter. Eilif Falkenauge schritt zu Faenwulf und erklärte ihm, wohin sie nun fahren würden. In der Ferne war Rauch zu sehen, der laut Eilif zu einem Fischerdorf an der Küste Nostrias gehörte. Nach kurzer Besprechung entschied Faenwulf, dass sie ein kleines Lager am Strand aufschlagen würden. Dem Stand der Sonne nach, die vereinzelt durch die Wolken brach, war es später Nachmittag und seine Männer und Frauen brauchten Ruhe. So umfuhren sie das Dorf großzügig und steuerten den Drakkar dann an den Strand.

Nun saßen sie um ein Feuer und ruhten sich aus. Karva versorgte die Hände der Jungen, die vom Rudern wund und blutig waren, während Blotgrimm den Eintopf behütete, der über dem Feuer hing. Die Hälfte der Mannschaft schlief schon, obwohl die Sonne erst den Horizont berührte und einer der Männer massierte Bryda den steifen Arm. Die junge Thorwalerin hatte starke Schmerzen, da Blotgrimm ihren Arm so stark verdreht hatte, doch sie biss die Zähne zusammen. Faenwulf legte sich unter das aufgespannte Segel und betrachtete seinen Drakkar, der Stolz am Strand lag. Sie hatten den Sturm bezwungen, doch dieses ungute Gefühl, dass seine Fahrt unter keinem guten Stern stand, wollte einfach nicht vergehen. Er rollte seinen Mantel zu einem Kissen zusammen und deckte sich mit einer Wolldecke zu. Auch er war erschöpft und seine Gelenke schmerzten, doch es schien ihm besser zu gehen, als manchen der Jungen, deren erste Fahrt eine Herausforderung war. Faenwulfs Körper kannte die Strapazen einer Reise auf See und er war daran gewöhnt. Seine Hände waren rau, seine Haut vom Wind und Salz des Meeres gegerbt und seine Augen scharf. Er spürte zwar das Alter in seinen Knochen, doch gegen das Meer und seine Tücken war er abgehärtet. Mit knackenden Gelenken streckte er sich und schloss die Augen. Das Rauschen des Meeres war beruhigend und der Schlaf kam schnell. Blotgrimm weckte ihn kurz, um ihm eine Schüssel Eintopf mit eingelegtem Trockenfleisch zu reichen, die Faenwulf herunter schlang wie ein hungriger Wolf. Bryda erklärte sich bereit die erste Wache zu übernehmen, da sie wegen ihrem Arm sowieso nicht würde schlafen können und Thurbold leistete ihr Gesellschaft. Faenwulf bereitete sie alle darauf vor, dass sie bei Sonnenaufgang wieder aufbrechen würden und dass alle wachsam sein sollten. Dann legte er sich ebenfalls schlafen.

Er träumte von einem Ottaskin, das er nicht kannte, ihm jedoch sehr vertraut vorkam. Von einer Palisade umgeben schien es behütet und idyllisch dort, mit einem kleinen Strom, der ruhig neben den Langhäusern daher plätscherte. Doch je länger Faenwulf sich dort aufhielt, desto mehr Wasser schien der Bach zu fassen. Er begann über die Ufer zu treten und drohte die Langhäuser zu überschwemmen, als ein Drakkar mit der Strömung zu ihm gespült wurde. Die Mannschaft zog Faenwulf an Bord und je weiter er sich von dem Ottaskin entfernte, desto weiter gingen die Fluten zurück.

Faenwulf erwachte ausgeruht aus dem Traum und nahm sich vor mit Karva darüber zu reden. Er blickte sich um. Alle bis auf den Wachposten schienen zu schlafen, doch in der Ferne konnte man das erste Orange am Himmel sehen. Bald war es Zeit. So erhob Faenwulf sich, streckte seine tauben Glieder und begann seine Sachen zusammenzupacken. Nach und nach erwachten die anderen und nur wenige mussten geweckt werden. Die lange Nacht hatte allen gut getan. Nach einem kurzen Frühstück erläuterte Faenwulf seiner Mannschaft seinen Plan.

Das Fischerdorf würde Ziel ihres ersten Angriffs sein. Es war klein genug, um keine große Bedrohung darzustellen, war aber aber groß genug, um erste Beute einzubringen. Gemeinsam schoben sie den Drakkar wieder ins Meer. Nach anfänglichem Rudern, ergriff sie der Wind und sie ruderten in Richtung ihres Ziels.

In der Ferne sahen sie Rauch aufsteigen und Faenwulf blickte seine Mannschaft auffordernd an. Der Drakkar hatte eine gute Geschwindigkeit, so dass alle sich um ihre Ausrüstung kümmern konnten. Faenwulf schnürte seinen Schneidzahn an seinen Gürtel und wickelte seinen gehörten Helm aus einem geölten Leinentuch. Es war ein gutes Gefühl seinen alten Helm wieder zu tragen und nach all den Jahren hatte Faenwulf sich an die durch die Brille eingeschränkte Sicht gewöhnt. Er betrachtete die anderen wie sie ihre Helme aufsetzten, ihre Krötenhäute anlegten und ihre Waffen bereit machten. Die Jungspunde schienen vor Aufregung zu zittern, als der Drakkar sich immer weiter dem Strand näherte. Faenwulf konnte nun die ersten Gestalten erkennen, die bereits ihm Dorf ihrer Geschäfte nachgingen. Die Sonne ging gerade erst auf und viele würden noch schlafen wenn die Meute ankam.

Kapitel 13 | Kapitel 15