Unser ist das Meer – Kapitel 5

Sie waren da. Waskir. Umgeben von einem hohen Erdwall und nur durch zwei Tore zu betreten, lag die Stadt vor ihnen. Faenwulf freute sich über seinen Besuch in der Stadt, auch wenn er wusste, dass sich das bald wieder ändern würde. Waskir gehörte zu den Städten in denen man entweder sein ganzes Leben verbrachte oder man verließ es irgendwann. Niemand würde freiwillig hierher ziehen. Als Außenstehender wurde man nicht sehr freundlich empfangen und hätte er hier keine Freunde gehabt, so hätte Faenwulf diese Stadt nach seinem ersten Besuch sicher nicht noch einmal betreten. Zu sehr war die Gemeinschaft von der Feindschaft der hier leben Ottajaskos zerrissen. Eine uralte Rivalität, die nicht einmal die Geweihten lösen konnten.

Am Rande der Stadt wohnten die Ärmsten. Die Lehmhütten sahen schäbig aus und ihre Bewohner schufteten schon seit Sonnenaufgang als Mägde und Knechte. Die einzige Zierde dieser Stadt waren die zahlreichen Tempel. Die Waskirer waren, selbst für Thorwaler, ein abergläubiges Volk und beteten etliche seltsamen Geister an. Aber auch andere Götter als Swafnir fanden hier Verehrung. Nie hatte ein thorwalscher Söldner es verpasst Kor ein Opfer darzubringen und auch die zornige Rondra hatte hier einen Tempel. Faenwulf hatte es immer als schwer empfunden anderen Göttern zu huldigen. Natürlich war es gut auch andere Götter zu beachten, doch niemand stand seinen Kindern so nah wie Swafnir. Kein Gott ließ seine Kinder so häufig und nah spüren, dass er bei ihnen war. Er war ein Freund, der auf sie achtete und sie beschützte.

Ihr erstes Ziel war die Schmiede. Ihre Waffen mussten geschärft und geölt werden. Eine Vorbereitung auf die lange Fahrt auf See. Die Klingen durften nicht rosten und sie selbst würden ihre Waffen niemals so scharf kriegen wie ein Schmied dies konnte. Es hatte sich nicht viel verändert in der Stadt. Börn ohne Schuhe liefen durch die Straßen und ein jeder ging seiner Tätigkeit nach. Ein Mann trieb seine Ziegen die schmale Straße entlang, eine Frau spaltete Holz auf einem Klotz und schon stieg ihnen der köstliche Geruch nach gebratenem Fleisch und frischem Brot in die Nase. Doch dieser Geruch wurde bald überlagert von dem der brennende Kohle und dem heißen Metall in der Esse. Faenwulf und Karva betraten die Schmiede. An den Wänden hingen zahllose Hämmer und Zangen und fertige Waffen lehnten in einer Ecke. Im Hinterzimmer hörte man es rumpeln und eine gedämpfte Unterhaltung. Dann öffnete sich die Tür zur Schmiede und eine Frau trat heraus. Sie war eine Hünin. Genauso groß wie Faenwulf mit Armen wie Baumstämmen, die über und über mit Hautbildern bedeckt waren. Alte, verblichene Bilder waren mit neueren überdeckt worden und ein roter Drache dominierte ihren ganzen Arm. Selbst ihre Finger waren mit kleine Runen und Schlangen verziert. Um den Hals trug sie etliche Ketten und Talismane, die nicht nur aus Thorwal zu stammen schienen und selbst in ihr langes weißes Haar waren Glücksbringer geflochten. Auf ihrer Wange prangte die Schildrune und ein goldener Ring zierte ihre Nase. Sie sah alt aus mit tiefen Falten in der hellen Haut und Faenwulf schätzte die Frau auf mindestens sechzig Winter. Doch sie sah immer noch so aus als könnte sie einem erwachsenen Mann ohne Probleme den Arm ausreißen. Die Frau blickte auf, als sie die beiden Besucher bemerkte und ihr finsterer Blick hellte sich auf. „Was treibt dich schon wieder hierher?“, rief sie freudig aus. „Hat der Alte dir den Rat geben können nach dem du gesucht hast?“ Faenwulf zuckte nur mit den Schultern und grinste schief. „Du kennst ihn doch, niemals um eine wirre Antwort verlegen.“ Die Alte lachte schallend und wandte sich dann Karva zu. „Meine Name ist Freja Askrasdottir. Ich bin eine der Schmiedinnen der Stadt.“ Karva stellte sich ebenfalls vor. „Wie kann ich euch helfen?“, fragte Freja dann und begann mit dem Blasebalg neben der Esse Luft in die Glut zu pumpen. Faenwulf und Karva erklärten ihr Anliegen und nachdem ein paar Stücke Hacksilber den Besitzer gewechselt hatten, ließen sie ihre Waffen in der Schmiede, um sie am Abend wieder abzuholen. „Grima“, rief Freja nach hinten. „Es gibt zu tun.“ Eine Frau mit wildem rotem Haar, offensichtlich die Tochter der Alten, betrat nun die Schmiede und lächelte sie freundlich an. „Es gibt keine bessere Schmiede für eure Waffen. Eure Äxte werden durch Knochen schneiden wie durch Butter.“

Das nächste Ziel war der Travia-Tempel. Nirgendwo in der Stadt konnte man ein besseres Quartier für die Nacht finden und eine kleine Spende reichte, um hier mit höchster Gastfreundschaft empfangen zu werden. Eine ältere Thorwalerin in einem orangefarbenen Kleid begrüßte sie herzlich, als sie an die Tore des Tempels traten. Zufriedene weiße Gänse marschierten herum und irgendwie schien dieser Ort nicht so düster und kalt zu sein wie der Rest der Stadt. Sie wurden herein gebeten und Faenwulf ließ zurückhaltend ein Stück Hacksilber in eine Opferschale fallen. Karva tat es ihm gleich. Die Regeln an diesem Ort waren klar. Sie würden ein gemütliches Bett bekommen, doch jegliche Art von Gewalt und auch Alkohol waren hier strengstens verboten. Dies war ein friedlicher Ort, der Schutz und Unterkunft bot und niemand durfte dies stören. Nachdem die beiden versichert hatten, dass sie morgen wieder abreisen und sich ganz sicher benehmen würden, wurden sie in einen großen Saal geführt in dem etliche Strohbetten auf Reisende warteten. Faenwulf und Karva suchten sich zwei der Lager aus und verstauten ihr Hab und Gut daneben. Niemand würde es wagen im Tempel der Travia zu stehlen, denn die Göttin war nicht nur für ihre Güte und fast grenzenlose Gastfreundschaft geliebt, auch ihr Zorn war bekannt und gefürchtet.

Nach einer kurzen Pause verließen sie den Tempel wieder. Karva schien in Gedanken versunken und nicht gerade gut gelaunt, daher ließ Faenwulf sie einfach in Ruhe. Dies hier war nun mal Teil ihrer Reise und sobald sie Olport erreicht hatten, würde sich ihre Stimmung sicher bessern. Faenwulfs Plan war, nun den Schäfer aufzusuchen. Er brauchte dringend noch eine weitere Wolldecke. Danach würden sie einen alten Freund Faenwulfs besuchen und dann in der Taverne nach abenteuerlustigen Männern und Frauen suchen.

Auf dem Marktplatz herrschte ein reges Treiben und Faenwulf war froh, dass er das meiste seines Geldes im Tempel gelassen hatte. Hier liefen Gestalten herum, die einem die Beutel schon fast mit den Augen aufschnitten. Ein Händler verkauft Talismane und Ketten, die sofort Faenwulfs Aufmerksamkeit erregten. Fein geschnitzte Walflossen, Delfine und Drachen, manche verziert manche schlicht, die man an Ketten tragen oder als Glücksbringer in der Tasche mit sich führen konnte. Für die Fahrt würde ein neuer Talisman nicht schaden und ein goldener Delfin erregte seine Aufmerksamkeit. Er begann gerade mit dem Händler zu feilschen als sich eine schwere Hand auf seine Schulter legte. „Faenwulf“, donnerte eine Stimme hinter ihm. „Da soll mich doch der Seetiger fressen, was machst du denn hier?“ Faenwulf drehte sich um und blickte auf einen Thorwaler, der ihn um gut einen halben Schritt überragte und Faenwulf selbst war nicht gerade klein. Sein gegenüber hatte einen langen, feuerroten Bart und eine mit Hautbildern bedeckte Glatze, die Schutzrunen und Delfine darstellten. Ihm fehlten einige Zähne und noch nie hatte Faenwulf jemanden getroffen, dessen Hände so vernarbt waren, wie die des Mannes. „Blotgrimm“, rief er aus und drückte den Hünen an sich. Die beiden waren zusammen aufgewachsen und gute Freunde geworden, obwohl Blotgrimm einige Winter jünger war. Sie hatten schon häufig gemeinsam gekämpft und getrunken, was sie zu engen Vertrauten gemacht hatte. „Nach dir habe ich gesucht“, sprach Faenwulf weiter. „Ich plane eine Herferd und ich brauche noch tapfere Rekker, die das Meer ruft.“ Das Gesicht des Hünen erhellte sich noch mehr. „Ich dachte schon du würdest nie mehr fragen. Du weißt, mit dir würde ich bis nach Maraskan segeln und noch weiter.“ Er grübelte kurz. „Ich denke ich kann noch ein paar auftreiben, denen dieses dreckige Kaff hier zum Hals raus hängt. Wir treffen uns in einer Jurgaliedlänge in der Taverne.“ Mit diesen Worten verschwand sein alter Freund und der Boden schien unter seinen Schritten zu beben.

„Das funktioniert ja gut“, sagte Karva schmunzelnd. Blotgrimm hatte sich ihr nicht einmal vorgestellt, sie wahrscheinlich in seiner Aufregung nicht mal bemerkt. „Er scheint uns einiges an Arbeit abzunehmen. Dann haben wir mehr Zeit für die Taverne. Ich habe seit gut zehn Wintern keinen guten Waskirer mehr getrunken.“ Ihr Grinsen wurde breiter bei dem Gedanken an den starken thorwalschen Schnaps. Auch Faenwulf war zufrieden. Blotgrimm war zuverlässig und er würde keine Tagelöhner anheuern, sondern ehrliche Krieger suchen, auf die man sich im Kampf und auf der Otta verlassen konnte. Blotgrimm wusste worauf es ankam.

Beiden knurrte der Magen und so kehrten sie zum Tempel der Travia zurück. Sie bekamen eine riesige Schale mit Warar, ein Eintopf der hauptsächlich aus Lauch, Fleisch und Käse bestand. Dazu warmes Brot und Kräutertee. Sie waren nach dem Essen einfach nur satt und zufrieden und Faenwulf schickte ein Dankgebet an die großzügige Travia.

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