Unser ist das Meer – Kapitel 25

Faenwulf zog sich an Land und blieb auf dem Rücken liegen, immer noch nach Atem ringend. Kasua hatte ein kleines Feuer entzündet, das die einzige Lichtquelle war. Trotzdem konnte der Thorwaler erkennen, dass er sich in einer riesigen Höhle befand, in der es wesentlich kühler war, als draußen. Wasser tropfte von der hohen Decke und es stank fürchterlich. Nach abgestandener Luft, Fisch und Verwesung. Faenwulf schluckte. Etwas stimmte hier nicht. Er schreckte zusammen als Karva prustend aus dem Wasser auftauchte. „Das war knapp“, keuchte sie und hielt Faenwulf die Hand hin, damit er ihr aus dem Wasser half.“Zur Tiefe, ich hoffe das ist es wert.“ Sie schenkte Faenwulf ein schiefes Lächeln und blickte sich in der Höhle um. Einer nach dem anderen tauchte in der Höhle auf. Die Schilde hatten gerade so durch die enge Passage gepasst und keiner war ertrunken. Tjalf hatte fast das Bewusstsein verloren und war in Panik geraten. Hjasgar, der direkt nach im getaucht war, hatte ihn mit an die Oberfläche gezogen.

Sie ruhten sich noch ein paar Strophen lang schnaufend aus, während Matatoa vorsichtig begann die Höhle zu erkunden. Mit den verlaufenen Schutzrunen und den langen, geflocheten Strähnen sah er furchterregend aus, doch seine gütigen Augen sprachen eine andere Sprache. Die Höhle war bedrohlich, nicht nur wegen der herrschenden Dunkelheit. Immer wieder flogen Fledermäuse über sie hinweg, aufgeschreckt durch das Licht und die ungebetenen Eindringlinge. „Lasst sie euch nicht berühren“, flüsterte Blotgrimm finster. „Sie stehlen eure Seele und tragen sie mit sich.“ Ängstlich blickten die Männer und Frauen nach oben, darauf bedacht keins der kreischenden Tiere zu berühren. Faenwulf schluckte, atmete tief ein und wieder aus und griff seinen Speer fester. „Brechen wir auf“, begann er und blickte sich um. Er schritt tiefer in die Höhle hinein. Zwischen den nieder gestürzten Felsen lagen alte, tote Bäume, die vor langer Zeit wohl außerhalb der Höhle gestanden hatten und von herab stürzenden Felsen eingeschlossen wurden. Karva nutzte dieses alte Holz als Fackel, die mehr einer Funzel glich, da das Holz sehr feucht war. Trotzdem war jedes Licht notwendig. So schritten sie weiter, mit eingezogenen Köpfen und jederzeit auf einen Angriff vorbereitet, von was auch immer. Faenwulf bemerkte einen rostigen Säbel, der am Boden neben einem vor langer Zeit ausgetreten Pfad lag und sah, dass sein Griff von einer skelettierten Hand umklammert war. Er sagte nichts, doch er blickte sich noch wachsamer um. Alle zuckten zusammen als jemand gegen einen staubbedeckten Kelch trat, der scheppernd gegen einen Felsen prallte. Der Gestank nahm immer mehr zu, so dass einige sich schon ihre Kopftücher vor die Münder gebunden hatten. Immer häufiger sahen sie glitzernde Gegenstände im Staub liegen. Einzelne Münzen, Kelche, ein Kerzenständer und hin und wieder ein Rüstungsteil. Faenwulf blieb stehen, als er etwas großes vor ihnen erblickte. Er hob seine Fackel und sah den stark verwesten Leichnam eines Mannes. Sein Gesicht war verzerrt und etwas hatte ihm mit unsäglicher Kraft ein Bein ausgerissen. „Lasst uns hier verschwinden“, flüsterte Tjalf und umklammerte einen Talisman, der Swafnir zeigte. Faenwulf ging noch ein paar Schritte weiter, an dem Toten vorbei. Hier war der Boden vor Feuchtigkeit weich und gab bei jedem Schritt nach. In der Ferne sah er etwas schimmern und ging weiter. Und da war er. Der Schatz von dem Matatoa gesprochen hatte. Er sah aus wie die Beute einer erfolgreichen Herferd. Münzen in verrotteten Säcken, mit Edelsteinen besetzte Kelche und Kerzenständer, verzierte Waffen. Die Piraten hatten alles mitgenommen, was für sie wertvoll ausgesehen hatte. In der Nähe sah Faenwulf den verschütteten Eingang der Höhle. Wie einfach es gewesen wäre, wäre dieser noch geöffnet. Er blickte sich zu den anderen um, in deren Augen er eine Mischung aus Furcht und Gier sah. Sie hatten es wirklich geschafft. Faenwulf schenkte ihnen ein breites Grinsen, das verblasste als der Gestank um sie herum nochmal zuzunehmen schien. Matatoa trat vor und packte Faenwulf am Arm. „Yo-Nahoh“, rief er ängstlich. „Yo-Nahoh!“ Faenwulf blickte ihn verständnislos an. „Ich weiß nicht was du….“ Ein markerschütternder Schrei hallte durch die Höhle. Etwas hatte Kasua von den Füßen und in die Höhe gerissen, schleuderte ihn hin und her und mit einem lauten Knirschen gegen die Höhlenwand. Sein Schrei verstummte augenblicklich und er stürzte mit verdrehten Gliedern und einer klaffenden Wunde an der Stirn zu Boden. Noch während sie, gelähmt vor Entsetzen, die Leiche Kasuas betrachteten, packte etwas Tjalf und zog ihn aus dem Lichtschein. Wieder bei sich hoben die Thorwaler die Fackeln und griffen nach ihren Waffen, während Tjalf versuchte im sandigen Boden Halt zu finden. Etwas hatte sich um sein Bein geschlungen und von den Füßen gerissen. Sie liefen hinterher und da sahen sie ihn. Ein Krakenmolch, dessen ausgebreiteten Arme gut zehn Schritt maßen, der nun mit weiteren Tentakeln nach ihnen griff. Er war schnell und bevor sie etwas tun konnten, hatte er Tjalf zu seinem mit unzähligen Zähnen besetzten Maul gezerrt. Tjalfs Schreie verstummten als der Krakenmolch ihn ihn der Mitte durchbiss und Blut und Eingeweide den Boden befleckten. „Bei Swafnir“, keuchte Khemri und umfasste seine Axt fester. Das Monstrum kroch näher an sie heran, die Tentakel gierig ausgestreckt. Faenwulf stieß einen Schrei aus und rammte seinen Speer in einen der Fangarme. Das schien die anderen Herferder aus ihrer Trance zu reißen. Eilif spannte seinen Bogen und schoss dem Ungeheuer einen Pfeil direkt zwischen die Augen, ohne große Wirkung. Ein weiterer der Thorwaler wurde von den Füßen gerissen, doch Karva eilte ihm zur Hilfe. Mit gezielten Hieben schaffte sie es den armen Hund aus den Fängen des Krakenmolchs zu befreien. Das Ungetüm war nun auf einen Kampf aus. Mit seinen langen Armen schlug es nach ihnen, traf Eilif vor der Brust, der gegen die Höhlenwand geschleudert wurde. Blotgrimm stieß einen Schrei aus und stürzte nach vorne. Mit einem mächtigen Hieb durchtrennte er einen der Tentakel. Das Monstrum schrie auf. Ein markerschütternder Schrei, der von den Wänden der Höhle widerhallte. Vier seiner Arme nutzend richtete es sich auf und schritt auf sie zu, mit den verbleibenden drei Armen um sich schlagend. Faenwulf wurde von den Füßen gerissen und er fühlte sich, als hätte ihn ein Pferd vor die Brust getreten. Ihm blieb kurz die Luft weg und er sah nichts außer Sterne. „Der Bauch“, hörte er Matatoa rufen. „Stecht in den Bauch.“ Faenwulf versuchte sich aufzurappeln und schritt auf wackeligen Beinen vorwärts. Das Ungeheuer hatte mit einem Arm den Leichnam Kasuas gegriffen und verschlang ihn, während er weiter um sich schlug und versuchte, sie zu greifen. Faenwulf lief zu Blotgrimm und deute ihm ihm zu folgen. Matatoa folgte ihnen, zusammen mit den anderen mit Speeren bewaffneten Kriegern. Karva beobachtete sie und versuchte dann mit Rufen die Aufmerksamkeit des Monsters zu erlangen, das immer noch über ihnen thronte. Die Jungspunde liefen zu ihr und hieben mit kräftigen Axtschlägen nach den Tentakeln. Der Krakenmolch brüllte auf und wandte sich zu ihnen. Mit einem schnellen Schlag holte er Wulfgrimm von den Füßen, der sich sofort wieder aufrappelte und dem nächsten Hieb geschickt auswich. Den dritten Hieb konterte er und trennte mit einem schnellen Schlag der Orknase den Tentakel in zwei. Faenwulf und die anderen hatten das Ungeheuer umrundet und waren nun unter den riesigen Körper gelangt. Mit gezielten Speerstichen stachen sie immer wieder in den ungeschützten Körper. Eilif schoss einen Pfeil nach dem anderen ab. Die Pfeile drangen bis zu den Federn in den Körper des Krakenmolchs ein. Blotgrimm griff die Langaxt am unteren Teil des Schafts und schwang sie nach oben und ein sauberer Schnitt durchtrennte das von Speerstichen durchbohrte Fleisch. In einem schwarzen, stinkenden Schwall ergossen sich Blut und Eingeweide über sie und sie wären fast von dem schweren Körper des sterbenden Monsters begraben worden. In einem letzten Aufbäumen schlug der Krakenmolch brüllend um sich, zuckte und lag dann still.

Sie blickten sich an. Blutbefleckt und erschöpft. Die Tentakel hatten tiefe Wunden hinterlassen und einige hatten sich gebrochene Knochen zugezogen. Faenwulf wusste nicht ob er lachen oder weinen sollte. Ihm war zu beidem zumute. Matatoa trat zu ihm und legte wortlos eine Hand auf seinen Arm. „Schafft ihr alle den Weg zurück?“, fragte Faenwulf, ohne jemanden direkt anzusehen. Alle bejahten und schritten langsam zu dem Schatz. Karva begann die Reichtümer in ihre Tasche zu schütten und die anderen taten es ihr gleich. Es gab niemanden den sie bestatten konnten, also schritten sie zu dem Tümpel zurück, der ihnen als Eingang zur Höhle gedient hatte. Faenwulf war wieder der erste der tauchte und diesmal dachte er wirklich, es würde es nicht schaffen. Doch Swafnir war bei ihnen und alle Überlebenden kamen aus der Höhle heraus. Die Sonne ging langsam unter und alle sahen müde und geschunden aus. Ihre Arme und Beine waren von tiefen kreisrunden Wunden übersäht und zwei Herferder waren sich sicher, dass ihre Arme gebrochen waren. „Ruht euch noch kurz aus“, sagte Faenwulf bedrückt. „Dann kehren wir ins Dorf zurück.“ Ihm graute davor. Er würde dem Oberhaut Takile berichten müssen, dass sein Sohn tot war. Zerschmettert und verschlungen von einem Ungeheuer. Doch was sollten sie tun? Er musste die Verantwortung übernehmen. Es war seine Herferd und Kasua hatte selbst entschieden, dass er bleiben wollte.

So drängte er sich aufzustehen und sie machten sich auf den Weg zurück. Keiner sprach und selbst Karva schien nicht in der Lage aufmunternde Worte zu finden. Tjalf war tot. Gefressen von einem von Hranngars Kindern. Gab es einen schlimmeren Tod? Tjalf würde nie in Swafnirs Halla sitzen oder an seiner Seite streiten. Er würde für immer in der Dunkelheit gefangen sein, zusammen mit dem Monstrum, das ihn verschlungen hatte.

Faenwulf versuchte diese Gedanken zu verdrängen. Tjalf hatte die Wahl zu gehen. Auf jeder Herferd bestand die Gefahr von der Tiefe verschlungen zu werden, lauerte Hangars Gezücht doch überall. Es war ein furchtbares Ende, doch eins mit dem er hatte rechnen müssen.

Faenwulf verzog das Gesicht und er spürte Kälte in seinem Herzen. Zuviel Mitleid machte das Herz weich, doch zu wenig ließ es erstarren. Der Mittelweg war kein leichter.

Sie erblickten die Lichter des Dorfes in der Ferne und die ersten begrüßten sie. Einer von ihnen war Takile. Er blickte Faenwulf mit fragenden Augen an, als er seinen Sohn nicht unter den Zurückgekehrten sah. Matatoa wich Faenwulf nicht von der Seite als dieser Takile in seine Hütte folgte. Matatoa erklärte alles und Takile trug alles mit Fassung. Er glaube ihnen, dass sein Sohn aus freien Stücken geblieben war. Was sein Volk daraus machte verstand Faenwulf nicht, doch er fragte nicht weiter nach. Er verließ die Hütte und ließ Takile mit seiner Trauer allein.

„Der Tod war nicht neu für sie“, sagte Matatoa bevor sie zu den anderen zurückkehrten. „Sie haben den Tod schon oft gesehen, doch diesmal sah er auch sie.“ Er blickte Faenwulf mit seinen dunklen Augen an und dieser verstand genau was der Moha ihm sagen wollte. Dieser schenkte ihm ein warmes Lächeln und schritt dann zu den anderen.

Sie saßen um ein Feuer und versorgten ihre Wunden. „Wir haben ihn wirklich gefunden“, brummte Faenwulf und ließ sich schwerfällig in den Sand fallen. Er zog seine Stiefel aus, die immer noch voller Wasser waren. Blotgrimm, der seine Füße und Socken am Feuer trocknete, Thurbold auf seinem Schoß, nickte bedächtig. „Das war ein unglaublicher Kampf“, begann er. „Zu so wenigen Leuten einen so großen Krakenmolch zu erlegen, ist keine Selbstverständlichkeit.“ Und irgendwie reichten diese Worte aus, um die Stimmung zu heben. Sie hatten Verluste erlitten, doch sie hatten auch einen Sieg errungen. Sie hatten ein riesiges Ungeheuer besiegt und einen Schatz erbeutet, den andere schon seit Jahren suchten. Das Glück ist mit den Dummen, dachte Faenwulf schmunzelnd. Und Swafnir auch.

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