Unser ist das Meer – Kapitel 20

Als Faenwulf am nächsten Morgen erwachte, fühlte er sich nicht wirklich ausgeruht, doch zufrieden. Er und Bryda waren erst spät dazu gekommen zu schlafen. Bryda war immer noch bei ihm und schlief friedlich an seiner Schulter. Faenwulf betrachtete sie. Ihr dunkles Haar, das auf ihrem Kissen ausgebreitet war, ihre helle Haut und die vielen kleinen Verletzungen, die sie in den letzten Wochen davongetragen hatte. Faenwulf fühlte das Verlangen in sich, als er die junge Thorwalerin so nackt neben sich schlafen sah, doch dafür war jetzt keine Zeit. Es war bereits taghell draußen und er wollte wirklich nicht als letzter an der Vegahögg ankommen.

Ohne Bryda zu wecken stand Faenwulf auf und wusch sich an einer Schale mit Wasser. Natürlich würde das Wasser außerhalb der Heimat ihn nicht säubern, doch er wollte nicht nach Bier und Lust stinkend an seinem Schiff ankommen. Mit geübten Handgriffen flocht er sein langes Haar zu einem Zopf und begann sich anzuziehen. Bryda erwachte langsam, machte aber keine Anstalten aufzustehen. Mit einem zufriedenen Grinsen beobachtete sie Faenwulf dabei wie er sich anzog.

„Anstatt zu starren solltest du dich auch anziehen“, bemerkte Faenwulf schmunzelnd, während er die Schnallen seiner Krötenhaut schloss. Bryda schüttelte lachend den Kopf. „Ich brauche mehr als nur eine Katzenwäsche“, lachte sie. „Ihr werdet ja nicht ohne mich fort segeln.“ Nachdem er sie noch ein letztes Mal betrachtet hatte, verließ Faenwulf den Raum. Die Taverne war nun bis auf ein paar schlafende Trunkenbolde leer und der Wirt hatte mit dem Aufräumen begonnen. Die Stadt ging bereits ihren alltäglichen Geschäften nach und Faenwulf besorgte sich etwas frisch gebackenes Brot und Obst, um es auf der Vegahögg zu essen.

Einige aus der Mannschaft warteten bereits beim Drakkar, manche ganz schön übernächtigt. Doch wer feiern konnte, konnte auch rudern, oder nicht? Nachdem er die Münzen in seiner Ruderkiste verstaut hatte, schlenderte Faenwulf zum stolzen Drachenkopf der Vegahögg, um sein Frühstück zu sich zu nehmen. Matatoa, der anscheinend den Katzenjammer seines Lebens hatte, blickte ihn schmerzerfüllt an, als er die Vegahögg betrat. „Blotgrimm ist ein guter Mann“, bemerkte er nur. „Jeder mag ihn.“ Faenwulf nickte nur. Solange man am richtigen Ende der Axt stand, war Blotgrimm der beste Freund den man haben konnte. Wollte er einem den Schädel zu Brei schlagen, suchte man besser das Weite.

„Aeniko“, sagte Matatoa dann und Faenwulf wusste nicht was das bedeuten sollte. „Aeniko ist die Insel“, fuhr Matatoa fort. „Dort sind die Münzen.“ Faenwulf deutete Eilif zu ihnen herüber zu kommen. Dieser schien heute noch mürrischer als sonst, doch er kam und lauschte Matatoas Erzählungen. „Ich weiß wo das ist“, grummelte er. „Gefährliche Gegend. Es wimmelt von Piraten. Die Inseln sind von Malströmen umgeben und dann sind da natürlich noch die Schlangenanbeter.“ Faenwulf verzog das Gesicht. War es das wert? Die Mannschaft und sein Schiff zu riskieren, für einen Schatz den es eventuell gar nicht gab? Er schaute herüber zu Matatoa, der ihn mit ehrlichen, freundlichen Augen anblickte.

„Über Feiglinge werden keine Lieder gesungen“, sagte Faenwulf dann entschieden und rief die Mannschaft aufs Schiff. Alle lauschten gespannt seinem Plan. Sie würden also zur Insel Aeniko segeln, eine der äußersten Inseln im Perlenmeer und auf Schatzsuche gehen. Die erfahreneren Seefahrer blickten ungläubig drein, während die Jungen es kaum erwarten konnten. Sie waren nun vollzählig und jeder bemannte nun sein Ruder. Karva, deren Ruderkiste neben Faenwulfs lag, betrachtete ihn nachdenklich. „Du triffst Entscheidungen nicht mehr so zögerlich. Das ist gut.“ Faenwulf nickte nur. Es war nicht so einfach Entscheidungen für so viele zu treffen, doch als Kapitän musste er es nun mal tun. Heute Abend würde er einen Teil der Münzen aufteilen, die er für das Plündergut erhalten hatte. Die meisten hatten in der letzten Nacht viel Geld bei den Wirten und Huren Brabaks gelassen.

Nachdem sie den Hafen verlassen hatten, zog ein guter Wind auf und die Ruder konnten eingezogen werden. Das rot-weiß gestreifte Segel blähte sich im Winde und trug den Drakkar schnell über die Wellen.

Es wurde nicht viel gesprochen. Karva hing ihren Gedanken nach, Blotgrimm trauerte den beiden hübschen Schankmaiden nach, die er in Brabak hatte zurück lassen müssen und der Rest schien sich noch von der gestrigen Nacht zu erholen.

Faenwulf blickte auf, als sich zwei der Männer vor ihm aufbauten. Arngrimm und Tjalf waren in Waskir von Blotgrimm eingesammelt worden. Sie waren erfahrene Seefahrer, was man ihnen sofort ansah. Sie hatten ungefähr Faenwulfs Alter und schienen alles andere als zufrieden mit der Situation zu sein. „Wir können nicht so weit segeln“, begann Arngrimm ohne lange Erklärungen. „Dieser Plan ist zum Scheitern verurteilt. Entweder töten uns die Piraten oder das Schiff wird von der Tiefe verschlungen.“ Einige nickten zustimmend. „Wieso segeln wir nicht weiter an der Küste und höggen?“ Faenwulf verzog das Gesicht und erhob sich. Er war einen halben Kopf größer als Arngrimm und wesentlich kräftiger. „Wer hätte gedacht, dass du so ein Teigherz bist?“, spottete Faenwulf. „Vielleicht wäre Fiskimader das passendere für dich gewesen.“Arngrimm blickte ihn zornig an und schlug Faenwulf dann mit der Faust ins Gesicht. Sofort brach Chaos an Bord aus. Faenwulf schlug ebenfalls zu und holte Arngrimm mit einem kräftigen Haken von den Füßen. Noch bevor Tjalf seinem Freund zur Hilfe eilen konnte, hatte Blotgrimm ihn gepackt und jeglichen Widerstand mit zwei gezielten Schlägen in die Magengrube ausgemerzt. Zwei weitere Herferder sprangen auf und griffen Blotgrimm an, dem wiederum Bryda und Eilif zur Hilfe eilten. Faenwulf versetzte Arngrimm einen beherzten Tritt in die Magengegend und teilte dann einem weiteren Herferder einen Nierenhaken aus.

Die Schlägerei beruhigte sich schnell. Hauptsächlich weil Faenwulf und Blotgrimm in ihren jüngeren Jahren keinem Faustkampf aus dem Weg gegangen waren und somit geübte Kämpfer waren. Faenwulf wischte sich das Blut aus dem Gesicht, das noch immer aus seiner Nase tropfte und blickte die Männer und Frauen an. „Ich mache diese Ansage nur einmal. Auf diesem Schiff, meinem Schiff, wird gemacht was ich sage. Ich habe euch angeheuert und bezahle euch. Wir sind keine Ottajasko, in der über alles diskutiert wird. Wir segeln dorthin, wohin ich es für richtig halte. Wem das nicht passt, der kann die Vegahögg verlassen, sobald wir das nächste Mal an Land gehen.“ Nachdem keiner etwas dagegen sagte, stand Faenwulf auf und wandte der Mannschaft den Rücken zu. „Über Teigherzen werden keine Lieder gesungen“, sagte er mürrisch und schritt zum Kopf der Vegahögg wo er auf der weite Meer hinaus blickte.

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