Unser ist das Meer – Kapitel 6

Nach einem weiteren Rundgang durch die Stadt, bei dem Faenwulf sich innerlich Notiz machte, was sie morgen für den Weg nach Olport brauchen würden, machten sie sich auf zur Taverne. Man brauchte nur dem Lärm und später dann den Trunkenen zu folgen, die in den Straßen lagen. Die Stimmung war gut und es wurde gesungen und gespielt. Faenwulf blickte sich nach einem leeren Tisch um und passierte dabei zwei Jungspunde die sich in einer wilden Schlägerei auf dem Boden wälzten. Karva schritt würdevoll über die beiden hinweg und nahm auf einem leeren Stuhl Platz. Sie hielt zwei Finger hoch und der Veitingamader brachte zwei große Krüge mit Ahl. Faenwulf und Karva blickten sich tief in die Augen, stießen mit den Krügen an und leeren sie in wenigen Zügen. Wieder gestikulierte Karva dem Wirt, doch diesmal hielt sie nur den Ring- und Mittelfinger ausgestreckt. Der Wirt brachte ihnen zwei weitere Krüge Ahl und zwei kleinere Becher mit Waskirer. Wieder stießen die beiden an, leerten die Krüge jedoch nur halb, dann nahmen sie einen großen Schluck Waskirer. „Nirgendwo gibt es so guten Waskirer wie hier“, verkündete Karva und leckte sich die Lippen. „Das ist aber auch der einzige Grund hierher zu kommen.“ Faenwulf nickte zustimmend und leerte dann seinen Becher. Er blickte sich nach Blotgrimm um, doch von dem Hünen war noch nichts zu sehen. Sicher hatte er sich wieder in ein Gespräch verstricken lassen. Blotgrimm war eine furchtbare Tratschtante und redete gerne mit jedem über jeglichen Klatsch und Tratsch. Er würde schon noch kommen.

Faenwulf hob gerade eine Hand, als drei Krüge Ahl vor ihm auf dem Tisch gestellt wurden. Eine Thorwalerin mit langem schwarzem Haar blickte ihn an. „Darf ich mich setzen?“, fragte sie knapp und Faenwulf deutete auf einen der freien Stühle. Die Frau nahm Platz. „Du bist Faenwulf, oder?“, fragte sie und blickte Faenwulf mit haselnussbraunen Augen an. Faenwulf nickte und musterte die Frau. Ihre Haut war gebräunt und ihre Hände rau, durch das Ziehen von Tauen. Sie war eine Seefahrerin, das sah man sofort. Ein Entermesser hing an ihrer Hüfte und Talismane aus fernen Ländern zierten ihren Hals. „Mein Name ist Firunja Jorasdottir. Man sagt du suchst Leute für eine Herferd.“ Auch dies bestätigte Faenwulf mit einem Nicken. Gerade als er eine Gegenfrage stellen wollte, schwang die Tavernentür mit einem Knall auf und Blotgrimm trat ein. Ihm folgten ein Dutzend grimmig drein blickender Thorwaler, die sich alle zu ihnen an den Tisch setzten. „Das sind die Besten die ich finden konnte,“ verkündete Blotgrimm an Faenwulf gewandt und nahm den Krug entgegen, den der Veitingamader ihm bereits hin hielt. Faenwulf begrüßte alle mit einem Kopfnicken. Sie sahen zuverlässig aus und er vertraute seinem alten Freund was das an ging. Die anderen würden schließlich auch mit ihm auf einen Schiff sein und da würde Blotgrimm sicher keine Teigherzen und Kindsfäuste aussuchen.

Faenwulf wandte sich wieder der Frau zu, die sich zu ihm gesetzt hatte. „Willst du mit auf Fahrt?“, fragte er. Vom ersten Eindruck her, wäre sie sicher eine Bereicherung gewesen. Man konnte den Wind in ihrem Gesicht sehen und ihre Narben sagten, dass sie kämpfen konnte, ohne schwer verletzt zu werden. Doch Firunja schüttelte den Kopf. „Ich bin gerade erst von einer Herferd wieder gekommen. Ich bleibe noch einen Mond hier bei meinem Mann. Aber mein Sohn soll mit dir fahren. Er muss sich endlich mal die Hörner abstoßen.“ Faenwulf nickte. „Wie heißt dein Sohn?“, fragte er nach kurzem Überlegen. „Khemri Derinson“, antwortete Firunja nicht ohne Stolz in der Stimme. Karva blickte auf. „Ein seltsamer Name für einen Thorwaler“, bemerkte sie nicht ohne abwertenden Unterton. Firunja blickte sie finster an. „Vor vielen Wintern war ich auf einen Schiff angeheuert“, begann sie. „Wir fuhren über alle Meere und kämpften gegen alles und jeden. Und immer saß derselbe Mann neben mir auf der Ruderbank. Er war ein entflohener Sklave aus Mengbilla und schätzte daher die Freiheit. Ich habe ihm von Swafnir erzählt und dass man Thorwal das Land der Freien nennt. Das hat ihm gefallen. Wir haben viel zusammen gekämpft und häufig zusammen getrunken. Er wurde ein Freund. Dann überfielen wir ein Handelsschiff. Sie kämpften wie die Besessenen, doch wir schafften es sie zu besiegen. Sie hatten Gewürze dabei. Truhen voll mit Vanille und Pfeffer und Zimt. Und als ich die Kiste hoch halte, um sie ihm zu zeigen, da sehe ich ihn im Wasser treiben. Mit dem Gesicht nach unten. Er ist einfach gestorben und ich habe es noch nicht einmal gesehen. Sein Name war Khemri und so heißt nun mein Sohn.“ Firunja nahm einen Schluck und blinzelte ein paar Tränen weg. „Darauf trinke ich“, sagte Karva mit traurigem Lächeln. Firunja lächelte zurück und leerte ebenfalls ihren Krug.

„Wo ist dein Sohn?“, fragte Faenwulf. Bevor er sich entschied wollte er den Jungen jedoch kennenlernen. Firunja deutete auf die beiden Jungspunde, die immer noch miteinander rauften. Blotgrimm lachte aus voller Brust, stand dann auf und trennte die beiden Streithähne von einander. „Es wird nach euch gefragt“, knurrte er und zerrte die beiden zu Faenwulfs Tisch. Der Größere der beiden blickte schuldbewusster und auch etwas nervöser drein und sein Blick glitt immer wieder zu Firunja. Das musste also ihr Sohn sein. Er hatte dunkelbraune Locken und war etwas kleiner als Faenwulf, hatte jedoch breite Schultern und kräftige Arme. „Du bist Khemri?“, fragte Faenwulf ohne zu freundlich zu klingen. Der Junge nickte. Er hatte höchstens achtzehn Winter hinter sich und trug keine sichtbaren Hautbilder. Doch er blickte Faenwulf leicht trotzig an, jedoch nicht feindselig. „Du bist der, der die Herferd plant“, sagte Khemri dann und wischte sich das Blut aus dem Gesicht, das aus seiner Nase lief. Faenwulf nickte. „Deine Mutter hat mich gebeten dich mitzunehmen. Willst du das?“ Khemri warf seiner Mutter einen Blick zu und dann dem blonden Jungen mit dem er gerungen hatte. „Bei Swafnir, ja!“ Er konnte sich ein Grinsen nicht mehr verkneifen und als Faenwulf dann zustimmend nickte, lächelte auch Firunja erleichtert auf. „Er war schon immer ein miserabler Holzfäller.“

Der blonde Junge schaute Khemri neidvoll an. Noch immer blutete seine Lippe wo ihn ein Schlag getroffen hatte. Sein Blick glitt durch die Taverne, herüber zu den Torfstechern, die unheimlich in einer Ecke herumlungerten und zu den Betrunkenen, die mit dem Kopf bereits auf dem Tisch lagen. „Ich will auch mit“, sagte er dann bestimmt. Seine blauen Augen fokussierten Faenwulf. „Wie heißt du?“, fragte Faenwulf. Er bemitleidete ihn schon fast. Kein junger Mann würde hier bleiben wollen, wenn er Abenteuer erleben konnte. „Hjasgar Yngvarsson“, antwortete er. Faenwulf musterte ihn. Breite Schultern, starke Arme, jedoch leicht auf den Füßen. Dieser würde auf den ersten Blick auch keine Last sein. „Ich werde mit deinen Eltern reden“, antwortete Faenwulf und deutete den beiden sich zu setzen. Dann bestellte er zwei Krüge mit Ahl für sie. „Die beiden sind gute Jungs“, brummte ihm Blotgrimm ins Ohr. „Verlässlich und wild.“ Faenwulf nickte. Es wäre erfrischend auch ein paar junge Männer und Frauen dabei zu haben. Man musste mehr auf sie Acht geben, doch schon häufig hatten sich auch unerfahrene Herferder als echte Bereicherung erwiesen. Sie waren oft nicht so stur und festgefahren in ihren Entscheidungen und im Kampf. Die Anzahl seiner Herferder wuchs und Faenwulf hatte ein sehr gutes Gefühl dabei.

Sie tranken und redeten noch eine lange Zeit. Dann erhob Faenwulf sich und verließ die Taverne. Er musste mit den Eltern von Hjasgar reden. Morgen würde zu knapp sein. Schon so war es ein knappes Unterfangen und eventuell würde er die Eltern überzeugen müssen. Nachdem er einige Male nach dem Weg gefragt hatte, fand er schließlich das Langhaus in dem Hjasgars Familie wohnte. Nach kurzem Klopfen öffnete sich die Tür und ein blonder Mann blickte ihn an. „Was willst du?“, fragte er misstrauisch. Da es schon sehr spät war und einige in der Familie wahrscheinlich bald wieder aufstehen mussten, konnte Faenwulf die Gereiztheit des Mannes verstehen. „Bist du Yngvar?“, fragte er und fuhr auf das Nicken des Mannes fort. „Mein Name ist Faenwulf. Ich plane eine Herferd und dein Sohn würde gerne mitfahren. Da er noch nicht viele Winter gesehen hat, möchte ich mit dir darüber reden.“ Der Mann dachte kurz nach, bat Faenwulf dann jedoch herein. Er reichte ihm ein Horn Met und bat ihn am Feuer Platz zu nehmen. „Meinen Sohn willst du also mitnehmen“, murmelte Yngvar nachdenklich und blickte lange mit seinen blauen Augen ins Feuer. Dann schüttelte er den Kopf. „Ich brauche ihn hier“, knurrte er. „Er muss mit anpacken. Wer sollte das sonst tun?“ Faenwulf seufzte innerlich. Das hier würde nicht so einfach werden, wie bei Khemris Mutter. Dieser Mann hatte nie das Salz im Wind geschmeckt und die schwankenden Planken unter seinen Füßen gespürt. „Willst du keinen Ruhm für ihn?“, fragte Faenwulf. „Soll er für immer hier bleiben und Ziegen hüten und Kerzen ziehen?“ Unmut schwang in seiner Stimme mit. Er konnte Eltern nicht verstehen, die ihren Kindern eine Herferd verweigerten, ihnen die Gelegenheit nahmen sich Ruhm zu erstreiten und das Meer zu befahren. Yngvar verzog das Gesicht. „Ich bin hier und seine Mutter auch, das ist alles was er braucht.“ Faenwulf spürte wie Zorn in seinem Blut brodelte. Mittlerweile wollte er den Jungen aus Prinzip mitnehmen und den alten Griesgram überzeugen, dass er im Unrecht war.

„Lass ihn gehen“, sagte eine Stimme hinter ihnen und Faenwulf blickte sich um. Ein Mann mit braunem langem Haar und einer entstellenden Narbe im Gesicht stand dort und musterte sie beide. “Ich bin Jarik, Hjasgars Onkel.“ Er setze sich zu den beiden und schenkte Met nach. „Du hast ihn zum Fischer ausgebildet und ich habe ihn Lesen und Schreiben gelehrt und ihm gezeigt wie man einen ordentlichen Kampf bestreitet. Alles was wir ihm beigebracht haben, wird er hier nicht nutzen können. Also lass ihn gehen und ihn seine Erfahrungen sammeln.“ Yngvar starrte noch immer mit finsterem Blick ins Feuer und rührte sich nicht. Faenwulf wagte nicht etwas zu sagen, schien Hjasgars Vater doch leicht reizbar und unzufrieden. „Also gut“, sagte dieser schließlich und sein Gesicht hellte sich auf. „Du hast ja recht, Jarik. Allein die Vorstellung als junger Mann mein Leben in Waskir zu verbringen, lässt mich schaudern. Soll Hjasgar das tun, was ich nie konnte. Ich werde alles für seine Abreise vorbereiten.“ Faenwulf nickte zufrieden. War es doch bei den Thorwalern so üblich, dass die jungen nach Abenteuern lechzten. Welcher Vater wollte das seinem Sohn vorenthalten?

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