Unser ist das Meer – Kapitel 9

Von einem erstickten Schrei und dem kehligen Knurren von Thurbold geweckt, fuhr Faenwulf aus dem Schlaf hoch. Sofort glitt seine Hand zu seiner Orknase. Er versuchte sich zu orientieren, etwas in der Dunkelheit zu erkennen, doch das Feuer war so weit herunter gebrannt, dass fast völlige Dunkelheit herrschte. Dann hörte er ein Grunzen, gefolgt von einem Röcheln und Gestalten, die im Dunkeln beinahe komplett verschwanden. „Schwarzpelze!“, brüllte Faenwulf und sprang auf, gefolgt von Blotgrimm und Karva, die ebenso schnell auf den Beinen waren. Mit einem Satz war Faenwulf bei Steinar, der zusammengesunken am Boden lag. Über ihm stand ein Ork, in eine zerfetzte Lederrüstung gehüllt und einen langen Dolch in der Hand. Faenwulf holte aus und grub die Klinge seiner Axt tief in den Torso des Orks. Dieser brüllte auf und brach dann wild um sich schlagend zusammen. Nun waren die anderen auch wach. Sie drängten sich um den Rest des Feuers, doch alle kämpften. Faenwulf fuhr herum und wich im letzten Moment einer gezackten Orkklinge aus. Er ließ seine Axt hervorschnellen und bohrte die Spitze in die Kehle des Orks. Blut schoss aus der Wunde, doch der Ork war noch nicht tödlich getroffen. Wieder holte er aus und wieder gelang es Faenwulf, dem diesmal nicht so präzisen Schlag auszuweichen. Diesmal schlug Faenwulf mit der Rückseite der Orknase zu und traf seinen Gegner an der ungeschützten Schläfe. Die beiden Dornen seiner Axt bohrten sich tief in den Schädel des Orks und dieser brach grunzend und zuckend zusammen. Faenwulf blickte auf. Neben ihm kämpfte Karva, die den langen Dorn ihrer Skraja tief im Schädel eines Orks versenkt hatte. Gleichzeitig blockte sie mit ihrem Schild einen weiteren Angriff ab und rammte ihrem Gegner dann den Schildrand ins Gesicht. Blitzschnell fuhr sie herum und fällte den Ork mit zwei schnellen Hieben ihrer Skraja. Dampfende Eingeweide ergossen sich über ihre Stiefel, doch sie blickte sich schon nach dem nächsten Gegner um. Blotgrimm brüllte im Kampfrausch auf und stürzte sich auf einen Schwarzpelz, der beinahe so groß war wie er selbst. Bewaffnet mit Schwert und Schild war der Ork flinker als Blotgrimm mit seiner riesigen Axt, doch Blotgrimm war ein erfahrener Kämpfer. Er deutete einen mächtigen Schlag an, schwang die Axt jedoch in einem Bogen und vergrub die Klinge im Bein des Orks, das durch den Schlag fast ganz abgetrennt wurde. Mit einem weiteren Schwung hakte er die Axt am Schild des Schwarzpelzes ein und zog ihn mit einem kräftigen Hieb zu sich. Der Ork fiel taumelnd vor Blotgrimm zu Boden, doch dieser packte ihn und begann sein Gesicht mit den Fäusten zu bearbeiten, die etlichen Zahnlücken in einem irren Grinsen entblößt. Nach dem vierten Schlag wandte Faenwulf den Blick ab und sah gerade noch wie Thurbold einen Schwarzpelz zu Fall brachte und ihm die Kehle zerfetzte. Faenwulfs Aufmerksamkeit zog sich auf die beiden Jüngsten und wie sie sich schlugen. Hjasgar wich seinem Gegner leichtfüßig aus und ging dann zum Angriff über. Mit einem gezielten Schildstoß brachte er den Gegner aus dem Gleichgewicht und fällte ihn dann mit einigen kräftigen Axthieben. Khemri rammte seinen Gegner direkt um. Riskant aber wirkungsvoll. Der Kampf war ebenso schnell zu Ende wie er begonnen hatte und Khemri schlug dem Ork die Holzfälleraxt mehrmals in den Körper. Sein Gegner blieb in seinem eigenen Blut liegen.

Die letzten Schwarzpelze waren geflohen und nun mussten sie sehen, ob es Verletzte gab. Karva und Blotgrimm knieten vor Steinar, der röchelnd am Boden lag. Blotgrimm hatte seine Hand, die noch immer blutbefleckt war, auf Steinars Brustkorb gelegt und blickte ihn traurig an. Der grimmige Thorwaler lag in seinem eigenen Blut, die Kehle so tief aufgeschlitzt, dass kein Heilari diese Wunde hätte nähen können. Die riesige Blutlache schimmerte schwarz in dem schwachen Licht und allen war klar, dass Steinar sterben würde. „Kannst du das Weiß sehen?“, brummte Blotgrimm leise. „Das ist Swafnir.“ Er drückte Steinar seine Orknase in die Hand. „Kannst du schon das Feuer riechen? Das ist Swafnirs Halla. Du wirst deine Brüder, Väter und Mütter wiedersehen und ihr werdet gemeinsam an Swafnirs Seite streiten.“ Steinar blickte Blotgrimm an. Blut floss aus seinem Mund und das glückliche, blutverschmierte Lächeln, das er Blotgrimm schenkte, brachte Faenwulf eine Gänsehaut. Auch auf Blotgrimms mächtigen Armen breitete sich Gänsehaut aus, doch er blieb bei dem Thorwaler, bis er seinen letzten Atemzug getan hatte. Alle blickten Faenwulf an. Sie wussten nicht was sie jetzt tun sollten. „Wir werden Steinar morgen begraben“, sagte er entschieden. „Versucht zu schlafen. So schwer es auch sein mag. Morgen wird ein anstrengender Tag.“ Wortlos zogen sie sich in ihre Lager zurück und Faenwulf begann das Feuer neu zu entfachen. Er würde des Rest der Nacht Wache halten. An Schlaf war sowieso nicht zu denken, zu sehr spürte er noch den Wal in sich toben. Karva trat zu ihm und drückte kurz seine Schulter. Ihr Blick sagte mehr als tausend Worte. Du musst weiter machen. Lass dich von einem frühen Rückschlag nicht aufhalten. Faenwulf nickte, als hätte er sie verstanden und setzte sich dann ans Feuer. Er stand vor dem Morgengrauen nur einmal auf, um eine Decke über Steinars Körper zu legen. Die Schwarzpelze griffen kein zweites Mal an. Vermutlich war es ein herum streunendes Rudel gewesen, die sie für reisende Händler gehalten hatten. Dies war schließlich ein beliebter Weg für Händler von Olport nach Waskir.

Bei Sonnenaufgang begann Faenwulf eine Grube auszuheben. Die, die von den Geräuschen geweckt wurden, halfen ihm und bald war das Loch groß genug, um Steinar darin zu begraben. „Wir werden ihn abholen“, versprach Faenwulf. „Sobald wir von unserer Herferd zurück sind, werden wir seine Gebeine holen und seiner Familie übergeben.“ Alle nickten zustimmend. Die toten Orks stapelten sie nahe des Wegs. Sollte ihr Clan sie holen kommen und wenn nicht, so dienten sie doch als Warnung für andere unvorsichtige Wanderer.

Sie brachen wieder auf. Alle waren sehr schweigsam und Faenwulf konnte nicht aufhören zu denken. Schon in der Nacht hatte er ununterbrochen gegrübelt. War dies ein Zeichen? Sollte er sein Vorhaben abbrechen? Karva hatte direkt gesagt, dass er unbedingt weiter machen musste. Zum ersten Mal in seinem Leben wünschte er sich einen Godi, den er um Rat fragen konnte. Oder einfach seinen alten Freund Ingibjörg. Ingibjörg wusste mehr als jeder andere auf Dere, dessen war Faenwulf sicher. Er hätte ihm sofort sagen können was er tun sollte. Natürlich äußerte er seine Sorgen nicht. Alle verließen sich auf ihn und sie alle wussten dass Steinar jetzt bei Swafnir war. Die bedrückte Stimmung würde sich wieder aufhellen, so wie es bei Thorwalern immer war. Doch ebenso wie sein Volk die größten Feste feiern konnte und für seinen unerbittlichen Kampf bekannt war, so waren die Thorwaler auch gerne melancholisch und bedrückt. Doch die Trauer um Steinar war nicht sehr tief. Wer kämpfte, konnte sterben und nahm dies in Kauf. Durch seinen Tod im Kampf, hatte Steinar sich einen Platz im Kampf Swafnirs gegen die verderbte Seeschlange Hranngar verdient.

Nachdem sie einige Meilen schweigsam zurück gelegt hatten, begann Blotgrimm ein Lied zu pfeifen und schon nach kurzer Zeit stimmte die meisten summend ein. Es war als hätte sich ein dunkler Schleier gehoben und die Stimmung wurde besser und besser. Schon bald zeigten sie einander was sie von den Ork geplündert hatten und alle stimmten überein, dass der fein geschnitzte Elfenbeinanhänger, den ein Rekker namens Thorwald erbeutet hatte, das schönste Stück war. Karva drehte sich zu Faenwulf um und schenkte ihm ein ermutigendes Lächeln. Wieder nickte Faenwulf, zwirbelte ein wenig seinen Bart und lächelte über den neuen Mut und die Hoffnung auf große Taten die er in sich spürte.

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