Unser ist das Meer – Kapitel 32

Sie kamen langsamer vorwärts als geplant. Die Winde waren ihnen nicht wohlgesonnen und mit Matatoa als Ersatz für Tjalf und Faenwulf, der in seinem Zustand kaum rudern konnte, bewegte sich die Vegahögg schwerfälliger über das Wasser als sonst. Faenwulf musste immer wieder Pausen machen in denen er finster dreinblickend am Drachenkopf stand und ins tiefe Blau des Meeres starrte. Es ärgerte ihn, dass seine Mannschaft wegen ihm einer solchen Gefahr ausgesetzt war. Die meisten Kopfgeldjäger waren unbarmherzige Hurensöhne und je höher die Summe war, die auf einen Kopf ausgesetzt war, desto skrupelloser wurden sie. Faenwulf kannte nicht einmal den Namen das Sklaventreibers, der seinen Schädel auf einem Speer sehen wollte, doch er verfluchte ihn innerlich.

Als sich einer der Winde doch erbarmte und das Segel gesetzt werden konnte, wurden die Ruder eingezogen. Die meisten zählten wieder und wieder ihren Anteil der Beute, immer noch sprachlos, dass diese verrückte Herferd tatsächlich von Erfolg gekrönt war. Die Vorfreude wuchs. Zurück in Thorwal würden die meisten wohl zu ihren Familien zurück kehren oder den Winter in den Tavernen und Hurenhäusern verbringen. Faenwulf gönnte ihnen alles Gute das ihnen widerfahren mochte. Es war die beste Mannschaft die er bisher zusammen gebracht hatte und es stimmte ihn etwas melancholisch zu wissen, dass die Fahrt sehr bald enden würde.

Karva trat zu ihm und legte, wie so oft, ihre kühle Hand in seinen, von der Sonne Aenikos gebräunten, Nacken. „Du grübelst schon wieder so viel“, bemerkte sie und lächelte ihren alten Freund leicht an. „Wir haben es bald geschafft. Freu dich doch ein bisschen.“ Faenwulf nickte, seufzte dabei aber tief. Die Melancholie, die sein Volk häufig heimsuchte, hatte ihn erwischt. „Du hast ja recht“, antwortete er und blickte in die Ferne. „Mich stimmt es nur traurig, dass die Herferd bald vorbei ist.“ Karva seufzte ebenfalls und blickte zurück auf die Mannschaft, die sich vom langen Rudern ausruhte, offensichtlich gespannt auf ihre Rückkehr nach Thorwal. „Du hast mehr vollbracht, als die meisten sich nur erträumen können“, bemerkte Karva tröstend und blickte Faenwulf in die blauen Augen. „Wir haben genügend Abenteuer erlebt um zahllose Skalden und Fiddlari für Jahre zu beschäftigen. Diese Herferd wird legendär werden. Natürlich mussten wir auch einstecken, aber überleg doch was wir erlebt haben. Wie sehr du das Leben der meisten hier verändert hast. Und es kann ja noch weiter gehen. Wer sagt denn das alles jetzt enden muss?“ Faenwulf blickte Karva dankbar an und legte seine raue Hand auf ihre Wange. So viele Gedanken schossen gerade durch seinen Kopf.

„Wir kriegen Besuch“, rief Eilif und riss die beiden aus ihrem vertraulichen Gespräch. „Ziemlich ungebetenen Besuch.“ Er verzog das Gesicht und spuckte ins Wasser. Faenwulf eilte zu seinem Steuermann und blickte nach hinten. Seine Augen waren nicht so gut wie die von Eilif, doch auch er sah sie. Zwei Galeeren, schwarz wie die Nacht, mit schwarzen Segeln. Diese verdammten al’anfanischen Hurensöhne, fluchte Faenwulf innerlich. Sie hatten sich vom offenen Meer her genähert und folgten ihnen jetzt.

„Sie jagen uns“, bemerkte Karva, die neben ihn getreten war. Ihr Blick zeigte entsetzen, aber auch die Erwartung, dass er etwas tat. Sie hatten keine Wahl, sie mussten weg. Gegen zwei Galeeren kamen sie nicht an, schon gar nicht mit reduzierter Mannschaft.

„An die Ruder“, brüllte Faenwulf. „Wir verschwinden von hier. Die Bastarde werden uns nicht kriegen.“ Die Mannschaft blickte sich besorgt an, doch sofort setzten sie sich auf ihre Ruderkisten und ruderten. Auch Faenwulf begann wieder zu rudern und versuchte die Schmerzen in seiner Schulter so gut es ging zu ignorieren. Sie mussten versuchen einem Kampf so gut es ging aus dem Weg zu gehen. Es war jetzt nicht mehr weit.

Ihnen allen lief der Schweiß am Körper herab, doch sie Galeeren kamen immer näher. Die innerlichen Flüche waren mittlerweile zu lauten Flüchen geworden, die von der gesamten Mannschaft laut geäußert wurden. „Da vorne“, rief Matatoa, der aussah als würde er vor Erschöpfung gleich das Bewusstsein verlieren. Er konnte nicht äußern was er sah, hatte der zierliche Moha wahrscheinlich noch nie Berge gesehen. Die sichere Heimat war so nah. „Eins der Schiffe dreht ab“, rief Eilif. „Die anderen Bastarde hängen uns aber immer noch am Arsch.“ Faenwulf warf einen Blick zurück. Eilif hatte leicht untertrieben. Die Galeere war nun so nah, dass er die Gesichter der Mannschaft sehen konnte und der Rammsporn für sie in Kürze eine echte Gefahr darstellen würde. Komm schon altes Mädchen, fluchte Faenwulf innerlich und warf einen Blick auf seine Orknase. Wenn die Galeere sie einholte, waren sie geliefert. Er konnte das Brüllen der Mannschaft hören, die ihnen in fremden Zungen Flüche entgegen riefen.

„Sie sind gleich da“, rief Eilif nach hinten und Faenwulf wusste dass sie keine andere Wahl hatten. „Eilif“, rief er und zog sein Ruder ein. „Du bleibst am Steuer und hältst den Drakkar von diesem Rammsporn fern. Der Rest rüstet sich und nimmt seine Waffen. Ladet den Aal.“ Sein Blick blieb an Matatoa hängen, der ihn mit Verzweiflung in den Augen anblickte. „Du gehst nicht zurück“, versicherte ihm Faenwulf und drückte ihm eine Orknase in die Hand. „Wenn, dann gehst du mit uns zu Swafnir.“ Matatoa nahm kurz Faenwulfs Hand und lächelte. „Swafnir“, sagte er leise. „Die alte Flosse.“ Faenwulf nickte. Nächtelang hatte er mit Matatoa über seinen Vater Swafnir gesprochen und der junge Moha hatte ihm gespannt gelauscht. Karva hatte ihm ein Amulett mit dem Antlitz Swafnirs aus einer weißen Muschel geschnitzt und Matatoa hatte es seitdem nicht mehr abgelegt. Sein erstes Hautbild war das der Pottwalrune, gestochen mit weißer Farbe, die geheimnisvoll in der dunklen Haut des Moha schimmerte. Sie bedeckte nun einen großen Teil der Narben, die er in der Gefangenschaft der Al’Anfaner erlitten hatte und sollte ein Symbol dafür sein, dass er nun für immer frei war.

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