Unser ist das Meer – Kapitel 35

Noch bevor die meisten der anderen wach waren, schlenderte Faenwulf zum Hafen. Er musste nicht lange suchen, um Runolf Holzauge zu finden. Dieser musterte Faenwulf mit der gewohnten Verachtung, aber auch mit unverhohlener Neugier.
„Ist es wahr?“ begann er. „Hast du einen Schatz am Ende der Welt gefunden?“ Faenwulf nickte stolz, ging jedoch nicht weiter auf ihre Abenteuer ein. Runolf war ein Sauertopf und Schandmaul und es war sicher, dass er sich schon etliche Male über Faenwulf das Maul zerrissen hatte. Faenwulf kehrte nur immer wieder zu ihm zurück, da er einer der besten Skipsmider Thorwals war.
Die Vegahögg war arg mitgenommen und es würde einen ordentlichen Batzen Geld kosten, das alte Mädchen wieder auf Vordermann zu bringen. Doch Geld hatte Faenwulf nun genug und er sagte Runolf offen, dass er alles notwendige veranlassen sollte. Der Drakkar sollte nächstes Jahr wieder aussehen wie neu.
Runolf murmelte, dass er Skipsmider war und kein Galdmader, doch ein neues Schiff kam für Faenwulf nicht in Frage.
Faenwulf erblickte Wulfgrimm, der mit offensichtlich schmerzendem Schädel und einem ordentlichen Katzenjammer, seinen Weg in den Hafen gefunden hatte. „Sie ist ein besonders schönes Schiff“, bemerkte Wulfgrimm und betrachtete die Vegahögg. Faenwulf stimmte ihm zu. „Ich habe sie schon viele Winter und sie hat mich nie im Stich gelassen.“ „Wo hast du sie her?“, fragte Wulfgrimm, erstaunt darüber, dass ein Mann ohne Ottajasko in Besitz eines stolzen Drakkars war. „Ich habe sie damals…“ Faenwulfs Erzählung wurde von den lauten Flüchen Runolfs unterbrochen. „Du verräterischer Hund“, brüllte er und warf ein Holzscheit nach Wulfgrimm. „Ich habe dich versorgt und ausgebildet und wie dankst du mir? Du verschwindest ohne ein Wort und ich stehe mit nur einem Lehrling da!“ Wulfgrimm ging hinter Faenwulf in Deckung, der sich freundlich aber hektisch von Runolf abwandte. Er dankte ihm erneut, dass er die Vegahögg zu reparieren bereit war und verabschiedete sich dann bis zum nächsten Faramond. Die lauten Flüche folgten ihnen noch durch etliche Straßen.

So saßen sie nun beisammen. Die Schädel schmerzten mittlerweile weniger und alle waren bereit für die nächsten Schritte.
„Unser Ziel ist ein Berg im Norden Waskirs“, begann Faenwulf. „Karva hat dort lange mit ihrem Vater gelebt. Es ist abgelegen, aber sicher und wir bleiben dort auf jeden Fall unter uns. So haben wir die Möglichkeit ein Ottaskin aufzubauen und ich werde nicht von irgendwelchen gierigen Kopfgeldjägern gestört.“ Faenwulf verzog das Gesicht und die anderen spuckten wütend auf den Boden. Faenwulf hoffte, dass er bis nächstes Jahr bei den Al’Anfanern in Vergessenheit geraten war. Er wollte nicht ständig mit einem offenen Auge schlafen, damit ihn niemand im Schlaf erdolchte.
„Dann ist es entschieden“, dröhnte Blotgrimm und erhob sich. „Am besten brechen wir sofort auf. Es ist ein langer Marsch zum Berg.“ Einige erhoben sich, doch sie alle blickten Faenwulf an, bis dieser nickte und sich ebenfalls erhob. „Gehen wir!“
Faenwulf hatte einen Karren und ein Pony besorgt, das diesen zog. Hjasgar hatte vorgeschlagen, dass Blotgrimm und das Pony sich beim Ziehen des Karrens abwechseln konnten, was für einige Lacher gesorgt hatte. Faenwulf fand die Idee gar nicht schlecht.
Sie hatten ihre Ruderkisten und einen Großteil der Münzen auf den Karren geladen, ihre Seesäcke und Waffen geschultert.
Und so ging ihre Reise weiter. Sie verließen Olport durch ein kleineres Tor und ein letztes Mal blickte Faenwulf zurück auf die stolze Stadt Olport und das Meer. Sein Herz schmerzte allerdings nur leicht bei dem Gedanken was alles noch vor ihnen lag.

Blotgrimm summte eine leise Melodie, während Thurbold ihnen stets ein paar Schritt voraus war und neugierig in jedem zweiten Gebüsch schnüffelte. Zornbrecht hatte es sich auf Karvas Schultern gemütlich gemacht und zierte sie wie ein zerzauster Fellkragen.
Die meisten waren schnell außer Puste. Sie waren nach der langen Zeit ans Rudern gewöhnt, aber nicht durch bergiges Hochland zu marschieren. Sie waren nicht in Eile und so machten sie mehr Pausen als eigentlich nötig waren. Alle waren guter Stimmung und schwatzten gespannt über ihre ungewisse Zukunft. Niemand schien jedoch Angst vor ihrer offenen Zukunft zu haben. Zu sehr vertrauten sie Faenwulf und seinem Urteil. Wenn er sagte, dass ein Ottaskin an so einem fernen Ort eine gute Idee war, so musste es so sein. Faenwulf grübelte. Er selbst war nie Mitglied einer Ottajasko gewesen, doch er nahm sich vor, ihnen mehr eigenes Denken zu überlassen. Er war nicht mehr ihr Kapitän, sondern nun auch nur einer von ihnen. Die Entscheidungen sollten von nun an von allen getroffen werden.

Sie wanderten, bis die Sonne begann unter zu gehen. Ihr Abendessen würde aus Hangikjöt, Hangifisk, Brot und Äpfeln bestehen. Bis sie am Berg ankamen, würden solche Mahlzeiten häufiger vorkommen, doch sie waren alle viel zu aufgeregt, als dass sie das stören würde.
Sie saßen nun um ein kleines Feuer, alle in Decken oder Felle gewickelt und ziemlich zufrieden. Natürlich dachten sie alle noch über die Abenteuer nach, die sie zusammen erlebt hatten, doch gemeinsam sprachen sie nicht mehr viel darüber. Alles was gesagt werden konnte war gesagt. Ihre Wunden waren verheilt und vernarbt. Einige von ihnen trugen noch immer die Spuren der mächtigen Saugnäpfe des Krakenmolchs, andere spürten bei einem Wetterwechsel ihre gebrochenen und wieder verheilten Knochen. Matatoa blickte begeistert in diesen Teil der Welt, der ihm so fremd war.
„Du hast nicht zu Ende erzählt woher du die Vegahögg hast“, bemerkte Wulfgrimm, der neben Faenwulf saß, in eine Decke gewickelt und an einem Stück Trockenfleisch kauend.
„Das ist eine großartige Geschichte“, dröhnte Blotgrimm. „Lass hören!“ Faenwulf schmunzelte, nahm einen Schluck Wasser und begann.

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