Nach und nach trafen die anderen Herferder ein. Ihre Laune schien sich gebessert zu haben und selbst Eilif, der alte Sauertopf, ließ sich ein Lächeln abringen. Nach dem vierten Krug Ahl stimmte Blotgrimm ein Lied an und selbst die, die den Text nicht wirklich kannten, stimmten ein. Schon bald waren die meisten von ihnen völlig betrunken und selbst durch seinen nebligen Kopf spürte Faenwulf wie sehr er das vermisst hatte. Sie hatten mit ihrer Anwesenheit das Gasthaus in eine thorwalsche Taverne verwandelt, was die anderen Gäste nicht zu stören schien. Einige hatten bereits an dem großen Tisch, an dem die Thorwaler saßen, Platz genommen.
Bryda, die zum Tisch getorkelt kam, einen Krug Ahl in der einen und einen Becher Premer Feuer in der anderen Hand, nahm auf Faenwulfs Schoß Platz. Während der Zeit auf Aeniko hatte sie sich zurück gehalten, doch jetzt, in trunkenem Zustand, schien Karvas giftiger Blick sie nicht zu stören. Sie säuselte Faenwulf verführerische Dinge ins Ohr, die aufgrund des Lärms glücklicherweise niemand anderes hörte. Faenwulf nahm ihr das Premer Feuer aus der Hand und leerte den Becher in einem Zug, während seine andere Hand an Stellen wanderte, für die er bei anderen Konas normalerweise eine Ohrfeige kassiert hätte. Bryda schlang ihre Arme um seinen Hals und sie tauschten einen leidenschaftlichen Kuss. Obwohl Faenwulf nicht unerfreut über die Situation war, brauchte er doch etwas frische Luft bevor es weiter ging. „Ich bin gleich zurück“, flüsterte er Bryda zu und verließ die Gaststätte.
Draußen war es wesentlich kühler und die Luft half ihm, wieder etwas klarer zu werden. Außerdem merkte er jetzt wie dringend er pinkeln musste. Leicht schwankend in eine Gasse torkelnd, dachte Faenwulf noch darüber nach, dass Karva sicher ziemlich wütend sein würde, wenn das mit Bryda so weiter ging. Sie waren kein Paar, weder er und Bryda, noch er und Karva, und doch verband ihn irgendetwas mit seiner alten Freundin das über normale Freundschaft hinaus ging. Natürlich hatten sie schon häufiger das Lager geteilt, doch das war Jahre her.
Die Gasse wieder verlassend, hörte Faenwulf plötzlich schnelle Schritte hinter sich. Er war betrunken, doch nicht so sehr, dass er nicht trotzdem achtsam war. Er fuhr herum und sah im letzten Moment das Glänzen einer Klinge. Den Dolch mit dem Arm abwehrend, drang die Klinge in seine linke Schulter und nicht, wie geplant, in seinen Hals. Er schlug seinen Angreifer zu Boden und packte den Griff des Dolches. Nicht rausziehen, hörte er Ingibjörgs Stimme in seinem Kopf. „Verdammte Scheiße“, fluchte Faenwulf laut und trat einen Schritt auf den am Boden liegenden Angreifer zu. Er spürte das Blut heiß seine Seite herunter rinnen und seinen linken Arm konnte er kaum bewegen. Faenwulf überlegte ob er dem Angreifer mit einem gezielten Tritt ein Ende bereiten sollte, als er erneut Schritte hinter sich hörte. Es sind zwei, dachte Faenwulf, hoffend, den zweiten Angreifer abwehren zu können. Auch dieser attackierte ihn mit einem Dolch und Faenwulf versuchte in seinem trunkenen Zustand den Angriffen auszuweichen. Die Klinge fügte ihm zwei weitere tiefe Schnitte zu, als er ein grollendes Knurren hörte. Der Angreifer wurde zu Boden gerissen und etwas verbiss sich in seiner Kehle. Die Schreie verstummten schnell und voller Erleichterung sah Faenwulf, dass es Thurbold war, der dem Angreifer die Kehle zerfetzt und ihm somit das Leben gerettet hatte.
Der sonst so friedliche Olporter trottete zu ihm und wich ihm auf dem Weg zum Gasthaus nicht von der Seite. Immer noch stark blutend betrat Faenwulf den Raum, woraufhin das Lachen und der Gesang augenblicklich verstummten. Blotgrimm, ungewöhnlich flink für seine Größe, war als erstes bei ihm. „Was zur Tiefe ist passiert?“, rief er und begann seinen Freund zu stützen, darauf bedacht den aus Faenwulfs Schulter ragenden Dolchgriff nicht zu berühren. „Bin angegriffen worden“, knurrte Faenwulf, dem langsam schwarz vor Augen wurde. Karva eilte nach draußen, um einen Heilari zu suchen, während die drei Jungspunde sich um die Angreifer kümmerten.
Blotgrimm trug seinen Freund auf ein Strohlager und versuchte die Blutung zu stillen, während sie auf einen Heilari warteten. Immer wieder verlor Faenwulf das Bewusstsein, doch er spürte sehr wohl das Beißholz, das Blotgrimm ihm zwischen die Zähne schob und den brennenden Schmerz, als der Heilari den Dolch aus seiner Schulter entfernte. Die anderen Herferder warteten besorgt vor der Tür, durch die sie die Schmerzensschreie ihres Anführers hörten. Erst als klar war, dass Faenwulf nicht sterben würde, gingen die meisten zu Bett.
Faenwulf erwachte am nächsten Morgen mit einer verbundenen Schulter und zu allem Überfluss mit einem ordentlichen Katzenjammer. Auf dem Lager neben ihm lag Bryda, die die ganze Nacht an seiner Seite geblieben war und nicht erwachte als Faenwulf sich erhob. Sein Hals war trocken und er war erschöpft. Vor Schmerzen verzog er das Gesicht und schritt nach draußen, wo er auf Karva traf. Sie blickte nicht auf, als er zu ihr ging. „Du musst von jetzt an besser auf dich aufpassen“, begann sie und blickte dann Faenwulf an. „Und wir müssen hier weg.“ Sie hielt ein Stück Papier hoch und obwohl Faenwulf nicht lesen konnte, erkannte er, dass es ein Steckbrief war. Sein Steckbrief mit einem Bild, das ihn sogar relativ gut getroffen hatte. „Du wirst gesucht. Bevorzugt tot“, erklärte Karva. „Der Mann dem das Sklavenschiff gehörte, hat ein Kopfgeld auf dich ausgesetzt. Eine sehr hohe Summe.“ Faenwulf verzog angewidert das Gesicht. Ließ das Stück Papier zu Boden fallen und spuckte darauf. „Dann machen wir, dass wir hier weg kommen“, sagte er finster. „Es wird Zeit dass wir nach Hause segeln.“