Unser ist das Meer – Kapitel 29

Sein Gesicht in den Wind haltend, schloss Faenwulf die Augen und sog den Geruch des salzigen Meeres tief ein. Seine Hände, die das Ruder umklammerten, kribbelten angenehm. Sie waren wieder unterwegs und würden bei gutem Wind heute Brabak erreichen.

Der Winter war lang gewesen. Die Herferder hatten bald nach dem Sturm begonnen die Vegahögg zu reparieren. Wulfgrimm war ihnen da als Schiffszimmermann eine große Hilfe und mit dem Holz eines vor Monaten gestrandeten Wracks konnten sie den Riss im Rumpf des Drakkars flicken. Die Stimmung war angespannt und nach Wochen waren alle Geschichten und Abenteuer erzählt. Sie sehnten sich nach ihrer Heimat, dem Essen und den Gebräuchen. Die Bewohner Aenikos behandelten sie wie die ihren, doch das reichte nicht. Schon bald konnten sie keine Früchte mehr sehen und auch die heiße Sonne und der weiße Strand begann an ihrem Gemüt zu nagen. Dass ihre Situation nicht zu ändern und es die beste Entscheidung war, den Winter auf der Insel zu verbringen, änderte die sinkende Stimmung nicht. Immer häufiger stritten sich die Herferder, es kam zu Schlägereien und Anfeindungen, doch Faenwulf und Karva gelang es immer wieder, die Wogen zu glätten. Sie verstanden, dass die Männer und Frauen zu ihren Familien und in ihre Heimat zurückkehren wollten. Matatoa half ihnen weiterhin beim Gespräch mit den Inselbewohnern. Faenwulf war ihnen dankbar, doch auch sie verstanden, dass die Thorwaler das Segel setzten, sobald es ihnen möglich war. Und doch war ihr langer Aufenthalt nicht ausschließlich schlecht. Sie hatten hier Freunde gefunden und wahrscheinlich das größte Abenteuer ihres Lebens hier erlebt. So rollten doch ein paar Tränen beim Abschied und das Versprechen wurde gegeben, dass man sich noch in diesem Leben wiedersah.

Und dann waren sie gesegelt. Die Vegahögg wesentlich schwerer als bei ihrer Ankunft und der erbeutete Schatz in Ruderkisten und Säcken verstaut. In Brabak würden sie das meiste davon zu einem guten Preis eintauschen. Wenn Faenwulf etwas konnte, dann war es Handel.

Sie steuerten den Hafen von Brabak an. Die Stadt schien nach ihrem langen Aufenthalt auf der Waldinsel noch lauter, belebter und dreckiger zu sein als vorher. Faenwulf zögerte kurz bevor er auf den Steg sprang, überwältigt von den Eindrücken. Blotgrimm legte ihm eine schwere Hand auf die Schulter und sprang dann mit seinem besten Freund von Bord. Sofort umschwärmten sie Händler wie Fliegen, doch Faenwulf wusste mit wem er hier gute Geschäfte machen konnte. Sie hatten in der langen Zeit des Winters den Schatz sortiert und sich entschieden die Münzen bis nach Thorwal zu transportieren. Der Rest würde verkauft. Faenwulf steuerte zielstrebig ein Haus an, das einem alten Bekannten von ihm gehörte. Schon in jungen Jahren war Faenwulf mehrfach nach Brabak gereist und hatte dort einen Andergaster namens Marek Dreuber kennengelernt. Es gab kaum eine zwielichtigere Person, doch Faenwulf hatte mit ihm immer gute Geschäfte gemacht. Marek fragte nie woher die Waren kamen, die man ihm anbot und zahlte gut. Er machte gerne Geschäfte mit Thorwalern und hatte keine Probleme mit ihren Plünderungen und dem Brandschatzen.

Als Faenwulf sein Haus betrat, hellte sich Mareks Gesicht vor Überraschung auf. „Du bist braungebrannt wie ein Spanferkel“, bemerkte er und musterte Faenwulf von oben bis unten. Man sah die Neugier in seinen Augen, doch als Faenwulf ihm nicht weiter erläuterte wo er die Sonne genossen hatte, fragte Marek auch nicht weiter nach. Faenwulf leerte zwei große Säcke mit wertvollen Gegenständen. Kelche, Kerzenhalter, Schmuck und blickte Marek erwartungsvoll an. Dieser grinste breit und prüfte die Gegenstände auf ihren Wert. „Du hast ihn tatsächlich gefunden“, bemerkte er dann. „Den Schatz von dem hier geflüstert wurde.“ Faenwulf nickte nur, hüllte sich aber weiterhin in Schweigen. Marek sortierte die Gegenstände nach Wert und Größe, rechnete und wog. Faenwulf wusste, dass dies zu seinem Ablauf gehörte und wartete weiterhin. Wenn Marek genug bezahlte, konnte er auch ruhig Räder schlagen. Faenwulf war dies gleich. Schließlich machte der Andergaster ihm ein Angebot und Faenwulf war über die Höhe der Summe überrascht. Natürlich gab es einen Haken und er wusste, dass Marek ihm nichts schenkte, doch er feilschte nur ein bisschen. Nach einigem Jammern von Marek, dass Faenwulf ihn zu einem armen Mann machte, schlugen sie ein und Marek reichte Faenwulf zwei Beutel voller Münzen. Sie tranken noch ein Premer Feuer zusammen um das Geschäft zu besiegeln. Dann verließ Faenwulf das Haus. Er hatte das Gefühl, dass er Marek für lange Zeit nicht mehr sehen würde. Wenn es nicht sogar das letzte Mal war.

So wie der Rest der Mannschaft sehnte Faenwulf sich nach einem gemütlichen Lager, Ahl, Mjöt und etwas anderem zu essen als Früchten und Krakenmolch. Er ging also zu dem Gasthaus, in dem er und die Herferder vor so vielen Monden genächtigt und getrunken hatten. Wo Matatoa ihm von dem Schatz erzählt hatte und sie die Entscheidung getroffen hatten, nach Aeniko zu segeln. Der Wirt erinnerte sich nicht an ihn, freute sich jedoch sehr über seinen thorwalschen Kunden als dieser ihm mitteilte, dass er alle Schlafplätze des Gasthauses brauchte, sowie ein Fass Ahl und einen guten Eintopf mit viel Fleisch. Faenwulf nahm an einem leeren Tisch Platz und genehmigte sich schon mal einen Krug kühles Ahl. Es schien als hätte er noch nie etwas so leckeres getrunken. Würzig und frisch und so viel besser als das fade Wasser auf der Insel. Er bestellte sich direkt noch einen Krug sowie ein Stück frisches Brot, Käse und Speck. Sie alle hatten auf der Insel an Gewicht verloren, waren sie doch anderes gewohnt.

Es dauerte nicht lange bis Blotgrimm, gefolgt von Matatoa, das Gasthaus betrat. Thurbold trottete gutmütig hinter ihnen her. Matatoa, dessen Haut nun schon einige Hautbilder zierten, wenn auch unsauber gestochen, nahm freudig neben Faenwulf Platz und bestellte ebenfalls einen Krug Ahl. In diesem Gasthaus war er schließlich auf den Geschmack des leckeren Gebräus gekommen. Beherzt biss er in das Stück Brot auf Faenwulfs Teller und ließ sich zufrieden in die Lehne der Bank sinken. Blotgrimm und Faenwulf tauschten amüsierte Blicke. Sie hatten den Moha ins Herz geschlossen und er war nach so kurzer Zeit einer ihrer engsten Freunde geworden. Faenwulf hatte sofort eingewilligt, als Matatoa ihn gefragt hatte, ob er sie auch weiterhin begleiten durfte. Trotz der Warnung, dass Faenwulf nicht wusste, wie es nach ihrer Rückkehr nach Thorwal weiterging, wollte Matatoa weiterhin mit ihnen reisen und Faenwulf kam es fast so vor, als wüsste er etwas, was ihm bisher noch verborgen blieb.

„Ich habe den anderen gesagt, dass sie ins Gasthaus kommen sollen“, dröhnte Blotgrimm und leerte seinen Krug. „Dachte mir schon, dass du dir was für uns überlegt hast“. Faenwulf lachte. Es klang als wäre er eine fürsorgliche Mutter am Swafnirstag. Er spürte wie ihm das Ahl zu Kopf stieg, doch er hatte bereits den Plan gefasst sich ordentlich zu betrinken.

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