Unser ist das Meer – Kapitel 7

Bald nach Sonnenaufgang würde ihre Reise nach Olport los gehen. Es würde fast eine Woche, bei schlechtem Wetter vielleicht länger, dauern, bis sie in der großen Stadt ankamen und er wollte keine Zeit verlieren. Faenwulf dankte Yngvar und kehrte dann zur Taverne zurück. Wesentlich weniger Gäste saßen nun an den Tischen, doch Karva hatte auf ihn gewartet. Auch Khemri und Hjasgar waren noch da, sahen jedoch schon ziemlich müde und betrunken aus. „Geht schlafen,“ befahl Faenwulf in freundlichem Ton. „Morgen nach Sonnenaufgang machen wir uns auf nach Olport.“ Die beiden grinsten sich freudig an und verschwanden dann aus der Taverne. Faenwulf vermutete, dass beide diese Nacht wohl kein Auge zumachen würden, doch das konnte er nun auch nicht mehr ändern. Karva erhob sich, legte dem Wirt ein paar Münzen auf den Tresen und verließ mit Faenwulf die Taverne. „Du hast seine Eltern also überzeugt“, bemerkte Karva und sog die kalte Nachtluft ein. „Sein Onkel hat sich für ihn eingesetzt“, erzählte Faenwulf. „Hjasgars Vater ist ein ganz schöner Sauertopf.“ Karva kicherte mädchenhaft und hakte sich dann bei Faenwulf ein. „Ich bin aufgeregt“, flüsterte sie und Faenwulf sah das Feuer in ihren Augen. Er war ebenso gespannt. So viele Dinge konnten auf einer Herferd passieren. Er würde erneut nach Herferdern in Olport suchen. Viele Seefahrer weilten dort und er würde sicher einige gute finden. Vor allem freute er sich darauf wieder auf seinem Schiff zu stehen. Die alte Vegahögg war mit ihm schon durch so viele Stürme gegangen und hatte so viele Galeeren geentert, sie war mehr als nur ein alter Drakkar.

Sie betraten den Travia-Tempel möglichst leise und schlichen zu ihrem Quartier. Die Diar hatte geflissentlich darauf geachtet, dass ihre Lager nicht zu nah beieinander lagen. Schließlich waren sie nicht verheiratet. Sie streiften Stiefel und Krötenhaut ab und legten sich auf ihr Lager. Es war nicht so gemütlich wie es aussah, doch Faenwulf hätte dieses Lager jeder Nacht im Freien vorgezogen.

In dieser Nacht träumte er nicht von Goifang und kein anderer Traum raubte ihm seine kostbare Ruhe. Und doch erwachte er nicht so ausgeruht wie er sich das vielleicht gewünscht hätte. Sein rechtes Knie schmerzte und es widerstrebte ihm seine Stiefel wieder anzuziehen. Sie hatten einen langen Weg vor sich und er wusste, dass seine Füße heute Abend schmerzen würden. Karva hatte ihr Lager bereits verlassen und Faenwulf fand sie vor dem Tempel einen Apfel essend. Neben ihr auf dem Boden saß Blotgrimm und sie unterhielten sich leise. Das Gesicht des Hünen hellte sich auf, als er seinen alten Freund erblickte. „Die anderen kommen bald“, berichtete Blotgrimm nicht ohne Stolz. „Ich habe sie bereits aus dem Bett geholt und mich vergewissert, dass alle bald da sind.“ Faenwulf hoffte, dass dieser Enthusiasmus auf die anderen abfärben würde. Ihm selbst wärmte er das Herz.

Es dauerte nicht lange bis Faenwulf seine sieben Sachen zusammen gepackt hatte. Er bedankte sich ein weiteres Mal bei der gütigen Travia und ihrer Diar und verließ dann den Tempel. Noch während Karva und Blotgrimm auf die Ankunft der anderen wartete, ging Faenwulf zu den von ihm vorher besuchten Händlern. Aus einem Jolskrim roch es besonders köstlich nach frisch gebackenem Brot. „Faenwulf“, begrüßte ihn Asleif, der ansässige Bakkari. „Deine Bestellung von gestern ist bereits fertig.“ Er reichte Faenwulf einen Beutel mit Olporter Knackbrot. „Das müsste bis nach Olport reichen. Meine Rea hat noch einen großen Laib Sauerdunkelbrot für euch gebacken.“ Die blonde junge Frau mit dem Nasenring, die im hinteren Teil des Jolskrim Teig knetete, lächelte Faenwulf an. Er zwinkerte ihr zu, gab ihrem Vater ein kleines Stück Hacksilber und machte sich dann auf den Weg. Zu viele Köstlichkeiten lockten in diesem Jolskrim. Kleine Cremetörtchen, Karamellbrot und bunte Zuckerplätzchen. Asleif Thorwaldson war in und auch außerhalb von Thorwal bekannt für seine Zuckerbäckerei. Wie ein weiser Mann Faenwulf einst erzählt hatte, war Asleif in manchen Städten so bekannt und beliebt wegen seiner Leckereien, dass die Kinder in den Straßen seinen Namen riefen. Auch so kann man zu Ruhm kommen, dachte Faenwulf schmunzelnd. Er holte nun das ebenfalls bestellte Hangikjöt und den Hangifisk ab.

Als er zum Tempel zurück kehrte, warteten bereits alle auf ihn. Das Brot, das Fleisch und der Fisch wurden unter allen aufgeteilt und dann ging es ohne große Worte los. Alle trugen ihre Waffen und Rüstungen bei sich und der Anblick einer solchen Horde Thorwaler hätte einige, die nicht aus dem Land der Freien stammten, in Angst und Schrecken versetzt. Khemri trug eine schwere Holzfälleraxt bei sich, die er sich für den Weg auf den Rücken geschnallt hatte. Dazu hatte er einen Seesack bei sich, der, dem Aussehen nach, schon einige Fahrten gesehen hatte. Wahrscheinlich ein Geschenk seiner Mutter, dachte Faenwulf gut gelaunt. Hjasgar hatte einen einfachen hölzernen Rundschild über seine Schulter gespannt und trug eine Orknase am Gürtel, die einen hervor preschenden Stier zeigte. Auf dem Rücken trug er einen Rucksack mit seinen Habseligkeiten. Direkt hinter ihnen marschierte Blotgrimm. Er trug einen riesigen Seesack auf dem Rücken und stützte sich beim Gehen auf seine mächtige Doppelblattaxt, mit der er schon seit vielen Wintern kämpfte. Das Blatt zierte ein tobender Pottwal, der eine Seeschlange zerriss. Statt des zweiten Blattes hatte diese Axt einen großen Haken, mit dem Blotgrimm seine Gegner im Kampf näher an sich heran zu ziehen pflegte. Er hatte auch seinen treuen Olporter Thurbold dabei, der seinem Herrn nur selten von der Seite wich und jetzt glücklich hechelnd hinter ihnen her trottete. Der Hund war für Blotgrimm so etwas wie ein laufender Glücksbringer und er weigerte sich vehement ein Schiff ohne seinen pelzigen Gefährten zu betreten.

Alle Reisenden trugen die für Thorwaler so charakteristischen gestreiften Hosen und die meisten hatten als Rüstung eine Krötenhaut dabei. Die Helme einiger waren mit Hörnern, Flügeln und Drachenkämmen verziert, andere waren einfach mit Schutzrunen bemalt. Viele der mitgeführten Skjalde waren bemalt oder beschnitzt. Wale, Delfine, Schwäne und Drachen waren darauf zu sehen, andere trugen einfach Rundschilde aus Holz, die eher behelfsmäßig und ein einfaches Mittel zum Zweck waren. Faenwulf trug seinen Schild, der einen fauchenden Drachen zeigte, ebenfalls auf dem Rücken und seine Orknase, verziert mit einem Ifirnshai, hing griffbereit an seiner Hüfte. Diese Axt besaß er schon seit mehreren Wintern und pflegte sie sehr gewissenhaft. Schilde wurden stets am stärksten beansprucht und irgendwann war es Zeit sie auszutauschen, wenn sie ihren Zweck erfüllt hatten. Daher war es nicht ratsam sein Herz zu sehr an einen Schild zu hängen. Eine gute Axt konnte man jedoch sein ganzes Leben führen und weitervererben.

Faenwulf führte und die anderen folgten. Es war ein gutes Gefühl, das Faenwulf fast vermisst hatte und er wusste, dass es noch besser werden würde, waren sie erst einmal auf der Vegahögg. Es kribbelte in Faenwulf Fingern, wenn er nur an sein Schiff dachte. Der mächtige Drakkar lag gerade im Dock von Olport und wurde für die kommende Herferd auf Vordermann gebracht. Das rot-weiß gestreifte Segel wurde geflickt, die Planken neu abgedichtet und einige Rojer ersetzt. Wenn sie in Olport ankamen, würde das Schiff bereit für die Abfahrt sein. Faenwulfs Ungeduld wuchs, wenn er nur daran dachte wieder den Geruch des Meeres zu riechen und das Salz in der Luft zu schmecken.

Sie nahmen den gleichen Weg zurück, den Faenwulf schon nach Waskir genommen hatte. Es war ein leicht ausgetretener Pfad, der hauptsächlich von Wanderern und fliegenden Händler benutzt wurde. Sie würden die Augen nach Wegelagerern und Räubern offen halten müssen, doch es war unwahrscheinlich, dass eine so große Gruppe bewaffneter Thorwaler, angegriffen wurde. Es gab einfachere Ziele als sie und außer ihren Waffen trugen die meisten von ihnen nichts von Wert bei sich.

Die Jungen waren sichtlich aufgeregt und auch ein paar der Erfahreneren machten den Eindruck, als wäre dies für sie ein lang ersehntes Abenteuer. Auch Faenwulf machte sich Gedanken, wohin sie als erstes segeln würden. Wahrscheinlich würde er seine bald komplette Mannschaft fragen. Jeder thorwalsche Pirat hatte andere Abenteuer bestritten, vielleicht kannte einer von ihnen besonders lohnenswerte Dörfer oder Routen von Galeeren und Frachtschiffen. Faenwulf würde das letzte Wort haben, doch trotzdem ließ er sich gerne von den anderen beraten. Das Ziel war es schließlich mit vollen Taschen und vollem Schiff im Heimamond nach Thorwal zurückzukehren.

Doch bevor er darüber nachdachte mit was er seine Taschen füllen konnte, mussten sie erst nach Olport gelangen. Sie marschierten nun schon seit mehreren Jurgaliedlängen und lediglich Thurbold schien unermüdlich laufen und toben zu können. Als die Sonne am Höchsten stand pausierten sie unter den ausladenden Ästen einer Steineiche, setzten ihren Weg aber bald fort. Es war sinnlos wenn sie zu langsam voran kamen. Sie alle wollten endlich schwankende Planken unter ihren Füßen spüren und dafür mussten sie vorher nun einmal marschieren. Also sollten sie ihren Weg möglichst schnell hinter sich bringen.

Niemand beschwerte sich, doch Faenwulf merkte sich wer mehr aushielt und wer bald zum Sauertopf wurde, weil ihm die Füße schmerzten. Erst als die Sonne den Horizont berührte, gab Faenwulf das Kommando zum Aufbauen eines kleinen Lagers. Alle richteten sich ihr Nachtlager zwischen den Wurzeln einer großen Kiefer ein und Faenwulf entfachte ein kleines Feuer, das sie in der Nacht wärmen würde. Da ein Eintopf zu lange gedauert hätte, spießten sie ein paar Äpfel auf und brieten sie über dem Feuer. Noch während sie darauf warteten, dass die Äpfel gar wurden, reichte Faenwulf mehrere Stücke des Olporter Knackbrotes herum. Alle aßen wortlos das harte Brot und ruhten ihre Füße und Rücken aus. Es war ein anstrengender Marsch gewesen und selbst wenn sie schnell voran kamen, würden noch sechs weitere Tage folgen, bis sie Olport erreichten. „Jemand könnte eine Geschichte erzählen“, schlug Blotgrimm vor der, an Thurbold gelehnt, seine Füße am Feuer wärmte. Die meisten nickten zustimmend, während andere sich entschuldigten und ihr Nachtlager aufsuchten. Karva blickte in die Runde. „Ich kenne eine Geschichte, die danach ruft am Feuer erzählt zu werden.“ Die am Feuer Verbliebenen blickten sie erwartungsvoll an. „Lass hören, Mädchen“, rief Blotgrimm fröhlich aus. Karva blickte ihn mit ihrem typischen würdevollen Blick an, zog dann ihre Wolldecke enger um sich und begann zu erzählen.

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