Faenwulf blickte auf, als einige der Inselbewohner langsam aus dem Wald traten und sie ansprachen. Er verstand kein Wort. Auch mit ihren Gesten konnte er nichts anfangen, doch er interpretierte sie als friedlich. Also schnürte er seine Orknase an seinen Gürtel und hob die leeren Hände. Matatoa eilte ihm zur Hilfe und begann mit einem Mann, der offensichtlich das Oberhaupt war, zu reden. Auch er schien nur einen Teil dessen zu verstehen, was sein Gegenüber ihm erzählte, doch er verstand anscheinend genug. „Wir sollen mitgehen“, übersetzte er. „Wir sollen die Toten tragen.“ Faenwulf blickte zu den toten Inselbewohnern, die so viel kleiner waren als er. Mühelos warf er sich zwei über die Schulter und folgte Matatoa und dem Oberhaupt in den Wald. Die Herferder taten es ihm gleich und die Inselbewohner schienen sich nicht an dem, für andere vielleicht respektlosen Umgang mit ihren Toten, zu stören.
Der Wald war dicht und die Luft so feucht, dass Faenwulf der Schweiß an Gesicht und Nacken herunter rann. Die ausgetreten Pfade waren zu klein für sie, überragten die Thorwaler, von denen die meisten fast zwei Schritt maßen, die Bewohner um mehrere Ellen. Und es wimmelte von Vögeln. Vögel in allen Größen und Farben flogen zwitschernd und krähend durch die dichten Baumwipfel. Blotgrimm schrie ängstlich auf, als sich eine Schlange vor seinem Gesicht von einem Ast schlängelte.
Die Thorwaler waren sehr ruhig geworden, unsicher auf unbekanntem Land, das so verschieden, so anders als ihre Heimat war. Fast bedrohlich in seiner Hitze und dem dichten Wald mit seinen seltsamen Tieren und Bewohnern.
Sie erreichten eine Lichtung auf der mehrere Hütten standen. Die Dächer waren mit Palmblättern bedeckt und so niedrig, dass keiner von ihnen aufrecht darin stehen konnte. Das Oberhaupt deutete ihnen sich zu setzen und sofort wurden ihnen Früchte und frisches Wasser angeboten. Eine ältere Frau begann sich um Wulfgrimms Arm zu kümmern, der nicht mehr blutete, aber schlimm aussah. Matatoa wechselte erneut ein paar Worte mit ihrem Gastgeber. „Das ist Takile“, stellte er das Oberhaupt vor. “Er will euch Bleichhäuten danken. Er weiß, dass wir wegen den Münzen hier sind. Sie helfen uns nicht, aber zeigen uns wo. Aber erst morgen.“
Die Aufregung machte sich wieder in Faenwulfs Magen breit. Es gab ihn also wirklich und morgen würden sie sich aufmachen den Schatz zu bergen. Die Herferd hatte also doch einen Sinn. Hoffentlich stimmten die Fidlari schon ihre Instrumente. Sie würden viel zu besingen haben.
Sie brachen früh auf. Die Vegahögg war an den Strand gezogen und für eine längere Ruhezeit vorbereitet. Ein junger Mann namens Kasua, Takiles Sohn, würde sie zu den Ort begleiten, an dem der Schatz angeblich verborgen lag. Faenwulf hatte sich die halbe Nacht mit Takile unterhalten, mit Hilfe von Matatoa, und hatte erfahren, dass der Schatz von einem erfolgreichen Piraten versteckt worden war. Er hatte eine seiner Kaperfahrten nicht überlebt, doch der Rest seiner Mannschaft hatte wieder und wieder versucht den Schatz zu bergen. Ohne Erfolg. Die sonst ruhige Insel wurde seitdem immer wieder von Abenteurern und Piraten besucht, die das Gold singen hörten.
Faenwulf hatte die Herferder früh geweckt und während sie sich mit Früchten und frischem Wasser gestärkt hatten, hatte Matatoa sie mit Schutzrunen und kriegerischer Bemalung versehen. Er hatte darauf bestanden und war sehr unruhig seit sie aufgebrochen waren. Auch der Rest der Herferder fühlte sich nicht wohl. Sie waren für so eine Gegend wie die Waldinseln nicht gemacht. Es war zu heiß, die Luft zu feucht und einige bekamen Magenschmerzen von den Früchten, die es hier gab. Faenwulf ließ sie jammern. Jedoch nicht zu laut. Hielten sie erst die Münzen in den Händen, würden sie das alles vergessen haben.
Karva trat zu Faenwulf, während sie sich weiter ihren Weg durch den Wald bahnten. „Wir müssen vorsichtig sein“, begann sie, bedacht darauf, dass die anderen sie nicht hörten. „Das ist unbekanntes Gebiet für uns. Es könnte gefährlich werden. Es ist eine unglaubliche Chance, doch wir dürfen uns von unserer Freude nicht übermannen lassen.“ Faenwulf nickte nur. Er spürte wie seine Stimmung sank, doch Karva hatte wahrscheinlich recht. Ein Schlangenbiss oder ein toter Herferder war das letzte was sie gebrauchen konnten. Es gab immer noch genug in der Mannschaft, die gar nicht einverstanden waren, dass sie sich so weit weg von Zuhause befanden.
So schritten sie weiter, angeführt von Kasua, gefolgt von Faenwulf und Karva. Blotgrimm bildete die Nachhut. Er hatte Thurbold bei dem Dorf gelassen, falls es zu gefährlich werden würde.
Sie liefen gefühlt eine Ewigkeit und Faenwulf spürte wie ihm der Schweiß über Gesicht und Rücken lief. Die Thorwaler waren alle mindestens einen halben Schritt größer als die zierlichen Utulus und doch waren diese ihnen hier überlegen. Kasua verzog ob des langen Wegs keine Miene und er schwitzte auch nicht. Leichtfüßig bahnte er sich barfuß einen Weg durch den Wald während die schwerfälligen Thorwaler kaum hinterher kamen. Nur einige hatten darauf bestanden ihre Skjalde mitzunehmen, da sie im engen Dickicht zu unpraktisch waren. Faenwulf selbst trug seinen Speer, andere hatten Langäxte oder ebenfalls Speere dabei. Eilif hatte vorsichtshalber seinen Bogen geschultert.
Der Wald schien immer dichter zu werden und sie mussten teilweise durch das Dickicht kriechen. Vor allem Blotgrimm, der selbst für einen Thorwaler groß war, hatte seine Probleme.
Sie wanderten in Richtung eines großen Felsen, der Wald und Strand trennte. Durch den gigantischen Felsen traf das Meer hier tiefer auf die Insel und bildete eine Art kleine Lagune. Sie waren nun gut zwei Jurgaliedlängen gegangen und machten die erste Pause am Wasser. Einige konnten die Früchte nicht mehr sehen und aßen lieber Hangikjöt. Eine willkommene Erinnerung an Zuhause.
Matatoa redete mit Kasua, der berichtete, dass es nun nicht mehr weit war. Er schien bedrückt, doch anders als sein Vater ihm befohlen hatte, hatte er beschlossen bei ihnen zu bleiben. Er wollte den Schatz mit ihnen zusammen bergen und sich so beweisen. Faenwulf sagte nichts dagegen. Er war schon immer der Meinung gewesen, dass junge Männer und Frauen sich ihre Hörner abstoßen mussten, so wie er selbst damals. Eltern schränkten ihre Kinder viel zu oft ein, nahmen ihnen ihre Freiheit.
Als Kasua sich erhob, rappelten sich die Herferder ebenfalls auf. Matatoa bat Faenwulf um ein Seil und als Faenwulf realisierte wofür er dieses brauchte, schnürte sich seine Kehle zu. Die Lagune vor der sie standen war der einzige Eingang zu einer Höhle. Der eigentliche Eingang war vor Jahren nach einem Erdbeben verschüttet worden und nicht mehr zugänglich. Einer von ihnen würde daher zuerst in die Höhle tauchen und das Seil als Führung in der Höhle befestigen. Kasua schien die Führung übernehmen zu wollten, knotete das Seil an einen Baum und sprang ins Wasser. Er tauchte schnell und bald war von ihm nichts mehr zu sehen. Faenwulf bekam feuchte Hände. Er konnte schwimmen, doch hatte es nie gerne getan. Sie trugen alle nur ihre Krötenhäute, doch trotzdem erschwerten sie das Schwimmen. Und kein Thorwaler tauchte gerne in eine unbekannte Tiefe.
Es schien Strophe um Strophe zu vergehen, ohne ein Zeichen von Kasua. Faenwulf überlegte schon, ob er selbst runter gehen sollte, als das Seil zu zittern begann und Kasua in einem Schwall Luftblasen auftauchte. Sie würden die Luft lange anhalten müssen und der Tunnel war lang und schmal. Faenwulf versuchte sich seine aufsteigende Angst nicht anmerken zu lassen, doch es war klar, dass er als erstes würde gehen müssen. So schnürte er seine Taschen erneut fester, zog die Stiefel hoch, schenkte der Herferdern ein ermutigendes Lächeln und stieg ins Wasser. Er atmete ein paar mal tief durch, dann ein weiteres Mal tief ein und tauchte unter. Das Seil fest in der rechten Hand zog er sich vorwärts, immer darauf bedacht, dass der Speer sich nicht irgendwo verkantete. Es schien endlos nach unten zu gehen und er spürte den Druck des Wassers auf seinen Ohren. Er schwamm und schwamm und schon bald merkte er wie sein Körper nach Luft verlangte. Faenwulf stieß ein paar Luftblasen durch die Nase aus und hielt vor einem engen Teil des Tunnels inne. Er musste zuerst den Speer hindurchführen und dann hinterher. Es war stockdunkel und seine Lungen begannen zu brennen. Der Drang einzuatmen wurde immer größer und er spürte wie die Angst in ihm wuchs. Faenwulf merkte wie er immer hektischer wurde und versuchte noch schneller zu schwimmen ohne instinktiv einzuatmen. Kleine Lichter begannen vor seinen Augen zu tanzen, doch der Druck auf seinen Ohren ließ nach, als er schließlich die Wasseroberfläche durchbrach. Laut keuchend atmete er tief ein, Flüche ausstoßend, die selbst Blotgrimm hätten erröten lassen. Die verdammte Tiefe würde ihn heute sicher nicht kriegen.