Unser ist das Meer – Kapitel 10

Der erste aufsteigende Rauch wurde sichtbar und Faenwulf spürte ein Kribbeln in seinen Händen. Sie würden Olport in der nächsten Jurgaliedlänge erreichen und dann würde er sein Schätzchen endlich wiedersehen. Die Vegahögg. Seinen stolzen Drakkar, der hier repariert und auf die Herferd vorbereitet wurde. Wie ein Börn musste Faenwulf sich zurückhalten, um die letzte Strecke nicht zu rennen. Schon bald würde er wieder Planken und den Seegang unter seinen Füßen spüren und den salzigen Wind in seinem Haar. Er atmete tief ein und konnte das Salz in der Luft riechen und schmecken. Die anderen schienen zu merken, dass sich sein Schritt stetig beschleunigte, doch sie sagten nichts und hielten Schritt, teilten seine Vorfreude vielleicht sogar.

Olport war eine schöne Stadt. Rau aber gastfreundlich und so voll mit faszinierenden Orten, dass man sich hier als Fremder tagelang aufhalten konnte und jeden Tag etwas Neues sah. Schon in der Ferne sahen sie den riesigen Swafnirtempel, der ihr erstes Ziel sein würde. Danach würde Faenwulf sie in dem einzigen Gasthaus der Stadt einquartieren und seinen Drakkar besuchen. Er war schon unendlich gespannt, wie sie die alte Vegahögg wieder auf Vordermann gebracht hatten.

Es roch nach Holz- und Torffeuer, als sie die große Stadt betraten. Neben den vielen Thorwalern, waren auch Nivesen hier Zuhause und die Thorwaler mit mandelförmigen Augen und schwarzem Haar waren überraschend zahlreich. Neben Thorwalsch schnappte Faenwulf immer wieder Worte auf, die er nicht verstand und die wahrscheinlich nivesischen Ursprungs waren. Überall wurden Waren angeboten und in der Ferne konnte man die Runajasko sehen, die über der Stadt thronte. Der Weg zum Tempel führte durch enge Gassen, doch alles hier war so viel freundlicher als in Waskir. Mehrere Ottajaskos hatten hier ihren Sitz und um ihre Langhäuser herum hatten sich die Mitglieder angesiedelt. So entstand der Eindruck, als würde man durch mehrere Dörfer innerhalb der Stadt laufen.

Der Swafnirtempel war sofort als solcher zu erkennen. In der Form eines riesigen Pottwals erbaut, betrat man die Halle durch das geöffnete Maul des Wals. Im Inneren war es sehr still. Die Ehrfurcht vor diesem Ort ließ auch den lautesten Thorwaler verstummen und alles mit großen Augen betrachten. Faenwulf ging zielstrebig zu dem großen Springbrunnen in der Mitte der Halla und leerte eine Flasche von Ingibjörgs Kräuterschnaps im klaren Wasser. Das ist für dich, Swafnir. Und für Steinar, betete er leise. Auf dass du uns anderen mehr Zeit gibst um Ruhm und Ehre zu ernten. Die anderen hatten sich in der Halle verteilt, beteten für sich zu Swafnir oder brachten den vielen Kindern Swafnirs, die hier eigene kleine Altäre hatten, Gaben dar.

Faenwulf verließ den Tempel. Es tat gut ein bisschen alleine zu sein, selbst in einer so großen Stadt mit so vielen Bewohnern. Er schlenderte zum Gasthaus und begrüßte die Wirtin herzlich. „Ich und meine Begleiter wollen hier übernachten“, begann Faenwulf und holte einen Beutel aus einer seiner Gürteltaschen. Die Wirtin musterte ihn. „Kannst du dir das auch leisten?“, fragte sie mit frechem Grinsen. Sie war ein alter Hase, das sah man ihr an, doch nach einem Blick in den Beutel, den Faenwulf ihr reichte, nickte sie freundlich. „Ihr könnt essen so viel ihr wollt“, sagte sie und deutete auf einen riesigen Kessel, der über dem Feuer brodelte. „Das Essen ist inbegriffen, eine Begrenzung gibt es nicht. Jeder isst so viel er will. Wir sind schließlich in Thorwal. Die Schlafstellen sind im Jolskrim nebenan. Schlaft einfach dort, wo Platz ist.“ Diesmal nickte Faenwulf freudig, brachte seinen Seesack herüber in das Langhaus und machte sich dann auf den Weg zum Hafen. Nachdem er die Vegahögg hier auf den Strand gezogen hatte, hatte er mit einem alten Skipsmider gesprochen und ihm die Verantwortung für den Drakkar übergeben. Vieles hatte an der alten Vegahögg repariert werden müssen, doch der Alte hatte versprochen, dass er und seine Lehrlinge von der Drakkenhalla, sich um alles kümmern würden. Das klang sehr vielversprechend und Faenwulf hoffte, dass der Drakkar schon fertig für die Fahrt war.

Er hatte den Jurgaplatz erreicht, ein großer Platz direkt im Hafen und blickte sich nach der Vegahögg um. Viele Schiffe wurden hier repariert und es herrschte reges Treiben. Er erblickte Runolf Holzauge, den alten Skipsmider, dem er die Vegahögg anvertraut hatte. Zur Begrüßung hob Faenwulf die Hand. Sein Magen kribbelte und er konnte es vor Aufregung kaum aushalten. „Ist sie fertig?“, fragte Faenwulf, als der Alte schließlich vor ihm stand. Dieser musterte ihn grimmig, die rechte Seite des Gesichts zu eine Grimasse verzogen. Die schon vor Jahrzehnten verheilte Verletzung sah sehr nach einem Axthieb aus, doch Faenwulf hütete sich davor, den alten Griesgram nach dem Ursprung dieser Narben zu fragen. Der Alte drehte sich zu den beiden Lehrlingen um, die hinter ihm auf weitere Anweisungen warteten. „Wulfgrimm“, plärrte der Alte. „Zeig Faenwulf den Drakkar.“ Der Lehrling wich geschickt dem Tritt des Alten aus und deutete Faenwulf ihm zu folgen. Zielstrebig führte er Faenwulf den Hafen entlang. „Es ist sicher nicht leicht bei so einem verbitterten Alten zu lernen“, sagte Faenwulf und betrachtete den jungen Mann. „Das stimmt“, antwortete Wulfgrimm und musterte Faenwulf mit seinen blauen Augen. „Ich dachte nur, dass die meisten Meister so sind.“ Nachdenklich kratzte er sich am Kopf und zerzauste seinen schwarzen Haarschopf noch mehr. „Wir haben den alten Drakkar wieder richtig gut hinbekommen“, berichtete Wulfgrimm nicht ohne Stolz. „Das war ein hartes Stück Arbeit.“ Faenwulf lächelte. Das konnte er sich vorstellen. Die letzte Herferd hatte die Vegahögg ganz schön mitgenommen, doch immer hatte das treue Schiff ihm gute Dienste geleistet.

Die Ungeduld wuchs und gerade als Faenwulf den Lehrling ein drittes Mal fragen wollte, wann sie das Schiff endlich erreicht hatten, sah er sie. Das rot-weiß gestreifte Segel war ordentlich gefaltet, die Löcher geflickt und alle Rojer durch neue ersetzt. Einige Teile des Bugs waren ebenfalls erneuert worden und alles mit Pech abgedichtet. Faenwulfs Herz machte einen Satz. Ohne auf die erklärenden Worte des Lehrlings zu hören, betrat er sein Schiff. Der Drachenkopf war durch einen neuen ersetzt worden, doch das Aussehen war gleich geblieben. Das geöffnete Maul entblößte vier Fangzähne und zwei lange Hörner zierten den reich mit Runen verzierten Schädel des Drachenkopfs. Der Kamm des Drachen reichte weit nach unten und die Augen waren leuchtend grün bemalt. „Sie ist perfekt“, flüsterte Faenwulf und strahlte Wulfgrimm an. „Sie ist perfekt für die Herferd. Ich denke wir können morgen los.“ Wulfgrimm blickte ihn traurig und voll Sehnsucht an und Faenwulfs Freunde trübte sich ein wenig. Man konnte dem jungen Mann ansehen, dass er sich nichts sehnlicher wünschte, als mit auf Fahrt zu gehen. „Sie ist ein echtes Prachtstück“, knurrte Runolf Holzauge, der sie endlich erreicht hatte. „Der, der sie einst gebaut hat, war ein Meister seines Fachs.“ Faenwulf nickte. So viele Winter hatte die Vegahögg überstanden und immer war sie zuverlässig gewesen. So viele waren bei ihrem Anblick voll Angst geflohen.

„Wulfgrimm, Garald es scheint so als hättet ihr nichts zu tun. Bewegt eure faulen Hintern zu den anderen Schiffen und schaut, ob da alles mit rechten Dingen zu geht. Ich will keine Fehler sehen.“ Die Lehrlinge nahmen die Beine in die Hand, konnten ihre Widerworte jedoch nur schwer schlucken. Faenwulf taten sie leid. Er selbst hatte keinen Beruf erlernt, war immer so durchs Leben gekommen und bereute nichts. Nicht einen Tag hätte er mit diesen armen Kerlen tauschen wollen.

Der Alte musterte ihn und blickte ihn dann erwartungsvoll an. Faenwulf drückte ihm einen prall gefüllten Beutel in die Hand und der Alte zog zufrieden ab. „Sag Bescheid wenn ihr los wollt. Dann schieben wir euch vom Strand.“ Faenwulf nickte und blickte ein letztes Mal die Vegahögg an, bevor er zurück Richtung Gasthaus ging.

Auf dem Weg zum Gasthaus begegnete er Karva, die ihn erwartungsvoll anblickte. Faenwulf konnte seine Freude nicht verstecken und lächelte seine Freundin strahlend an. „Sie ist fertig“, antwortete er auf ihren fragenden Blick und sie lächelte ihn schließlich an. Wenn sie morgen früh das Schiff vom Strand schoben und sich an die Ruder setzten, würde es endlich los gehen. Die lange Vorbereitung hatte dann ein Ende und sie würden in ein neues Abenteuer segeln. Karva trug einen riesigen grauen Kater auf dem Arm, der Faenwulf mit unergründlichen, grünen Augen anblickte. „Das ist Zornbrecht“, erklärte Karva auf Faenwulfs fragendes Gesicht hin. „Du hast vergessen eine Schiffskatze zu besorgen, daher habe ich das für dich erledigt.“ Faenwulf nickte erleichtert und ergriff kurz den Swafniranhänger um seinen Hals. Wie hatte er das vergessen können? Katzen waren wichtige Glücksbringer auf einem Schiff, da sie all ihre Kraft einsetzten um zu verhindern, dass das Schiff sank und sie hielten Unheilbringer wie Ratten und Krähen fern. Er schenkte Karva einen dankenden Blick und tätschelte kurz den Kopf der getigerten Katze. Karva mitzunehmen hatte sich erneut als eine der besten Entscheidungen erwiesen, die er für diese Herferd getroffen hatte.

Weitere Vorbereitungen treffend, besuchte Faenwulf einen Navigator, Eilif Falkenauge und reichte ihm eine gewisse Summe, um ihn zum Mitsegeln zu bewegen. Eilif war ein störrischer alter Narr, den eigentlich niemand mochte, doch er war der beste Navigator in ganz Thorwal. Zumindest hielt Faenwulf ihn für den besten und deswegen wollte er ihn unbedingt dabei haben. Sie waren keine Ottajasko und so musste er einige der Herferder bezahlen. Nicht alle waren jung und wild und brannten auf eine Herferd. Willige Rekker zu finden war nicht schwer, doch fähige Leute, die viel von ihrem Handwerk verstanden, Kartographen, Seiler und Navigatoren, ließen sich für eine Herferd gerne bezahlen. Sie erlebten so Abenteuer, wurden verpflegt und verdienten dabei auch noch Geld. Und wenn eine Herferd reiche Beute brachte, bekamen sie davon auch noch einen Teil ab. Das Geschäft war also für beide Parteien lohnend.

Als nächstes besuchte Faenwulf einige Händler. Sie brauchten für die Fahrt genügend Hangikjöt und Hangifisk, sowie getrocknetes Obst und Knackbrot, um sich auch mal einige Tage auf See zu verpflegen, wenn sie nicht an Land gehen konnten. Faenwulf ließ zwei Fässer mit Hangikjöt und Hangifisk direkt auf die Vegahögg bringen und das Knackbrot wurde bis zur Abfahrt fertig gebacken. Der Bakkari würde morgen früh vor der Abfahrt einen Sack davon vorbei bringen.

Die restlichen Vorbereitungen dauerten sehr lange. Die Herferder waren jetzt vollzählig, dreißig Männer und Frauen würden Faenwulf auf der Herferd begleiten. Er hatte bereits zehn Skjalde in Auftrag gegeben, die er morgen früh an die Herferder verteilen würde Bei einer ordentlichen Kaperfahrt brauchte jeder Rekker einen Skjald. Nur mit einer Axt war man für die Bogenschützen ein viel zu leichtes Ziel. Die Skjalde würden, wenn sie nicht ruderten, zum Schutz an der Reling des Drakkars befestigt werden.

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