Die Geschichte der Vargberg-Ottajasko
- Unser ist das Meer – Kapitel 1
Schon beim letzten Mal war ihm der Aufstieg anstrengend vorgekommen, doch diesmal war es sogar noch schwieriger. Als Faenwulf das Plateau erreichte, ging sein Atem schnell und kleine Schweißtropfen glänzten auf seiner Stirn, doch er war froh diesen Ort zu besuchen. Einen Ort den er nur mit guten Erinnerungen verband. Warme Abende am Feuer, heldenhafte Geschichten, köstliche Eintöpfe und heißer Met. Sein Ziel war ein Berg in einer Biegung des Merek, im Norden Thorwals. Ein Ort im Nirgendwo, an dem es im Sommer unangenehm warm und feucht und im Winter so kalt war, dass die Tiere im Wald erfroren und der Merek komplett mit einer dicken Eisschicht bedeckt war. Dieser Berg aus Kalkstein, war das Zuhause seines Freundes und Faenwulf nahm diesen Weg nur gerne auf sich. Nichts hatte sich in all den Jahren verändert und jetzt im Frühling war es hier fast idyllisch schön. Als Faenwulf näher an das Grassodenhaus herantrat, öffnete sich die Tür und ein alter Mann schritt heraus. Auf einen Stock gestützt, blinzelte er mit zusammengekniffenen Augen in die Sonne. Er ging gebückt, so dass sein langer Bart, der mit Perlen und Talismanen geschmückt war, fast bis zum Boden reichte. Sein Kopf war kahl und seine Glatze mit verschlungenen Runen verziert. An seinem Ohr baumelte ein Ohrring mit dem Fangzahn eines Wolfs. Zuerst musterte er den jüngeren Mann skeptisch, dann erstrahlte sein Gesicht zu einem breiten Grinsen, das etliche Zahnlücken sehen ließ. „Faenwulf“, rief der Alte aus. „Wie lange ist es her, seit du mich das letzte Mal besucht hast? Fünf Jahre? Zehn?“ Auch Faenwulf grinste jetzt breit und lief auf seinen alten Freund zu. „Eher fünfzehn“, sagte er lachend und schloss den alten Mann in die Arme. Die Umarmung des Alten war überraschend kräftig und kurz wich Faenwulf sämtliche Luft aus seinen Lungen. Er unterschätzte seinen alten Freund immer wieder, sah man ihm doch die Zeit an, die er auf Dere verbracht hatte. Doch wäre Ingibjörg ein schwacher alter Mann, hätte er hier nicht so lange überlebt. Die Winter wurden kalt, die Raubtiere waren zahlreich und nur selten verirrte sich ein Händler hierher. Ingibjörg wusste jedoch wie er für sich sorgen konnte und tat dies bereits seit vielen Jahren. Faenwulf blickte auf, als eine Frau aus dem Haus trat. Auch sie erkannte er sofort. „Karva“, rief er fröhlich aus. „Du bist immer noch hier.“ Ein Kommentar, den er sich nicht verkneifen konnte. Die Frau blickte ihn würdevoll an. Ihr rotbraunes Haar war mit weißen Strähnen durchzogen und hing in einem dicken, mit Perlen geschmückten, Zopf fast bis in ihre Kniekehlen. „Ich werde immer hier sein“, sagte sie wohlwollend und schloss Faenwulf nun auch in ihre Arme. Sie war die Letzte hier am Berg. Alle anderen waren ausgezogen, um nach Abenteuer, Gold und Liebe zu suchen. Von den vielen Kindern Ingibjörgs des Alten war nur noch Karva geblieben. Sie lebten hier zu zweit mit ein paar Hühnern und Ziegen. Es war ein schöner, jedoch auch ein rauer Ort, mit einem Wald, in dem es vor Wölfen nur so wimmelte und auch Schwarzpelze waren hier, durch die Nähe zur großen Olochtai, keine Seltenheit. Schon häufig hatte Faenwulf den Alten gefragt, wieso er gerade hier seine Hütte erbaut hatte und immer hatte Ingibjörg geantwortet: Weil es mir hier gefällt. Diese Antwort war so gut wie jede Antwort, fand Faenwulf, und hatte irgendwann aufgehört zu fragen. Ingibjörg schritt zum Brunnen neben dem Haus und hievte den Eimer nach oben. Darin schwamm eine große Tonflasche, die der Alte heraushob. „So bleibt er schön kalt“, sagte er wissend, zog den Korken und nahm einen tiefen Schluck. Genüsslich leckte er sich die Lippen und reichte die Flasche an Faenwulf weiter, der sofort wusste was ihm angeboten wurde. Dieser köstliche Kräuterschnaps war die Spezialität des Alten und wäre durchaus eine Kaperfahrt wert gewesen. Faenwulf nahm zwei große Schlucke, wobei die Perlen in seinem rot-blonden Bart am kalten Ton der Flasche klickten. „Wie sehr habe ich das vermisst“, schmatzte er und nahm direkt noch einen Schluck, bevor er die Flasche an Karva weiter reichte, die den Rest in zwei großen Zügen leerte. Noch lange würden sie die Kräuter und den Honig auf ihren Lippen schmecken. „Sehr gut, sehr gut“, lachte Ingibjörg und nahm seiner Tochter die leere Flasche ab. „Ich werde wohl bald neue Kräuter sammeln müssen. Vor dem Winter müssen noch einige Schank fertig werden. Doch lasst uns jetzt rein gehen. Ich habe gerade ein fettes Kaninchen über dem Feuer und es soll nicht verbrennen. Erzähl uns von deinen Reisen, Faenwulf.“ Mit diesen Worten verschwand der Alte im Haus, stets auf seinen mit Runen verzierten Stock gestützt. Faenwulf und Karva folgten ihm ins Innere des Hauses. Es war schummerig und Faenwulf konnte die seltsamen Kräuter riechen, die sein alter Freund sammelte. An den Wänden prangten verschiedene Runen, einige auch nicht-thorwalschen Ursprungs und zahllose Talismane hingen von der Decke oder an den Wänden. Kurz schaute Faenwulf herüber zu Ingibjörgs Schlafplatz, doch er wandte den Blick schnell wieder ab. Bücher standen dort und noch mehr Runen waren in das Holz geritzt, einige, die Faenwulf schnell wieder vergessen wollte. Er bekam eine Gänsehaut, fürchtete er sich doch wie der Rest seines Volkes vor allem was irgendwie magisch war. Er konzentrierte sich auf die Mitte des Raumes in dem ein gemütliches Feuer brannte über dem ein Kaninchen schmorte, das Ingibjörg nun gewissenhaft drehte. „Hab keine Angst, Faenwulf“, kicherte der Alte, als hätte er die Gedanken seines jungen Freundes gelesen und wirklich fiel die Anspannung von Faenwulf ab, als er das väterliche Lächeln des Alten sah. Er trat ans Feuer, setzte sich auf ein gemütliches Schaffell und streifte seine hohen Stulpenstiefel ab. Seine Füße schmerzten vom langen Marsch zum Berg. Das Kaninchen duftete köstlich und Faenwulf merkte wie ihm langsam das Wasser im Mund zusammen lief. Karva kam herein mit einem Laib Brot und einem Horn Met. Lächelnd nahm sie neben Faenwulf Platz und reichte ihm das Horn. Und schon war jeglicher Zweifel verschwunden. Er fühlte sich wieder wie Zuhause und alte Erinnerungen an diesen Ort wärmten …
- Unser ist das Meer – Kapitel 2
Das Kaninchen war wie versprochen sehr fett gewesen und jeder hatte eine gute Portion Fleisch, gesüßt mit Rübensirup, bekommen. Dazu hatte es gebratene Rüben gegeben, mit frisch gebackenem Brot. Jetzt saßen sie zusammen am Feuer, schon leicht benebelt von einer weiteren Flasche Ingibjörgs und einem mehrere Male neu aufgefüllten Horn Met. Faenwulf leckte sich das Fett von den Fingern, während Karva schweigend hinter ihm saß und sein langes rot-blondes Haar zu vielen Zöpfen flocht. „Ich plane auf Heerfahrt zu gehen“, begann Faenwulf und reichte das Horn an Ingibjörg weiter, bei dem der Alkohol noch keine Wirkung zu haben schien. „Mein Drakkar liegt im Olporter Hafen und wird repariert, aber bald wird er fertig sein und die Fahrt kann beginnen. In einigen Nächten ist bereits Faramond. Es wird Zeit.“ Der Alte nickte nachdenklich und blickte seine Tochter an, die wortlos weiter Faenwulfs Haar flocht. „Was suchst du, Faenwulf?“, fragte der Alte und nahm einen tiefen Schluck Met. „Du hast keine Ottajasko. Niemand braucht deine Herferd.“ Faenwulf verzog das Gesicht zu einem bitteren Grinsen. Der Alte konnte verletzend ehrlich sein. Es stimmte. Faenwulf hatte keine Ottajasko und keine Familie. Niemand war von ihm abhängig, was gut, aber auch bedrückend war. Er war nicht mehr der Jüngste und schon bald würden sich weiße Strähnen unter sein rot-blondes Haar mischen. „Sie werden meinen Namen singen“, erwiderte er dann. „Das ist mein Ziel. Ich werde tapfere Rekker suchen und die Skalden werden unser aller Namen singen.“ Die Antwort kam fast trotzig heraus, doch der Alte wollte ihn nur ärgern, ihn zum Nachdenken anregen, wusste er doch, dass Faenwulf dies manchmal zu wenig tat. Er dachte an Swafnir, den großen Krieger, an dessen Seite er stehen wollte, wenn er seinen letzten Atemzug ausgehaucht hatte, doch dafür musste er sich beweisen. So manch schwere Schlacht hatte er geschlagen, doch das genügte Faenwulf nicht. Er wollte mehr kämpfen, mehr plündern, er wollte, dass Swafnir ihn sah. „Ich werde dich begleiten“, warf Karva ein. „Dies soll meine letzte Herferd sein.“ Dann erhob sie sich und zog sich in ihren Teil des Hauses zurück, wahrscheinlich, um ihre Sachen zusammenzupacken. Das letzte Wort war also gesprochen. Karva hatte ihm die Entscheidung abgenommen, war er doch her gekommen, um sich den Rat und den Segen des Alten abzuholen. Dieser erhob sich nun auch, leerte das Horn und warf es dann achtlos neben das Feuer. Kurz ging er zu seinem Schlafplatz und legte Faenwulf dann ein Amulett um den Hals. Es war ein aus Elfenbein geschnitzter Pottwal, dessen Körper mit feinen Runen übersät war. Der Gottwal. Swafnir, die alte Flosse, Beschützer aller Thorwaler. Eine Gänsehaut breitete sich von der Stelle aus, an der das Amulett Faenwulfs Haut berührte. Er konnte den Wal in seinem Herzen hören. Ingibjörg blickte ins Feuer, griff dann in seine Tasche und warf eine Handvoll Kräuter in die Flammen. Weißer Rauch stieg auf, der in sanften Kringeln zur Decke stieg und sich dort sammelte. Der Alte betrachtete den aufsteigenden Rauch und schien sich dann in der Wolke unter der Decke zu verlieren. Minuten vergingen, ohne dass jemand etwas sagte, bis der Alte seinen Blick schließlich von dem Rauch los riss und seinem Freund ein breites Grinsen schenkte. „Sie werden deinen Namen singen, Faenwulf“, kicherte er. „Allerdings aus anderen Gründen, als du sie vielleicht anstrebst.“ Schmunzelnd zog der Alte sich in sein Schlaflager zurück und ließ seinen jungen Freund wortlos stehen. Tausend Gedanken schossen durch Faenwulfs Kopf. Er kannte die Gabe seines alten Freundes, doch er würde sich nie daran gewöhnen können. Es war unheimlich. Faenwulf griff nach dem Amulett und spuckte ins Feuer. Spucken und das Berühren von Metall war eine wirksame Geste um erwähnte Geister oder magische Dinge von sich fern zu halten. Er kannte sich im Grassodenhaus aus und schritt zu einem Lager, dass er nutzen konnte. Bis auf die Bruche entkleidet, legte Faenwulf sich auf das Strohlager, das so hoch mit Schaffellen bedeckt war, dass es fast schien, als wäre man auf einer Wolke gebettet. Obwohl die Nächte noch kalt waren und das Feuer fast runter gebrannt, war es wohlig warm auf den Fellen und unter zwei Wolldecken. Der Aufstieg hing ihm immer noch in den Knochen und das Erlebnis mit Ingibjörg hatte ihn erschreckt, doch Faenwulf schlief so schnell ein, dass kaum Zeit hatte über den vergangenen Tag nachzudenken. Würde er diese Nacht etwas träumen, so würde er Ingibjörg davon erzählen. Träume interessierten den Alten immer sehr. Faenwulf wurde vom Krähen des Hahns geweckt. Sein Schlaf war tief und traumlos gewesen, worüber er jetzt sehr froh war. Nach den Geschehnissen gestern Nacht hätte das auch ganz anders aussehen können. Diese Seite von Ingibjörg hatte Faenwulf nur sehr selten gesehen und sie bereitete ihm Unbehagen. Es war seltsam und unheimlich und hätte er nicht ein so gemütliches Lager gehabt, hätte Faenwulf wohl die Nacht draußen verbracht. Doch er vertraute seinem Freund. Hier würde ihm nichts passieren. Von dem unheimlichen Rauch war schon lange nichts mehr zu sehen und doch schien man ihn noch zu spüren. Eine Gänsehaut breitete sich auf Faenwulfs Körper aus, ausgehend von dem Amulett das Ingibjörg ihm gegeben hatte. Es sollte ihn beschützen, das war klar und es abzulegen, und war es nur um sich zu waschen, war keine Option. Faenwulf stand auf und streckte sich, wobei seine Gelenke knackten. So jung war er wirklich nicht mehr. Es wurde Zeit, dass er sich mal wieder etwas anstrengte und die eingerosteten Muskeln zum Rudern und Kämpfen nutzte. Im Lager am Ende des Raumes zog Karva sich gerade an und Faenwulf konnte nicht umhin einen kurzen Blick zu riskieren. Karva hatte zwar einige Winter mehr erlebt als er, doch sie war immer noch eine ernstzunehmende Kriegerin und schöne Frau. Fast zwei Schritt groß überragte sie so manchen Mann, ihren Körper verzierten etliche Hautbilder und jeder Mann hätte nur zu gerne seine Hände ihn ihrem rotbraunen Haar vergraben. Sie trug mehr Hautbilder als man auf den ersten Blick sah, wie Faenwulf jetzt feststellte. Ihren Hals zierte ein springender Wolf, auf ihrer linken Schulter tobte ein …
- Unser ist das Meer – Kapitel 3
Alle drei waren sehr schweigsam und bereiteten sich innerlich auf den Abschied vor. Vor allem Karva schien diese Reise sehr ernst zu nehmen, war dies doch ihre letzte Gelegenheit sich vor Swafnir zu beweisen. Ingibjörg hatte einen köstlichen Tee aus frischen Kräutern zubereitet, den sie gemeinsam tranken. Der Alte hatte ihnen auch ein Säckchen voll getrockneter Kräuter für die Reise eingepackt, zusammen mit einigen Verbänden und einer Salbe, die Wunden schneller heilen ließ. Dann war es so weit. Karva erhob sich und Faenwulf tat es ihr gleich. Beide schulterten ihre ledernen Seesäcke, schnürten sich ihre Schilde auf den Rücken und schnallten ihre Äxte an den Gürtel. Karva blickte ihren alten Vater an und schenkte ihm ein warmes Lächeln, das er erwiderte. Beide umarmten sich herzlich. „Wir sehen uns im Heimamond“, murmelte der Alte ins Haar seiner Tochter und ergänzte noch etwas, das Faenwulf nicht verstand, dann umarmte er den jüngeren. „Und jetzt raus mit euch. Ich erwarte Gäste.“ Ohne zu fragen marschierten die beiden los und schauten sich an wie aufgeregte Börn. Wie er es nach einem Abschied immer tat, warf Faenwulf einen letzten Blick zurück. Ingibjörg stand vor dem Brunnen, nahm einen Schluck Wasser und hielt seinen Blick Richtung Wald gerichtet, aus dem jetzt zwei Gestalten traten. Gehüllt in weite Mäntel, die Gesichter von Kapuzen verdeckt, stützten sich beide auf Wanderstäbe, doch der Größe und Statur nach, waren es ebenfalls Thorwaler. „Frag gar nicht erst wer das ist“, warnte Karva und Faenwulf schluckte die Frage herunter, die er gerade äußern wollte. „Es gibt viele Dinge, die du über meinen Vater nicht wissen willst.“ Faenwulf nickte nur und schritt wortlos weiter. Der Alte war ihm heute morgen ruhelos vorgekommen und fast erleichtert, dass Karva und Faenwulf den Berg verließen. Vielleicht plante er etwas großes, etwas unheimliches und bei beiden Besucher Ingibjörgs schienen Faenwulfs Verdacht nur zu bestätigen. Der Tag war genauso schön wie der letzte, was den Weg erleichterte. Sie liefen im Schatten der Bäume einen abschüssigen Trampelpfad entlang. Karva gab den Weg vor und Faenwulf folgte ihr. Beide hatten ihre Hand stets in der Nähe ihrer Axt, doch sie waren entspannt und aufgeregt. Es herrschte eine angenehme Stille und so hatten sie Gelegenheit die Schönheit der Gegend zu betrachten. Hier wuchsen viele Kräuter und Blumen, vier Schritt hohe Brombeerhecken und riesige Steineichen, die so alt zu sein schienen wie die Zeit. Überall schwirrten Bienen und Hummeln herum und der Frühling lag in der Luft. Zu so einer Zeit traf man hier selten auf Orks und auch die Wölfe hielten sich zurück, da es genug Rehe und Kaninchen gab, die sie jagen konnten. Ihr erstes Ziel würde Waskir sein. Das bedeutete zwar einen kleinen Umweg zu ihrem Ziel Olport, doch Faenwulf kannte dort einige tapfere Rekker, die er auf seiner Fahrt nicht missen wollte. Wenn sie in dem selben Tempo weiter gingen wie bisher, konnten sie die Stadt heute Abend noch erreichen. Faenwulf hoffte darauf einige junge Männer und Frauen dazu bewegen zu können, sich ihm anzuschließen. Allerdings zweifelte er nicht daran jemanden zu finden. Junge Thorwaler lechzten nach Abenteuer und Herausforderungen. Es war eher zu befürchten, dass zu viele mit wollten. Wo genau er hin wollte wusste er noch nicht. Vielleicht würden die Winde ihm den Weg weisen. Auf seiner letzten Herferd waren sie vier Tage lang einer Schule von Delfinen gefolgt, die sie schließlich zu drei al’anfanischen Handelsschiffen geführt hatte, deren Laderäume bis zur Decke mit feinster Seide gefüllt waren. Das war ein grandioser Tag gewesen. Die gesamte folgende Woche hatten sie in Tavernen verbracht und immer noch genug Dukaten übrig gehabt, um den Winter zu überstehen. Vielleicht würde Swafnir ihm ja wieder den Weg weisen. Diesmal zu größeren Abenteuern. Der Alte hatte ihm Ruhm prophezeit, doch wie das meiste was Seher und Gelehrte von sich gaben, war es undurchsichtig und nicht sehr verständlich. Seine Tochter schien jedoch sehr gut zu wissen, was im Kopf des Alten vor sich ging und schien keine Furcht davor zu empfinden. Beim Betrachten der älteren Frau fiel Faenwulf auf, dass sie leicht hinkte, sie schien jedoch nicht erschöpft zu sein. „Stimmt etwas nicht?“, fragte er und schloss zu ihr auf. „Du hinkst.“ Überrascht schaute sie ihn an. „Das tue ich aber bereits seit zehn Wintern“, antwortete sie ruppig. „Das ist auf meiner letzten Herferd passiert.“ Sie hielt kurz inne, um einen Schluck aus ihrem Wasserschlauch zu nehmen und lief dann weiter. „Wir hatten unser Lager am Strand aufgeschlagen, einen Eintopf gekocht und sind sehr spät schlafen gegangen. Unser Steuermann ist während seiner Wache eingeschlafen und wir wurden im Morgengrauen von einem Seetiger angegriffen. Er hat einen Seiler, der mit uns reiste, so schwer verletzt, dass er noch am Strand starb. Als das Miststück auf mich los gegangen ist, habe ich ihm hiermit die Kehle durchgeschnitten.“ Karva zog ein langes Olportmesser aus ihrem Stiefel und hielt es hoch. „Vorher hat mir das Vieh aber fast das halbe Bein abgerissen. Ich musste die Herferd abbrechen und bin zu meinem Vater zurückgekehrt. Es hat lange gedauert, bis ich wieder normal gehen konnte. Fast zehn Winter.“ Sie blickte nachdenklich in die Ferne und Verbitterung zeigte sich auf ihrem Gesicht. Faenwulf verstand jetzt wieso seine Freundin so lange gewartet hatte, bis sie wieder auf Fahrt gegangen war. Ein schwacher oder kranker Thorwaler war auf Fahrt für niemanden nützlich, doch Faenwulf konnten ihren Wunsch verstehen auch nach so vielen Wintern wieder auf Herferd zu gehen. Schon jetzt konnte er die Sehnsucht nach dem Meer spüren, nach dem Salz auf seiner Haut und dem Wind in seinem Haar. Es lag Thorwalern einfach im Blut über die Meere zu fahren, gab es doch keinen besseren Weg, um sich wild und frei zu fühlen. Kapitel 2 | Kapitel 4
- Unser ist das Meer – Kapitel 4
Es wurde langsam dunkel und sie hatten ihr Lager unter den ausladenden Ästen einer Kiefer aufgeschlagen. Karva hatte eine Schlingenfalle aufgestellt und ein etwas mageres Kaninchen hatte darin sein Ende gefunden. Nun brutzelte es über dem Feuer. Faenwulf war wieder einmal erstaunt darüber, was seine alte Freundin alles konnte. Sie verbrachten den Abend schweigsam und Faenwulf war froh, seine Stiefel ausziehen zu können, um seinen Füßen etwas Luft zu gönnen. Die hohen Stulpenstiefel waren perfekt, um von einem Schiff in die Brandung zu springen ohne nasse Füße zu bekommen, oder gar auf nassen Steinen wegzurutschen, doch nach langen Märschen konnten einem schon einmal die Füße schmerzen. Karva hatte eine große Wolldecke entfaltet und wickelte sich nun darin ein. Das Kaninchenfleisch war noch nicht ganz durch, doch das kümmerte beide nicht. Sie waren hungrig wie junge Wölfe und rissen gierig das Fleisch von den Knochen. Fett lief ihnen die Finger und das Kinn herunter und es schien als hätten sie noch nie etwas so gutes gegessen. Die Knochen vergruben sie einige Meter entfernt. Sollte der Geruch doch keine Raubtiere anlocken. Faenwulf war nach dem Werfen einer Münze als erster an der Reihe Wache zu halten. Karva rollte sich in ihre Decke ein, die Skraja griffbereit, mit ihrem Seesack als Kissen. Es dauerte nicht lange und ihre Atemzüge wurden länger und regelmäßig. Faenwulf versuchte das Feuer so klein wie möglich zu halten, um keine Bären, Wölfe oder gar Orks anzulocken. Immer wieder schien er Lichter in der Ferne zu sehen. Konnten sie von Waskir stammen? Sie hatten es nicht geschafft die große Stadt an einem Tag zu erreichen, doch morgen würden sie sicher gegen Mittag da sein. Faenwulf freute sich darauf. Es war immer eine willkommene Abwechslung unter vielen Menschen zu sein, auch wenn jeder Thorwaler sich manchmal nach Einsamkeit sehnte. Faenwulf schmunzelte über den zwiegespaltenen Charakter seines Volks. Doch niemals wollte er zu anderen gehören, denn nirgendwo fühlte er sich so wohl wie unter seinesgleichen. Auch wenn er nie eine Ottajasko gehabt hatte, was eine Sache war, die er bedauerte. Nichts knüpfte Verbindungen, die so eng waren, wie in einer Ottajasko zusammen zu leben, zu kämpfen und zu sterben. Eine weitere Weisheit, die er von Ingibjörg gehört hatte und die von vielen bestätigt worden war. Eine Ottajasko war wie eine zweite Familie in der jeder sich auf den anderen verließ und Blutsbande keine Rolle spielten. Es schien windiger zu werden und einzelne Böen schnitten in Faenwulfs Rücken. Er zog seinen Fellmantel aus seinem Seesack und warf ihn sich über. Die Kiefer bot nicht sehr viel Schutz, doch Faenwulf wagte nicht, dass Feuer weiter zu entfachen. So rückte er näher an die kleine Flamme heran und versuchte wenigstens seine Füße aufzuwärmen. Ein warmes Bett würde ein weiterer Vorzug von Waskir sein. Ebenso wie die Taverne in der es köstliches Ahl und echtes Premer Feuer gab. In Waskir gab es außerdem das beste Sauerdunkelbrot, das man in ganz Thorwal bekommen konnte. Dazu eine Schale Bilkuer Fischblut und der Tag konnte nicht besser werden. Faenwulfs Magen knurrte bei dem Gedanken an diese Köstlichkeiten und zusammen mit der Kälte schlich sich eine Müdigkeit in seine Glieder. Er erhob sich und lief ein paar Schritte, atmete tief ein und wieder aus. „Dieser verdammte Berg“, fluchte Faenwulf leise und lief weiter. Das half ein bisschen die Müdigkeit und das Frieren zu vertreiben, doch sobald er sich wieder hingesetzt hatte, begann sein Zittern von neuem. Karva regte sich und blickte ihren Reisegefährten mitleidig an. Dann kroch sie zu Faenwulf hinüber und legte ihre Decke um sie beide. Mit einem tiefen, müden Seufzen drückte sie sich an Faenwulf. „Verfluche den Berg nicht“, murmelte sie mit schläfriger Stimme. „Meinem Vater bedeutet er sehr viel.“ Als Faenwulf nicht antwortete sprach sie weiter. „Vater war schon immer rastlos, weiß du? Der Wal in ihm war immer ruhelos und ebenso wie die Kinder des Meeres reiste er von Ort zu Ort und Land zu Land. Aber anders als die Wale hatte er nie eine Heimat. Keinen Ort an den er gebunden war und an den er zurückkehren wollte. Deswegen sind meine Geschwister in ganz Thorwal verteilt. Immer wieder traf er eine Frau oder Freunde, die ihn an sich banden, doch das hielt nie lange an. Entweder die Ferne rief ihn, oder die anderen merkten, dass er anders war. Das war dann häufig der Moment, wo Vater weiter reiste.“ Wieder nickte Faenwulf nur. Er konnte sich sehr gut vorstellen, wie andere Thorwaler auf Ingibjörgs seltsame Gabe reagiert hatten. Es war unheimlich und meist brachte es nichts Gutes mit sich, wenn jemand mit den Runjas sprechen oder Dinge sehen konnte. Solche Leute wurden gemieden und waren seltener Teil einer Gemeinschaft. „Er reiste dann mit einem Freund herum“, fuhr Karva fort. „Leif und er sind heute noch befreundet, musst du wissen. In Waskir waren Menschen verschwunden und Vater wollte herausfinden wieso. Also reisten sie ins Waskirer Hochland immer den Merek entlang und schon bald spürte mein Vater, dass dort etwas hauste. Und er sorgte dafür, dass es sich weiter in den Wald zurück zog und Waskir in Ruhe ließ.“ Faenwulf dämmerte, dass es etwas mit dem Wolf zu tun haben musste, den er heute Morgen gehört hatte. Noch nie hatte etwas sein Herz so schnell zu Eis werden lassen, wie dieses markerschütternde Heulen. „Sein Name ist Goifang“, fing Karva seine Gedanken auf. „Ich weiß nicht wie lange er schon an diesem Berg lebt, doch schon seit unzähligen Wintern erzählen sich die Waskirer Geschichten von diesem Wolf. Es muss etwas zu bedeuten haben, dass er sich ausgerechnet heute wieder gezeigt hat. Vielleicht liegt es an den Besuchern meines Vaters. Doch trotz seiner Gefahren und unwirtlichen Winter hat dieser Berg der Seele meines Vaters Ruhe gebracht. Deswegen lebt er dort. Er ist seine eigene kleine Heimat.“ Karva blickte nachdenklich ins Feuer und seufzte schwer. Sie nahm einen Schluck Wasser und legte sich dann wieder hin ohne weitere Wort zu verlieren. Ihren Rücken schmiegte sie an Faenwulf, der die willkommene Wärme genoss. Karvas Geschichte hatte ihn zum Grübeln …
- Unser ist das Meer – Kapitel 5
Sie waren da. Waskir. Umgeben von einem hohen Erdwall und nur durch zwei Tore zu betreten, lag die Stadt vor ihnen. Faenwulf freute sich über seinen Besuch in der Stadt, auch wenn er wusste, dass sich das bald wieder ändern würde. Waskir gehörte zu den Städten in denen man entweder sein ganzes Leben verbrachte oder man verließ es irgendwann. Niemand würde freiwillig hierher ziehen. Als Außenstehender wurde man nicht sehr freundlich empfangen und hätte er hier keine Freunde gehabt, so hätte Faenwulf diese Stadt nach seinem ersten Besuch sicher nicht noch einmal betreten. Zu sehr war die Gemeinschaft von der Feindschaft der hier leben Ottajaskos zerrissen. Eine uralte Rivalität, die nicht einmal die Geweihten lösen konnten. Am Rande der Stadt wohnten die Ärmsten. Die Lehmhütten sahen schäbig aus und ihre Bewohner schufteten schon seit Sonnenaufgang als Mägde und Knechte. Die einzige Zierde dieser Stadt waren die zahlreichen Tempel. Die Waskirer waren, selbst für Thorwaler, ein abergläubiges Volk und beteten etliche seltsamen Geister an. Aber auch andere Götter als Swafnir fanden hier Verehrung. Nie hatte ein thorwalscher Söldner es verpasst Kor ein Opfer darzubringen und auch die zornige Rondra hatte hier einen Tempel. Faenwulf hatte es immer als schwer empfunden anderen Göttern zu huldigen. Natürlich war es gut auch andere Götter zu beachten, doch niemand stand seinen Kindern so nah wie Swafnir. Kein Gott ließ seine Kinder so häufig und nah spüren, dass er bei ihnen war. Er war ein Freund, der auf sie achtete und sie beschützte. Ihr erstes Ziel war die Schmiede. Ihre Waffen mussten geschärft und geölt werden. Eine Vorbereitung auf die lange Fahrt auf See. Die Klingen durften nicht rosten und sie selbst würden ihre Waffen niemals so scharf kriegen wie ein Schmied dies konnte. Es hatte sich nicht viel verändert in der Stadt. Börn ohne Schuhe liefen durch die Straßen und ein jeder ging seiner Tätigkeit nach. Ein Mann trieb seine Ziegen die schmale Straße entlang, eine Frau spaltete Holz auf einem Klotz und schon stieg ihnen der köstliche Geruch nach gebratenem Fleisch und frischem Brot in die Nase. Doch dieser Geruch wurde bald überlagert von dem der brennende Kohle und dem heißen Metall in der Esse. Faenwulf und Karva betraten die Schmiede. An den Wänden hingen zahllose Hämmer und Zangen und fertige Waffen lehnten in einer Ecke. Im Hinterzimmer hörte man es rumpeln und eine gedämpfte Unterhaltung. Dann öffnete sich die Tür zur Schmiede und eine Frau trat heraus. Sie war eine Hünin. Genauso groß wie Faenwulf mit Armen wie Baumstämmen, die über und über mit Hautbildern bedeckt waren. Alte, verblichene Bilder waren mit neueren überdeckt worden und ein roter Drache dominierte ihren ganzen Arm. Selbst ihre Finger waren mit kleine Runen und Schlangen verziert. Um den Hals trug sie etliche Ketten und Talismane, die nicht nur aus Thorwal zu stammen schienen und selbst in ihr langes weißes Haar waren Glücksbringer geflochten. Auf ihrer Wange prangte die Schildrune und ein goldener Ring zierte ihre Nase. Sie sah alt aus mit tiefen Falten in der hellen Haut und Faenwulf schätzte die Frau auf mindestens sechzig Winter. Doch sie sah immer noch so aus als könnte sie einem erwachsenen Mann ohne Probleme den Arm ausreißen. Die Frau blickte auf, als sie die beiden Besucher bemerkte und ihr finsterer Blick hellte sich auf. „Was treibt dich schon wieder hierher?“, rief sie freudig aus. „Hat der Alte dir den Rat geben können nach dem du gesucht hast?“ Faenwulf zuckte nur mit den Schultern und grinste schief. „Du kennst ihn doch, niemals um eine wirre Antwort verlegen.“ Die Alte lachte schallend und wandte sich dann Karva zu. „Meine Name ist Freja Askrasdottir. Ich bin eine der Schmiedinnen der Stadt.“ Karva stellte sich ebenfalls vor. „Wie kann ich euch helfen?“, fragte Freja dann und begann mit dem Blasebalg neben der Esse Luft in die Glut zu pumpen. Faenwulf und Karva erklärten ihr Anliegen und nachdem ein paar Stücke Hacksilber den Besitzer gewechselt hatten, ließen sie ihre Waffen in der Schmiede, um sie am Abend wieder abzuholen. „Grima“, rief Freja nach hinten. „Es gibt zu tun.“ Eine Frau mit wildem rotem Haar, offensichtlich die Tochter der Alten, betrat nun die Schmiede und lächelte sie freundlich an. „Es gibt keine bessere Schmiede für eure Waffen. Eure Äxte werden durch Knochen schneiden wie durch Butter.“ Das nächste Ziel war der Travia-Tempel. Nirgendwo in der Stadt konnte man ein besseres Quartier für die Nacht finden und eine kleine Spende reichte, um hier mit höchster Gastfreundschaft empfangen zu werden. Eine ältere Thorwalerin in einem orangefarbenen Kleid begrüßte sie herzlich, als sie an die Tore des Tempels traten. Zufriedene weiße Gänse marschierten herum und irgendwie schien dieser Ort nicht so düster und kalt zu sein wie der Rest der Stadt. Sie wurden herein gebeten und Faenwulf ließ zurückhaltend ein Stück Hacksilber in eine Opferschale fallen. Karva tat es ihm gleich. Die Regeln an diesem Ort waren klar. Sie würden ein gemütliches Bett bekommen, doch jegliche Art von Gewalt und auch Alkohol waren hier strengstens verboten. Dies war ein friedlicher Ort, der Schutz und Unterkunft bot und niemand durfte dies stören. Nachdem die beiden versichert hatten, dass sie morgen wieder abreisen und sich ganz sicher benehmen würden, wurden sie in einen großen Saal geführt in dem etliche Strohbetten auf Reisende warteten. Faenwulf und Karva suchten sich zwei der Lager aus und verstauten ihr Hab und Gut daneben. Niemand würde es wagen im Tempel der Travia zu stehlen, denn die Göttin war nicht nur für ihre Güte und fast grenzenlose Gastfreundschaft geliebt, auch ihr Zorn war bekannt und gefürchtet. Nach einer kurzen Pause verließen sie den Tempel wieder. Karva schien in Gedanken versunken und nicht gerade gut gelaunt, daher ließ Faenwulf sie einfach in Ruhe. Dies hier war nun mal Teil ihrer Reise und sobald sie Olport erreicht hatten, würde sich ihre Stimmung sicher bessern. Faenwulfs Plan war, nun den Schäfer aufzusuchen. Er brauchte dringend noch eine weitere Wolldecke. Danach würden sie einen alten Freund Faenwulfs besuchen und dann in der Taverne nach abenteuerlustigen Männern und Frauen suchen. …
- Unser ist das Meer – Kapitel 6
Nach einem weiteren Rundgang durch die Stadt, bei dem Faenwulf sich innerlich Notiz machte, was sie morgen für den Weg nach Olport brauchen würden, machten sie sich auf zur Taverne. Man brauchte nur dem Lärm und später dann den Trunkenen zu folgen, die in den Straßen lagen. Die Stimmung war gut und es wurde gesungen und gespielt. Faenwulf blickte sich nach einem leeren Tisch um und passierte dabei zwei Jungspunde die sich in einer wilden Schlägerei auf dem Boden wälzten. Karva schritt würdevoll über die beiden hinweg und nahm auf einem leeren Stuhl Platz. Sie hielt zwei Finger hoch und der Veitingamader brachte zwei große Krüge mit Ahl. Faenwulf und Karva blickten sich tief in die Augen, stießen mit den Krügen an und leeren sie in wenigen Zügen. Wieder gestikulierte Karva dem Wirt, doch diesmal hielt sie nur den Ring- und Mittelfinger ausgestreckt. Der Wirt brachte ihnen zwei weitere Krüge Ahl und zwei kleinere Becher mit Waskirer. Wieder stießen die beiden an, leerten die Krüge jedoch nur halb, dann nahmen sie einen großen Schluck Waskirer. „Nirgendwo gibt es so guten Waskirer wie hier“, verkündete Karva und leckte sich die Lippen. „Das ist aber auch der einzige Grund hierher zu kommen.“ Faenwulf nickte zustimmend und leerte dann seinen Becher. Er blickte sich nach Blotgrimm um, doch von dem Hünen war noch nichts zu sehen. Sicher hatte er sich wieder in ein Gespräch verstricken lassen. Blotgrimm war eine furchtbare Tratschtante und redete gerne mit jedem über jeglichen Klatsch und Tratsch. Er würde schon noch kommen. Faenwulf hob gerade eine Hand, als drei Krüge Ahl vor ihm auf dem Tisch gestellt wurden. Eine Thorwalerin mit langem schwarzem Haar blickte ihn an. „Darf ich mich setzen?“, fragte sie knapp und Faenwulf deutete auf einen der freien Stühle. Die Frau nahm Platz. „Du bist Faenwulf, oder?“, fragte sie und blickte Faenwulf mit haselnussbraunen Augen an. Faenwulf nickte und musterte die Frau. Ihre Haut war gebräunt und ihre Hände rau, durch das Ziehen von Tauen. Sie war eine Seefahrerin, das sah man sofort. Ein Entermesser hing an ihrer Hüfte und Talismane aus fernen Ländern zierten ihren Hals. „Mein Name ist Firunja Jorasdottir. Man sagt du suchst Leute für eine Herferd.“ Auch dies bestätigte Faenwulf mit einem Nicken. Gerade als er eine Gegenfrage stellen wollte, schwang die Tavernentür mit einem Knall auf und Blotgrimm trat ein. Ihm folgten ein Dutzend grimmig drein blickender Thorwaler, die sich alle zu ihnen an den Tisch setzten. „Das sind die Besten die ich finden konnte,“ verkündete Blotgrimm an Faenwulf gewandt und nahm den Krug entgegen, den der Veitingamader ihm bereits hin hielt. Faenwulf begrüßte alle mit einem Kopfnicken. Sie sahen zuverlässig aus und er vertraute seinem alten Freund was das an ging. Die anderen würden schließlich auch mit ihm auf einen Schiff sein und da würde Blotgrimm sicher keine Teigherzen und Kindsfäuste aussuchen. Faenwulf wandte sich wieder der Frau zu, die sich zu ihm gesetzt hatte. „Willst du mit auf Fahrt?“, fragte er. Vom ersten Eindruck her, wäre sie sicher eine Bereicherung gewesen. Man konnte den Wind in ihrem Gesicht sehen und ihre Narben sagten, dass sie kämpfen konnte, ohne schwer verletzt zu werden. Doch Firunja schüttelte den Kopf. „Ich bin gerade erst von einer Herferd wieder gekommen. Ich bleibe noch einen Mond hier bei meinem Mann. Aber mein Sohn soll mit dir fahren. Er muss sich endlich mal die Hörner abstoßen.“ Faenwulf nickte. „Wie heißt dein Sohn?“, fragte er nach kurzem Überlegen. „Khemri Derinson“, antwortete Firunja nicht ohne Stolz in der Stimme. Karva blickte auf. „Ein seltsamer Name für einen Thorwaler“, bemerkte sie nicht ohne abwertenden Unterton. Firunja blickte sie finster an. „Vor vielen Wintern war ich auf einen Schiff angeheuert“, begann sie. „Wir fuhren über alle Meere und kämpften gegen alles und jeden. Und immer saß derselbe Mann neben mir auf der Ruderbank. Er war ein entflohener Sklave aus Mengbilla und schätzte daher die Freiheit. Ich habe ihm von Swafnir erzählt und dass man Thorwal das Land der Freien nennt. Das hat ihm gefallen. Wir haben viel zusammen gekämpft und häufig zusammen getrunken. Er wurde ein Freund. Dann überfielen wir ein Handelsschiff. Sie kämpften wie die Besessenen, doch wir schafften es sie zu besiegen. Sie hatten Gewürze dabei. Truhen voll mit Vanille und Pfeffer und Zimt. Und als ich die Kiste hoch halte, um sie ihm zu zeigen, da sehe ich ihn im Wasser treiben. Mit dem Gesicht nach unten. Er ist einfach gestorben und ich habe es noch nicht einmal gesehen. Sein Name war Khemri und so heißt nun mein Sohn.“ Firunja nahm einen Schluck und blinzelte ein paar Tränen weg. „Darauf trinke ich“, sagte Karva mit traurigem Lächeln. Firunja lächelte zurück und leerte ebenfalls ihren Krug. „Wo ist dein Sohn?“, fragte Faenwulf. Bevor er sich entschied wollte er den Jungen jedoch kennenlernen. Firunja deutete auf die beiden Jungspunde, die immer noch miteinander rauften. Blotgrimm lachte aus voller Brust, stand dann auf und trennte die beiden Streithähne von einander. „Es wird nach euch gefragt“, knurrte er und zerrte die beiden zu Faenwulfs Tisch. Der Größere der beiden blickte schuldbewusster und auch etwas nervöser drein und sein Blick glitt immer wieder zu Firunja. Das musste also ihr Sohn sein. Er hatte dunkelbraune Locken und war etwas kleiner als Faenwulf, hatte jedoch breite Schultern und kräftige Arme. „Du bist Khemri?“, fragte Faenwulf ohne zu freundlich zu klingen. Der Junge nickte. Er hatte höchstens achtzehn Winter hinter sich und trug keine sichtbaren Hautbilder. Doch er blickte Faenwulf leicht trotzig an, jedoch nicht feindselig. „Du bist der, der die Herferd plant“, sagte Khemri dann und wischte sich das Blut aus dem Gesicht, das aus seiner Nase lief. Faenwulf nickte. „Deine Mutter hat mich gebeten dich mitzunehmen. Willst du das?“ Khemri warf seiner Mutter einen Blick zu und dann dem blonden Jungen mit dem er gerungen hatte. „Bei Swafnir, ja!“ Er konnte sich ein Grinsen nicht mehr verkneifen und als Faenwulf dann zustimmend nickte, lächelte auch Firunja erleichtert auf. „Er war schon immer ein miserabler Holzfäller.“ Der blonde Junge schaute Khemri neidvoll …
- Unser ist das Meer – Kapitel 7
Bald nach Sonnenaufgang würde ihre Reise nach Olport los gehen. Es würde fast eine Woche, bei schlechtem Wetter vielleicht länger, dauern, bis sie in der großen Stadt ankamen und er wollte keine Zeit verlieren. Faenwulf dankte Yngvar und kehrte dann zur Taverne zurück. Wesentlich weniger Gäste saßen nun an den Tischen, doch Karva hatte auf ihn gewartet. Auch Khemri und Hjasgar waren noch da, sahen jedoch schon ziemlich müde und betrunken aus. „Geht schlafen,“ befahl Faenwulf in freundlichem Ton. „Morgen nach Sonnenaufgang machen wir uns auf nach Olport.“ Die beiden grinsten sich freudig an und verschwanden dann aus der Taverne. Faenwulf vermutete, dass beide diese Nacht wohl kein Auge zumachen würden, doch das konnte er nun auch nicht mehr ändern. Karva erhob sich, legte dem Wirt ein paar Münzen auf den Tresen und verließ mit Faenwulf die Taverne. „Du hast seine Eltern also überzeugt“, bemerkte Karva und sog die kalte Nachtluft ein. „Sein Onkel hat sich für ihn eingesetzt“, erzählte Faenwulf. „Hjasgars Vater ist ein ganz schöner Sauertopf.“ Karva kicherte mädchenhaft und hakte sich dann bei Faenwulf ein. „Ich bin aufgeregt“, flüsterte sie und Faenwulf sah das Feuer in ihren Augen. Er war ebenso gespannt. So viele Dinge konnten auf einer Herferd passieren. Er würde erneut nach Herferdern in Olport suchen. Viele Seefahrer weilten dort und er würde sicher einige gute finden. Vor allem freute er sich darauf wieder auf seinem Schiff zu stehen. Die alte Vegahögg war mit ihm schon durch so viele Stürme gegangen und hatte so viele Galeeren geentert, sie war mehr als nur ein alter Drakkar. Sie betraten den Travia-Tempel möglichst leise und schlichen zu ihrem Quartier. Die Diar hatte geflissentlich darauf geachtet, dass ihre Lager nicht zu nah beieinander lagen. Schließlich waren sie nicht verheiratet. Sie streiften Stiefel und Krötenhaut ab und legten sich auf ihr Lager. Es war nicht so gemütlich wie es aussah, doch Faenwulf hätte dieses Lager jeder Nacht im Freien vorgezogen. In dieser Nacht träumte er nicht von Goifang und kein anderer Traum raubte ihm seine kostbare Ruhe. Und doch erwachte er nicht so ausgeruht wie er sich das vielleicht gewünscht hätte. Sein rechtes Knie schmerzte und es widerstrebte ihm seine Stiefel wieder anzuziehen. Sie hatten einen langen Weg vor sich und er wusste, dass seine Füße heute Abend schmerzen würden. Karva hatte ihr Lager bereits verlassen und Faenwulf fand sie vor dem Tempel einen Apfel essend. Neben ihr auf dem Boden saß Blotgrimm und sie unterhielten sich leise. Das Gesicht des Hünen hellte sich auf, als er seinen alten Freund erblickte. „Die anderen kommen bald“, berichtete Blotgrimm nicht ohne Stolz. „Ich habe sie bereits aus dem Bett geholt und mich vergewissert, dass alle bald da sind.“ Faenwulf hoffte, dass dieser Enthusiasmus auf die anderen abfärben würde. Ihm selbst wärmte er das Herz. Es dauerte nicht lange bis Faenwulf seine sieben Sachen zusammen gepackt hatte. Er bedankte sich ein weiteres Mal bei der gütigen Travia und ihrer Diar und verließ dann den Tempel. Noch während Karva und Blotgrimm auf die Ankunft der anderen wartete, ging Faenwulf zu den von ihm vorher besuchten Händlern. Aus einem Jolskrim roch es besonders köstlich nach frisch gebackenem Brot. „Faenwulf“, begrüßte ihn Asleif, der ansässige Bakkari. „Deine Bestellung von gestern ist bereits fertig.“ Er reichte Faenwulf einen Beutel mit Olporter Knackbrot. „Das müsste bis nach Olport reichen. Meine Rea hat noch einen großen Laib Sauerdunkelbrot für euch gebacken.“ Die blonde junge Frau mit dem Nasenring, die im hinteren Teil des Jolskrim Teig knetete, lächelte Faenwulf an. Er zwinkerte ihr zu, gab ihrem Vater ein kleines Stück Hacksilber und machte sich dann auf den Weg. Zu viele Köstlichkeiten lockten in diesem Jolskrim. Kleine Cremetörtchen, Karamellbrot und bunte Zuckerplätzchen. Asleif Thorwaldson war in und auch außerhalb von Thorwal bekannt für seine Zuckerbäckerei. Wie ein weiser Mann Faenwulf einst erzählt hatte, war Asleif in manchen Städten so bekannt und beliebt wegen seiner Leckereien, dass die Kinder in den Straßen seinen Namen riefen. Auch so kann man zu Ruhm kommen, dachte Faenwulf schmunzelnd. Er holte nun das ebenfalls bestellte Hangikjöt und den Hangifisk ab. Als er zum Tempel zurück kehrte, warteten bereits alle auf ihn. Das Brot, das Fleisch und der Fisch wurden unter allen aufgeteilt und dann ging es ohne große Worte los. Alle trugen ihre Waffen und Rüstungen bei sich und der Anblick einer solchen Horde Thorwaler hätte einige, die nicht aus dem Land der Freien stammten, in Angst und Schrecken versetzt. Khemri trug eine schwere Holzfälleraxt bei sich, die er sich für den Weg auf den Rücken geschnallt hatte. Dazu hatte er einen Seesack bei sich, der, dem Aussehen nach, schon einige Fahrten gesehen hatte. Wahrscheinlich ein Geschenk seiner Mutter, dachte Faenwulf gut gelaunt. Hjasgar hatte einen einfachen hölzernen Rundschild über seine Schulter gespannt und trug eine Orknase am Gürtel, die einen hervor preschenden Stier zeigte. Auf dem Rücken trug er einen Rucksack mit seinen Habseligkeiten. Direkt hinter ihnen marschierte Blotgrimm. Er trug einen riesigen Seesack auf dem Rücken und stützte sich beim Gehen auf seine mächtige Doppelblattaxt, mit der er schon seit vielen Wintern kämpfte. Das Blatt zierte ein tobender Pottwal, der eine Seeschlange zerriss. Statt des zweiten Blattes hatte diese Axt einen großen Haken, mit dem Blotgrimm seine Gegner im Kampf näher an sich heran zu ziehen pflegte. Er hatte auch seinen treuen Olporter Thurbold dabei, der seinem Herrn nur selten von der Seite wich und jetzt glücklich hechelnd hinter ihnen her trottete. Der Hund war für Blotgrimm so etwas wie ein laufender Glücksbringer und er weigerte sich vehement ein Schiff ohne seinen pelzigen Gefährten zu betreten. Alle Reisenden trugen die für Thorwaler so charakteristischen gestreiften Hosen und die meisten hatten als Rüstung eine Krötenhaut dabei. Die Helme einiger waren mit Hörnern, Flügeln und Drachenkämmen verziert, andere waren einfach mit Schutzrunen bemalt. Viele der mitgeführten Skjalde waren bemalt oder beschnitzt. Wale, Delfine, Schwäne und Drachen waren darauf zu sehen, andere trugen einfach Rundschilde aus Holz, die eher behelfsmäßig und ein einfaches Mittel zum Zweck waren. Faenwulf trug seinen Schild, der einen fauchenden Drachen zeigte, …
- Unser ist das Meer – Kapitel 8
„Ich erzähle euch die Geschichte von Algrid Feuerhaar. Geboren und aufgewachsen in Olport war sie früh noch bekannt unter dem Namen Algrid Thinmarsdottir. Sie war jung und wild und kein Ort und kein Schiff konnten sie lange halten. Ihr Haar war rot, lang und genauso wenig zu bändigen. Es glich einer Flamme, die ihr mit Sommersprossen geschmücktes Gesicht umrahmte. Die Männer verzehrten sich nach ihr, doch auch von ihnen konnte keiner Algrid halten. Sie ging keinem Kampf aus dem Weg und für jeden besiegten Gegner besuchte sie einen anderen Hamsbitari, der ihre weiße Haut mit einem neuen Bild verzierte. Doch weshalb jeder Thorwaler nördlich von Nostria ihren Namen kannte, war ihr Geschick den Schneidzahn zu werfen. Niemand kam ihr in dieser Kunst gleich und sie gehörte zu den wenigen, die in der Lage waren diese Waffe um Ecken zu werfen. Auch Olport konnte sie nicht lange halten und so bestieg sie ein Schiff Richtung Virport. Schon oft hatte sie diese kleine Stadt besucht, da es hier den besten Bärenmet gab und sie es nie länger als zwei Winter aushielt ohne ein Horn von diesem köstlichen Getränk zu genießen. Als sie nun jedoch an ihrem Ziel ankam, wurde sich nicht wie sonst freudig begrüßt. Verwirrt machte sie sich auf den Weg ins Innere der Stadt. Alles schien irgendwie grauer und trauriger zu sein, als sie es gewohnt war. Nur wenige wagten sich aus ihren Häusern und weder Kinder noch Tiere bevölkerten die Straßen. Algrid machte sich auf den Weg zum Haus der Dorfältesten. Die Alte hatte sie immer mit offenen Armen empfangen und stets hatte Algrid ein Platz an ihrem Herd gefunden. Nach kurzem Klopfen öffnete die Tochter der Alten die Tür und führte Algrid wortlos zu ihrer Mutter. Die Alte saß zusammengesunken am Feuer und starrte in die Flammen. Algrid setzte sich neben die Alte und wartete darauf, dass sie etwas sagte. „Die Götter haben dich geschickt,“ sprach die Alte nach schier endlos langer Zeit und Algrid bekam eine Gänsehaut. Mein Durst auf Met hat mich hierher geschickt, dachte Algrid zweifelnd und hörte der Alten weiter zu. „Ein grüner Schatten überfällt unser Dorf“, fuhr die Alte fort. „Immer und immer wieder. Anfangs riss er nur Ziegen und Rinder, doch jetzt holt er sich Schwache und Kinder. Du musst etwas dagegen tun.“ Algrid schauderte es. Ihr Blick glitt auf ihre Hautbilder, jedes einzelne für einen besiegten Gegner. Ihr linker Arm war so eng mit Hautbildern bedeckt, dass man die Haut nicht mehr sah, doch auf ihrem rechten Arm war durchaus noch Platz. „Ich mache es“, sagte sie zu der Alten. „Wo muss ich hin?“ Die Alte blickte sie mit Tränen in den Augen an. „Danke Kind. Du bist unsere Rettung. Folge dem schmalen Pfad hinter der Schmiede. Und nimm das hier mit.“ Sie legte Algrid eine Kette aus glänzendem Metall um den Hals, die mit allerlei glitzernden Steinen verziert war. „Er liebt alles was glitzert und glänzt“, zischte die Alte verbittert. „Der Schatten wird dich finden.“ Algrid verließ wortlos das Jolskrim und schritt zur Taverne wo sie sich ein großes Horn Bärenmet genehmigte. Das zweite Horn trank sie nur zur Hälfte leer, den Rest schüttete sie in die Flammen des Herds. „Auf dich, alte Flosse“, flüsterte sie. „Beschütze mich heute oder hol mich, um an deiner Seite zu streiten.“ Dann machte sie sich auf den Weg. Die schmale Pfad war nicht schwer zu finden und er führte direkt in den Wald hinein. Er führte über zwei Lichtungen und verlor sich dann jedoch im Dickicht. Algrid fluchte leise, schritt aber immer weiter in den dichter werdenden Wald hinein. Ihr Herz flatterte wie ein Vogel in ihrer Kehle und ihre rechte Hand umklammerte ihre Orknase. An ihren Hüften baumelten ihre beiden Schneidzähne, die mit Opalen und Rubinen verziert waren. Sie marschierte und marschierte, doch nichts schien unheimlich oder seltsam an diesem Wald. Sie sah eine Füchsin, die eines ihrer Jungen in den schützenden Bau zurück trug und kam an einem aufgestauten See vorbei, in dem eine riesige Biberburg thronte, doch all dies machte ihr keine Angst. Sie war bereits mehrere Jurgaliedlängen unterwegs, als sie sich entschloss umzukehren. Sie wollte die Nacht nicht im Wald verbringen und darum hatte die Alte sie auch nicht gebeten. Nachts kamen andere Dinge als Schatten aus ihren Löchern und die wollte Algrid wenn möglich vermeiden. Sie kehrte also um. Vorbei an der Biberburg und vorbei an dem Fuchsbau. Der Rückweg kam ihr viel länger vor und als sie schließlich ein zweites und drittes Mal an der Biberburg vorbei kam, wusste sie, dass sie sich verirrt hatte. „Dreimal verdammter Wald“, fluchte sie. „Ich wollte mich doch nur mit köstlichem Bärenmet betrinken und dann wieder aufbrechen. Und jetzt sitze ich in diesem dreimal verfluchten Wald fest.“ Wütend trat sie einen Stein weg und marschierte weiter. Sie kam nicht wieder an dem gestauten See vorbei, den Pfad zurück nach Virport fand sie jedoch auch nicht. Selbst durch die dichten Baumkronen konnte sie sehen, dass die Sonne langsam unter ging und irgendwie fanden die tiefen Sonnenstrahlen ihren Weg durch den Wald, um sie zu blenden. Mit zusammengekniffenen Augen und leise fluchend lief Algrid weiter durch den Wald, wobei die Kette um ihren Hals und die Schneidzähne an ihren Hüften bunte Reflexionen an die Bäume warfen. Sie war völlig in Gedanken versunken, als sie über sich ein Rauschen hörte. Als würde der Wind durch die Blätter wehen, doch es war absolut windstill. Kein Blatt bewegte sich. Algrids Blick schnellte nach oben und ihre grünen Augen musterten die Baumkronen über ihr. Nichts war zu sehen. Sie ging weiter, diesmal jedoch aufmerksam und vorsichtig. Jeden Moment einen Angriff erwartend, doch nichts passierte. Der Wald schien wie ausgestorben, selbst die Vögel waren verstummt. Schließlich machte sie unter einer großen Steineiche halt. Das Gefühl beobachtet zu werden war furchterregend und ein Funke aus Angst begann in ihrem Herzen zu lodern. Langsam schritt sie um den Baum herum, als sie über sich ein Fauchen hörte, gefolgt von demselben Rauschen, das sie schon vorher bemerkt hatte und das …
- Unser ist das Meer – Kapitel 10
Der erste aufsteigende Rauch wurde sichtbar und Faenwulf spürte ein Kribbeln in seinen Händen. Sie würden Olport in der nächsten Jurgaliedlänge erreichen und dann würde er sein Schätzchen endlich wiedersehen. Die Vegahögg. Seinen stolzen Drakkar, der hier repariert und auf die Herferd vorbereitet wurde. Wie ein Börn musste Faenwulf sich zurückhalten, um die letzte Strecke nicht zu rennen. Schon bald würde er wieder Planken und den Seegang unter seinen Füßen spüren und den salzigen Wind in seinem Haar. Er atmete tief ein und konnte das Salz in der Luft riechen und schmecken. Die anderen schienen zu merken, dass sich sein Schritt stetig beschleunigte, doch sie sagten nichts und hielten Schritt, teilten seine Vorfreude vielleicht sogar. Olport war eine schöne Stadt. Rau aber gastfreundlich und so voll mit faszinierenden Orten, dass man sich hier als Fremder tagelang aufhalten konnte und jeden Tag etwas Neues sah. Schon in der Ferne sahen sie den riesigen Swafnirtempel, der ihr erstes Ziel sein würde. Danach würde Faenwulf sie in dem einzigen Gasthaus der Stadt einquartieren und seinen Drakkar besuchen. Er war schon unendlich gespannt, wie sie die alte Vegahögg wieder auf Vordermann gebracht hatten. Es roch nach Holz- und Torffeuer, als sie die große Stadt betraten. Neben den vielen Thorwalern, waren auch Nivesen hier Zuhause und die Thorwaler mit mandelförmigen Augen und schwarzem Haar waren überraschend zahlreich. Neben Thorwalsch schnappte Faenwulf immer wieder Worte auf, die er nicht verstand und die wahrscheinlich nivesischen Ursprungs waren. Überall wurden Waren angeboten und in der Ferne konnte man die Runajasko sehen, die über der Stadt thronte. Der Weg zum Tempel führte durch enge Gassen, doch alles hier war so viel freundlicher als in Waskir. Mehrere Ottajaskos hatten hier ihren Sitz und um ihre Langhäuser herum hatten sich die Mitglieder angesiedelt. So entstand der Eindruck, als würde man durch mehrere Dörfer innerhalb der Stadt laufen. Der Swafnirtempel war sofort als solcher zu erkennen. In der Form eines riesigen Pottwals erbaut, betrat man die Halle durch das geöffnete Maul des Wals. Im Inneren war es sehr still. Die Ehrfurcht vor diesem Ort ließ auch den lautesten Thorwaler verstummen und alles mit großen Augen betrachten. Faenwulf ging zielstrebig zu dem großen Springbrunnen in der Mitte der Halla und leerte eine Flasche von Ingibjörgs Kräuterschnaps im klaren Wasser. Das ist für dich, Swafnir. Und für Steinar, betete er leise. Auf dass du uns anderen mehr Zeit gibst um Ruhm und Ehre zu ernten. Die anderen hatten sich in der Halle verteilt, beteten für sich zu Swafnir oder brachten den vielen Kindern Swafnirs, die hier eigene kleine Altäre hatten, Gaben dar. Faenwulf verließ den Tempel. Es tat gut ein bisschen alleine zu sein, selbst in einer so großen Stadt mit so vielen Bewohnern. Er schlenderte zum Gasthaus und begrüßte die Wirtin herzlich. „Ich und meine Begleiter wollen hier übernachten“, begann Faenwulf und holte einen Beutel aus einer seiner Gürteltaschen. Die Wirtin musterte ihn. „Kannst du dir das auch leisten?“, fragte sie mit frechem Grinsen. Sie war ein alter Hase, das sah man ihr an, doch nach einem Blick in den Beutel, den Faenwulf ihr reichte, nickte sie freundlich. „Ihr könnt essen so viel ihr wollt“, sagte sie und deutete auf einen riesigen Kessel, der über dem Feuer brodelte. „Das Essen ist inbegriffen, eine Begrenzung gibt es nicht. Jeder isst so viel er will. Wir sind schließlich in Thorwal. Die Schlafstellen sind im Jolskrim nebenan. Schlaft einfach dort, wo Platz ist.“ Diesmal nickte Faenwulf freudig, brachte seinen Seesack herüber in das Langhaus und machte sich dann auf den Weg zum Hafen. Nachdem er die Vegahögg hier auf den Strand gezogen hatte, hatte er mit einem alten Skipsmider gesprochen und ihm die Verantwortung für den Drakkar übergeben. Vieles hatte an der alten Vegahögg repariert werden müssen, doch der Alte hatte versprochen, dass er und seine Lehrlinge von der Drakkenhalla, sich um alles kümmern würden. Das klang sehr vielversprechend und Faenwulf hoffte, dass der Drakkar schon fertig für die Fahrt war. Er hatte den Jurgaplatz erreicht, ein großer Platz direkt im Hafen und blickte sich nach der Vegahögg um. Viele Schiffe wurden hier repariert und es herrschte reges Treiben. Er erblickte Runolf Holzauge, den alten Skipsmider, dem er die Vegahögg anvertraut hatte. Zur Begrüßung hob Faenwulf die Hand. Sein Magen kribbelte und er konnte es vor Aufregung kaum aushalten. „Ist sie fertig?“, fragte Faenwulf, als der Alte schließlich vor ihm stand. Dieser musterte ihn grimmig, die rechte Seite des Gesichts zu eine Grimasse verzogen. Die schon vor Jahrzehnten verheilte Verletzung sah sehr nach einem Axthieb aus, doch Faenwulf hütete sich davor, den alten Griesgram nach dem Ursprung dieser Narben zu fragen. Der Alte drehte sich zu den beiden Lehrlingen um, die hinter ihm auf weitere Anweisungen warteten. „Wulfgrimm“, plärrte der Alte. „Zeig Faenwulf den Drakkar.“ Der Lehrling wich geschickt dem Tritt des Alten aus und deutete Faenwulf ihm zu folgen. Zielstrebig führte er Faenwulf den Hafen entlang. „Es ist sicher nicht leicht bei so einem verbitterten Alten zu lernen“, sagte Faenwulf und betrachtete den jungen Mann. „Das stimmt“, antwortete Wulfgrimm und musterte Faenwulf mit seinen blauen Augen. „Ich dachte nur, dass die meisten Meister so sind.“ Nachdenklich kratzte er sich am Kopf und zerzauste seinen schwarzen Haarschopf noch mehr. „Wir haben den alten Drakkar wieder richtig gut hinbekommen“, berichtete Wulfgrimm nicht ohne Stolz. „Das war ein hartes Stück Arbeit.“ Faenwulf lächelte. Das konnte er sich vorstellen. Die letzte Herferd hatte die Vegahögg ganz schön mitgenommen, doch immer hatte das treue Schiff ihm gute Dienste geleistet. Die Ungeduld wuchs und gerade als Faenwulf den Lehrling ein drittes Mal fragen wollte, wann sie das Schiff endlich erreicht hatten, sah er sie. Das rot-weiß gestreifte Segel war ordentlich gefaltet, die Löcher geflickt und alle Rojer durch neue ersetzt. Einige Teile des Bugs waren ebenfalls erneuert worden und alles mit Pech abgedichtet. Faenwulfs Herz machte einen Satz. Ohne auf die erklärenden Worte des Lehrlings zu hören, betrat er sein Schiff. Der Drachenkopf war durch einen neuen ersetzt worden, doch das Aussehen war gleich geblieben. Das geöffnete Maul entblößte vier …
- Unser ist das Meer – Kapitel 11
Mit einem lauten Seufzen ließ Faenwulf sich auf die Bank im Gasthaus fallen. Er war den ganzen Tag unterwegs gewesen, doch jetzt war alles fertig. Er würde nun nur noch etwas essen, einige Ahl trinken und dann müde ins Bett fallen. Und morgen früh würde es los gehen. Er hatte der Wirtin den Auftrag gegeben ihn bei Sonnenaufgang zu wecken, damit sie früh genug los konnten. Die Ungeduld schien ihn zu zerreißen. Er fühlte sich wie ein Börn vor dem Swafnirstag, an dem alle Thorwaler ihren Gott feierten und nicht zu wenig auch sich selbst. Der Swafnirtag war bekannt dafür, dass nach jeder zweiten Strophe ein Horn auf Swafnir geleert wurde und jeder sang und fröhlich war. Faenwulf fragte sich, ob er heute Nacht würde schlafen können. Karva stellte ihm einen Krug kaltes Ahl hin und drückte ermutigend seine Hand, den Kater Zornbrecht stets an ihrer Seite. „Bald geht es los“, sagte sie lächelnd. „Schon diese Fahrt zu organisieren war eine große Herausforderung, die du grandios gemeistert hast.“ Faenwulf lächelte sie ebenfalls an und nahm einen großen Schluck von dem Ahl. Blotgrimm kam mit einigen der Herferder herein und sein Lachen dröhnte durch den Raum. Wie immer verbreitete er gute Laune und Faenwulf war froh, dass er dabei sein würde. Auch die jüngeren Thorwaler waren dabei und sahen sichtlich aufgeregt aus. Khemri und Hjasgar teilten sich ein Horn Met und unterhielten sich angeregt. Beide blickten auf, als die beiden Lehrlinge herein kamen, die Faenwulf heute Morgen bei Runolf Holzauge kennengelernt hatte. Khemri stand auf und umarmte Wulfgrimm herzlich. Faenwulf blickte Blotgrimm fragend an. „Die beiden kennen sich aus Waskir“, erklärte der Hüne. „Der alte Bastard war vor einem Winter oben und hat nach Holz für einen Drakkar gesucht. Hat überall schlechte Stimmung verbreitet und jeder in Waskir hat die armen Kerle bemitleidet, die bei ihm zum Skipsmider ausgebildet wurden. Und die Jungspunde haben natürlich zusammen gefunden und gemeinsam getrunken. Daher kennen sie sich.“ Faenwulf nickte, wobei er sich ein schmunzeln nicht verkneifen konnte. Die alte Tratschtante Blotgrimm wusste mal wieder über alle Bescheid. Faenwulf stand auf und holte sich eine riesige Schüssel voll mit heißem Eintopf, der schon den ganzen Tag über dem Feuer gehangen hatte. Er war köstlich und Faenwulf holte sich noch einmal einen Nachschlag, diesmal mit einem großen Stück Sauerbrot, das in dem Eintopf einweichte. Es schien fast, als wollte ihm seine Aufregung die Kehle zuschnüren, denn jeder Schluck schien schwerer zu sein und das Kribbeln der Aufregung ließ seinen Magen grummeln. Nach dieser reichhaltigen Mahlzeit kam die Müdigkeit schnell und Faenwulf verabschiedete sich, um schlafen zu gehen. Im Langhaus nebenan war der Lärm gedämpft und in seine warme Wolldecke gehüllt, fiel er bald in tiefen Schlaf. Faenwulf erwachte einige Male, wenn trunkene Thorwaler das Langhaus betraten, um schlafen zu gehen und Karva schlug ihr Lager nahe neben Faenwulf auf. Die gedämpften Geräusche aus der Taverne wirkten beruhigend und im Halbschlaf begann Faenwulf über den Ablauf der Fahrt nachzudenken. Ein Högg war gut. Nostrische Fischerdörfer an der Küste waren ein leichtes Ziel und auch diesmal würden sich diese als erste Probe anbieten. Es gab meistens nicht viel zu holen, doch die Gefahr der Gegenwehr war gering und manche hatten doch das eine oder andere Schmuckstück, das gerne den Besitzer wechseln wollte und sich gut verkaufen ließ. Ein zufriedenes Lächeln breitete sich auf Faenwulfs Gesicht aus, als er in den Schlaf hinüber glitt. Eine kräftige Hand schüttelte ihn und Faenwulf drehte sich leicht murrend um. Diesmal trat ihn jemand leicht in die Seite und mit einigen Flüchen setzte er sich auf. Die Wirtin stand neben ihm und er sah, dass noch kein Licht durch die Fenster herein drang. „Der Hahn hat bereits mehrmals gekräht“, murrte die Wirtin. „Du hast mich bezahlt, um dich zu wecken, also tu ich das auch.“ Sie hielt demonstrativ die Münze hoch, die Faenwulf ihr gestern gegeben hatte und verließ leise murrend das Langhaus. Faenwulf erhob sich und streckte sich ausgiebig. Der harte Boden war nicht gut für seine nicht mehr jungen Knochen. Die Kälte kroch einem fiel zu tief in die Glieder. Er ging von Lager zu Lager und weckte die müden Herferder, von denen einige sicher erst seit einer Jurgaliedlänge geschlafen hatten. Die jungen waren schnell auf den Beinen und begannen ihr Schlaflager schon zusammenzupacken, während sich die anderen noch den Schlaf aus den Augen rieben. Faenwulf hörte Regen auf das Dach plätschern und er fluchte innerlich. Niemand ruderte gerne bei Regen und direkt am ersten Tag war Regen reichlich demotivierend. Vor allem die Jungspunde würden enttäuscht reagieren, wenn sie erst mal bis auf die Haut durchnässt auf ihrer Ruderbank gegen den Sturm rudern mussten. Faenwulf trat aus dem Langhaus und machte sich auf den Weg zum Hafen. Die Händler würden bald da sein, um ihre Waren zur Vegahögg zu bringen. Anders als erwartet herrschte im Hafen schon reges Treiben. Die Skipsmider arbeiteten bereits an den Planken und die Händler luden gekaufte Waren von den ankommenden Schiffen. Die Skjalde waren bereits an Deck der Vegahögg gebracht worden und lehnten an den bereitgestellten Ruderkisten, in denen die Herferder ihre Besitztümer würden verstauen können. Faenwulf betrat mit Stolz im Herzen sein prächtiges Schiff. Sein Platz war bereits durch seine reich verzierte Ruderkiste markiert und er deponierte sein Gepäck darin. Sanft packte er den Griff des Ruders, das er auf dieser Herferd so oft schlagen würde. Er war glücklich und anders als gestern Abend, sehr ruhig. Mit geschlossenen Augen horchte er auf das Rauschen des Meeres, doch er hörte nichts außer Wellen. Ingibjörg hätte vielleicht heraushören können, ob sie unter einem guten Stern fahren würden, ob die Wellen etwas flüsterten, doch so würden sie ins Ungewisse fahren müssen. Es dauerte eine Jurgaliedlänge bis alle Herferder an Bord und sämtliche Vorräte und Eigentum an Deck verstaut waren. Der Regen war mittlerweile stärker geworden und alle nass bis auf die Haut. Faenwulf trug seinen blauen Klappenmantel, der ihn teilweise vor dem Regen schützte und eine lederne Mütze, die den Regen wenigstens von seinem Kopf fern hielt. …
- Unser ist das Meer – Kapitel 12
Der Wind war stürmisch und das rot-weiße Segel der Vegahögg blähte sich auf und zog die Taue stramm, die es fixierten. Sie waren jetzt seit drei Tagen unterwegs und viele der Herferder sahen müde aus. Die meisten waren noch nie, oder lange nicht auf Fahrt gewesen und das tägliche Rudern und die unsicheren Nächte an fremden Stränden, hatten sie erschöpft. Hinzu kam, dass die ganz jungen den Wellengang nicht gewohnt waren. Obwohl die meisten Thorwaler sich schon in der Wiege nach dem Rauschen des Meeres sehnten, kam es immer wieder vor, dass einige das stete Schaukeln des Drakkar nicht vertrugen. Ihre Seekrankheit hielt zwar nur einige Tage an, doch wie bei den Landratten, war es kein schönes unterfangen. Eine junge Thorwalerin, Bryda, schwang ihren schwarzen Zopf über ihre Schulter und blickte mit blassem Gesicht gen Himmel. Sie kniete vor einem der Stinktöpfe, die Faenwulf hatte anfertigen lassen. Der andere Topf wurde fest verschlossen hinter der Vegahögg her gezogen. Der, in den Bryda nun zum zweiten Mal für den heutigen Tag, ihr Frühstück erbrochen hatte, würde dem anderen folgen. Die anderen Herferder rümpften über den Gestank bereits die Nase. Faenwulf grinste. Dieser Gestank würde noch schlimmer werden, doch die Stinktöpfe waren ein wichtiges und wirksames Mittel. Es würden noch faule Fischabfälle, Kohlreste und weitere Ausscheidungen folgen, die dann möglichst lang in den Tonkrügen gärten. Dann wurden die Stinktöpfe fest verschlossen und bis zu ihrer Verwendung hinter dem Schiff hergezogen. Die Tontöpfe wurden erst benutzt, wenn sie einem Schiff begegneten, das nicht einfach zu kapern war. In so einem Fall wurden die Stinktöpfe auf das gegnerische Schiff geschleudert, wo sie zerbrachen und der ekelerregende Inhalt sich über das Deck ergoss. Die meisten wurden von dem Gestank so übermannt, dass sie nicht anders konnten als ihren Mageninhalt von sich und jeglichen Widerstand aufzugeben. Eine sehr beliebte Taktik der Thorwaler, die schon zu den lustigsten Abenden am Feuer geführt hatte. Faenwulf hatte schon häufig gelacht bis ihm die Tränen die Wangen herunter liefen und er dachte sein Bauch müsste vor Lachen platzen, wenn Blotgrimm die Besatzung eines horasischen Schiffs imitierte, die sich nach seinen Worten „die Seelen aus dem Leib gekotzt“ hatten, noch während sie versuchten sich die Fischreste aus den Haaren zu pflücken. Eine Erinnerung, die ihn immer wieder mit Schadenfreude und Genugtuung erfüllte. Sein Blick glitt herüber zu der Schiffskatze Zornbrecht und Thurbold dem Olporter. Beide waren sich seit dem Beginn der Herferd aus dem Weg gegangen und es war zu keiner Auseinandersetzung gekommen. Zornbrecht hatte Thurbolds freudige Annäherungen mit rüdem Fauchen abgewehrt und der gutmütige Hund hatte das akzeptiert und den grimmigen Kater nicht mehr belästigt. Abends hatte es sich Zornbrecht auf Karvas Lager gemütlich gemacht und Thurbold seinen üblichen Platz auf Blotgrimms Füßen eingenommen. An Deck hatte sich Thurbold unter eine ölige Wolldecke verzogen, die Blotgrimm ihm extra hingelegt hatte. Die Wolle war rau und kratzig, doch das Öl in den Fasern hielt das zottige Fell des Olporters auch bei hohen Wellen und spritzender Gischt trocken. Zornbrecht hatte einen Annäherungsversuch gewagt und sich schließlich auch unter die Decke verzogen. Er ahnte wohl, dass ein Sturm aufzog. Faenwulfs Blick glitt gen Himmel und in der Ferne konnte man bereits die ersten dunklen Wolken aufziehen sehen. Doch da mussten sie durch. Die Wolken bewegten sich schnell und der Sturm hatte sie sicher eingeholt, bevor sie das sichere Festland erreichten. Einen Sturm wie diesen würden sie überstehen, doch es war anstrengend und immer eine Herausforderung für die Herferder. Um die Vegahögg machte Faenwulf sich die wenigsten Sorgen. Sein Schiff hatte schon schlimmerem Stand gehalten und war fast unbeschädigt weiter gesegelt. Faenwulf blickte herüber zu Bryda, die den Stinktopf gewissenhaft verschloss und dann das schwere Gefäß über die Reling hievte und von Bord warf. Ihre muskulösen Arme zeugten von ihrer Arbeit im Steinbruch und sie war eine kluge und unbarmherzige Kämpferin, doch wahrlich keine Seefahrerin. Ständig plagte sie die Übelkeit und ihr kräftiges Rudern wurde immer wieder davon unterbrochen, dass sie sich über die Reling beugten musste, um die Fische zu füttern. Bryda war jedoch auch ein Dickkopf und so hatte sie sich entschieden erneut mit Faenwulf auf Fahrt zu gehen. Faenwulf wusste, dass sie dies nicht nur der Abenteuer wegen Tat, hatten sie doch auf der letzten Herferd häufig ein Lager geteilt. Karva wusste bisher nichts davon und Faenwulf entschied sich ihr nichts davon zu erzählen, auch wenn er sich allein bei dem Gedanken wie ein törichter Junge vorkam. Einen Grund hatte er nicht für diese Heimlichtuerei. Um auf andere Gedanken zu kommen, schlenderte Faenwulf über das Deck. Durch den kräftigen Wind konnten sich die Herferder ausruhen und mussten nicht rudern. Faenwulf wollte ihnen noch etwas Ruhe gönnen, denn wenn der Sturm erst einmal über ihnen war, würden alle Rudern müssen und das so lange bis der Sturm nachließ. Blotgrimm und Karva unterhielten sich angeregt und beide lächelten Faenwulf an, als dieser zu ihnen stieß. „Es sieht nach Sturm aus“, bemerkte Karva in einem bestätigenden Ton. Sie wusste, dass Faenwulf die Wolken bereits bemerkt hatte. Ihr Blick glitt herüber zu ihrem mürrischen Kater, der von Thurbolds schwarzem Fell fast komplett verdeckt wurde. „Wir sollten den Kater im Auge behalten und wie er sich verhält“, murmelte Karva geistesabwesend mit finsterer Stimme. „Wir sind weit weg vom Festland und wer weiß was der Sturm mit sich bringt. IhreKinder…“ „Halt den Mund“, fuhr Faenwulf Karva an. Faenwulfs Gesicht verfinsterte sich. Seine Hand griff ruckartig zu dem Swafniranhänger und er spuckte auf den Boden. Blotgrimm ergriff den eisernen Knauf seiner Axt. „Gerade du solltest wissen, dass es Unglück bringt an Bord eines Schiffes überhaupt an so etwas zu denken.“ Karva senkte schuldbewusst den Blick und flüsterte eine Entschuldigung. „Ich weiß nicht was in mich gefahren ist.“ Die Wut verflog, doch die Bilder waren nun in Faenwulfs Kopf und machten sein Herz schwer, füllten es mit kriechender Angst. Ein mit grünen Schuppen bedeckter, langer Körper, der sich schnell und lautlos durch das Wasser bewegt. Ein Dornenkamm, der die Wellen teilt und gelbe Augen, die einem direkt in …
- Unser ist das Meer – Kapitel 13
Der Rauch in dem Grassodenhaus war so dicht, dass man kaum die Hand vor Augen sehen konnte und doch warf der alte Ingibjörg eine weitere handvoll Rauchkraut ins Feuer. Den beiden jungen Thorwalern, die neben ihm am Feuer saßen, liefen Tränen die Wangen herab, weil ihnen der Rauch so sehr in den Augen brannte. Sie saßen nun schon eine Ewigkeit bewegungslos dort und betrachteten den Rauch und das Feuer. Gelegentlich schnäuzte sich einer der beiden die laufende Nase, lauschte dabei jedoch weiter gespannt den Worten des Alten. Mit langsamen Handbewegungen versetzte er den Rauch in Bewegung und deutete den beiden jungen Männern genau zu betrachten welche Formen er annahm. Mit zusammengekniffenen Augen betrachteten sie den Rauch, versuchten zu sehen was der Alte sah und versuchten zu deuten, was dies darstellen sollte. Sie hegten schon lange keine Furcht mehr vor den Fähigkeiten des Alten. Thorwaler waren ein sehr abergläubisches Volk und jegliche Magie, war sie noch so gering, betrachteten sie mit Argwohn und Angst. Es gab nur wenige Magier im Volk der Thorwaler und auch hellsichtige oder Menschen mit dem dritten Auge wurden häufig ausgestoßen und vertrieben. Der Alte hatte selbst diese Erfahrung gemacht und gab sein Wissen nun an die beiden jungen Männer weiter. Beorn, groß, selbst für einen Thorwaler, hatte schon früh bemerkt, dass er anders war. Mürrisch, schweigsam und berechnend, sprach er wenig mit den anderen und allein seine Familie gab ihm Halt. Es war ihm immer leicht gefallen Träume zu deuten, Zeichen und Dinge zu sehen, die an anderen unbemerkt vorbei gingen und wenn etwas Schlechtes bevorstand, schien er es zu wissen. Es fügte sich für ihn zusammen, diese Zeichen, die nur er zu sehen schien und wenn er die Bauern vor einem Sturm warnte, der der Ernte schaden würde oder die Skipsmider auf einen bald brechenenden Mast hinwies, betrachtete man ihn mit Argwohn. Schon früh hatte Beorn gelernt, diese Warnungen zu unterlassen, doch die Thorwaler in seinem Dorf wussten es bereits. Die Gerüchte über den jungen Mann mit den stechenden grünen Augen machten die Runde und bald brach Beorn auf, um zu lernen, wie er seine Fähigkeiten schulen konnte. Als Kind hatte Ragin Stimmen gehört, die im Traum zu ihm sprachen. Seine Mutter war verwirrt, dass ihr Sohn so häufig einfach am Feuer saß und hineinstarrte, kaum reagierte wenn man ihn ansprach. Genauso betrachtete Ragin häufig die Wolken oder den Flug der Vögel und seine Mutter bekam es mit der Angst zu tun. Ein Skalde auf Reisen beruhigte sie, erzählte ihr von den thorwalschen Goden, weisen Männern, die Dinge sahen, Träume deuteten, Runen warfen. Er riet ihr, ihren Sohn einfach zu lassen, war er doch etwas besonderes. Die Dinge die er tat waren nicht gefährlich, doch er würde damit rechnen müssen, dass viele aus dem Dorf ihn meiden würden. So beschränkte der junge Thorwaler sich darauf, seiner Familie zu helfen, ihnen Ratschläge zu geben und auf seine wachsenden Fähigkeiten zu vertrauen. Rauschzustände, ob durch Met oder Rauchkraut, vermied er. Sie verstärkten zu sehr die Dinge, die er sah, verwirrten ihn, doch die Kräuterfrau des Dorfes riet ihm in die Ausbildung zu gehen. Wie ein Skipsmider oder Läknir brauchte auch er einen Meister, der ihm beibrachte seine Talente zu verbessern. So traf Ragin auf Beorn, der ebenfalls diesem Rat gefolgt war und einen alten Goden getroffen hatte, der sich der beiden Thorwaler annahm. Dieser alte Freund Ingibjörgs kämpfte nun jedoch an Swafnirs Seite und so hatte der alte Ingibjörg sich bereit erklärt die beiden jungen Männer weiter auszubilden. „Wir gehen raus“, begann Ingibjörg und erhob sich langsam. Auf seinen Stock gestützt, schritt er nach draußen und füllte zwei Hörner mit klarem, kalten Wasser, die er den jungen Männern reichte. Beorn und Ragin taumelten, als sie in die Sonne traten und beiden war schwindelig und übel. Das Wasser machte es etwas besser und die frische Luft war eine Wohltat, doch sie wussten dass sie noch nicht fertig waren. Der Alte ließ sich im Gras nieder und öffnete einen Beutel an seinem Gürtel. Er griff hinein, zog eine handvoll Runen heraus und warf sie vor sich in den Sand. „Was siehst du Ragin?“, fragte er knapp und betrachtete den jungen Mann. In Ragins Kopf drehte sich alles und es fiel ihm schwer sich auf die Runen zu konzentrieren. Es gab so viel was er beachten musste, doch irgendwie fiel ihm nichts von dem ein, was sein alter Meister ihn gelehrt hatte. Und trotzdem waren seine Sinne geschärft, er konnte die Runjas spüren, die alles beeinflussten. „Die Swafnirrune liegt sehr nah an der des Wolfs“, begann er und betrachtete die beschnitzten Runen genauer. „Die Wolfsrune steht hier für etwas schlechtes“, flüsterte er und schloss die Augen, streckte seine Finger aus und versuchte zu fühlen, was es war. Die Bedrohung war nah und alt. Der Alte hatte ihnen von dem Wolf erzählt, der an diesem Berg hauste. Er war einer der Gründe warum sie hier waren. Vorsichtig berührte er die rote Rune des wütenden Swafnir. „Zorn“, flüsterte Ragin mehr zu sich selbst, als zu Beorn und dem Alten. „Roter Zorn, Blut und Gold.“ Er sah Bilder vor sich, zornige Gesichter, Äxte die geschwungen wurden, klimpernde Beutel voller Münzen. Menschen schrien, andere riefen. Die kalte Hand des Alten, die sich auf seine Schulter legte, ließ Ragin hochschrecken und er blickte in die gutmütigen Augen des Alten. „Ich könnte jetzt etwas zu essen vertragen, meint ihr nicht?“, fragte Ingibjörg fröhlich, erhob sich und hinkte zur Feuerstelle herüber über der ein brodelnder Topf mit Lauchsuppe hing. „Ich denke wir sollten draußen essen. Die frische Luft wird uns gut tun.“ Beorn blickte Ragin grinsend an. Er hatte seine Sache gut gemacht, sollte das Gesehene für sich selbst deuten, auch wenn ihm dies die eine oder andere schlaflose Nacht bringen würde. Der Alte war zufrieden mit ihm und er wusste, genau wie die beiden jungen Männer, dass Großes bevorstand. Kapitel 12 | Kapitel 14
- Unser ist das Meer – Kapitel 14
Sie saßen nun am Strand, erschöpft, durchnässt und schweigsam. Der Sturm war so stark gewesen, wie Faenwulf es erwartet hatte und er hatte sie so schnell erreicht, dass eine Rückkehr zum Ufer hoffnungslos gewesen war. Alle an Bord der Vegahögg hatten das plötzliche Ansteigen des Windes bemerkt, während sich der Drakkar schnell auf die schwarze Wolkenwand zubewegte. Die ersten Blitze waren in der Ferne zu hören und ein Donnergrollen, das ihnen eine Gänsehaut über die Körper jagte. Karva, die jahrelang von ihrem Vater ausgebildet worden war, betrachtete die Wolkenformationen mit besorgtem Blick. Was auch immer sie darin sah, Faenwulf selbst erkannt nur, dass es einer der stärksten Stürme war, den er je erleben würde und es war nicht von Vorteil, dass sie auf See waren. Dann war der Regen plötzlich über ihnen und der Drakkar schien sich zornig aufzubäumen. Hastig brüllte Faenwulf Befehle gegen das Dröhnen des Windes an. Alles an Bord musste festgezurrt werden, sonst war es für immer verloren. So wurden die Ruder eingezogen und alle beschäftigten sich hektisch damit, ihr Hab und Gut in den Ruderkisten zu verstauen und diese am Boden des Drakkar zu fixieren. Faenwulf selbst nutzte seinen Klappenmantel, um alles Zerbrechliche in seiner Kiste zu polstern und legte sich dann seinen ledernen Mantel, zum Schutz vor dem Regen, um. Gemeinsam holten sie das Segel ein, schnürten den völlig durchnässten Wadmal zusammen, damit der Wind ihn nicht zerriss und legten dann den Mast um. Das Meer wurde immer wilder und die Thorwaler eilten nun zu ihren Rudern und begannen jetzt gegen die ersten hohen Wellen anzukämpfen. Sie mussten verhindern, dass sie aufs offene Meer hinaus getragen wurden und durften die Kontrolle über das Schiff nicht verlieren. Faenwulf selbst saß an seinem Ruder und es schien als würde er gegen die Wellen ringen. Mit ganzer Kraft umklammerte er das Holz und stieß es immer wieder in die Wellen. Nach wenigen Strophen waren alle nass bis auf die Haut, doch niemand schien dies wirklich wahrzunehmen. Vor allem die Jungen konzentrierten sich alleine aufs Rudern und die, denen die Fahrt bisher eher auf den Magen geschlagen war, hatten ihre Übelkeit vergessen. Ein Blitz schlug direkt neben ihnen in die Wellen ein und Faenwulf hörte ein nervöses „Bei Swafnir“ hinter sich. Ein Seil peitschte über das Deck und Thurbold winselte leise vor sich hin. Der große Olporter hatte sich an den Füßen seines Herrn zusammengekauert und schien Todesängste auszustehen. Die Augen des Katers Zornbrecht blitzten unter der Decke hervor und schienen Faenwulf anzustarren. Tu dein Bestes, dachte Faenwulf. Wenn du Magie in dir hast, hilf uns jetzt. Der Kater würde bei so einem Sturm alles tun, damit das Schiff nicht sank. Eine Welle brach an der Seite des Drakkar und tränkte sie alle im salzigen Wasser Efferds, das so kalt war, dass Faenwulf sofort zu zittern begann. Er blickte herüber zu Karva, die neben ihm ruderte und sah, dass ihre Lippen bereits blau waren, doch ihre Augen versprühten ein Feuer, das ihn weiter rudern ließ. Es schien, als wäre das Meer ein lebendiges Wesen, das mit ihnen spielte, sie herum warf und ins Schwanken brachte. Eine weitere große Welle riss Bryda von ihrer Ruderkiste und drohte sie von Bord zu spülen. Wie eine leblose Puppe riss das Wasser sie von ihren Füßen und mit sich in Richtung Reling. Blotgrimm packte sie im letzten Augenblick am Arm und riss sie zurück aufs Schiff. Am nächsten Tag würde Bryda ihren Arm kaum heben können, doch trotzdem blickte sie Blotgrimm mit tiefster Dankbarkeit an. Ohne zu zögern sprang sie auf und setzte sich wieder auf ihre Kiste, ergriff ihr Ruder und begann im Rhythmus der anderen zu rudern. Faenwulf konnte den Schmerz ihres verdrehten Arms in ihrem Gesicht sehen, doch sie gab keinen Laut von sich und machte weiter. Trotz der Kälte ruderten sie weiter und Faenwulf, der schon seit Jahren ruderte und ein kräftiger Thorwaler war, begann zu spüren wie ihm langsam aber sicher die Kräfte schwanden. Sie ruderten gegen das Meer an und dieses war letztendlich immer stärker. Die Wellen spielten mit ihnen, warfen sie herum, bis eine Welle sie schließlich mit sich trug, weit nach oben, bis sie dann in sich zusammenfiel. Einige an Bord fielen von ihren Ruderkisten und klammerten sich zitternd an ihren Rudern fest. Ängstlich murmelten einige vor sich hin und Faenwulf wusste, dass sie für sich beteten. Das Holz des Drakkars ächzte und krachte und es schien, als wollte das Meer ihn zerreißen, doch Faenwulf vertraute in sein Schiff. Da mussten schon ganz anderen Mächte kommen um sein Drachenschiff zu versenken. Seine Mannschaft hatte jedoch nicht so viel Glaube in das Schiff. Noch während Faenwulf nach den richtigen Worten suchte, um seine Leute zu beruhigen, erhob Karva ihre Stimme. „Swafnir“, rief sie. „Alte Flosse, großer Bruder, wie du siehst sind wir in Not. Zu mächtig ist das Meer, zu zornig der Sturm. Zu sehr hat dein immerwährender Kampf gegen die verderbte Hranngar die Gezeiten aufgewühlt. Hilft uns, gib uns Mut und gib uns Kraft, dass wir an deiner Seite streiten können und nicht in den Tiefen der See versinken müssen.“ Faenwulf glaubte, dass das laut ausgesprochene Flehen vielen Mut gab, denn die stillen Gebete verstummten und die Thorwaler ruderten weiter, mit neuer Entschlossenheit im Blick. Das Wasser des Regens lief Faenwulf in die Augen und der eiskalte Wind schnitt in seine Wangen wie kleine Klingen, doch das Meer schien ruhiger zu werden. Der Drakkar, der sich vorher wie ein ungezähmtes Pferd aufgebäumt hatte, schien nur noch zu bocken und der Regen wurde schwächer. Sein wildes Toben nahm langsam ab und der Sturm wurde zu einem starken Wind. Sie mussten noch ein bisschen durchhalten und konnten dann im besten Fall ans Ufer segeln und sich ausruhen. In der Ferne waren schon die ersten Sonnenstrahlen zu sehen und das Rudern fiel zusehends leichter. Eilif Falkenauge schritt zu Faenwulf und erklärte ihm, wohin sie nun fahren würden. In der Ferne war Rauch zu sehen, der laut Eilif zu einem Fischerdorf an der Küste Nostrias gehörte. Nach kurzer …
- Unser ist das Meer – Kapitel 15
Unter lautem Knirschen traf der Drakkar auf den Strand. „Strandhögg“, brüllte Faenwulf und schwang sich über die Reling. Wasser spritzte hoch, als er mit seinen hohen Stiefeln in der Brandung landete, seine Orknase fest umklammert. Dann rannte er los. Dicht gefolgt hörte er hinter sich die anderen Thorwaler, die brüllend und grölend auf das Dorf zu preschten. Durch ihre leichte Rüstung waren sie wendig und hatten den kurzen Strandabschnitt schnell überquert. Die ersten Menschen kamen aus ihren Häusern, hektische Rufe drangen zu ihnen, die immer lauter und panischer wurden. Einige Männer traten ihnen mit Harpunen entgegen, andere mit kurzen Schwertern, Hämmern oder Messern, doch die Thorwaler rammten sie, wie ein Pottwal ein Walfangschiff rammt. Die ersten wurden nach hinten geschleudert, während Faenwulf dem nächsten schon seine Axt in die Seite rammte. Frauen begannen zu kreischen und weitere Männer traten nach draußen. Hinter sich hörte Faenwulf das Klingen von Metall und das Knirschen von Holz. Das Blut rauschte in seinem Kopf und er betrat das erste Haus. Schnell flogen seine Augen über den kleinen Raum in dessen Ecke eine völlig verängstigte Frau hockte. Ohne sich weiter um sie zu kümmern griff Faenwulf nach einer silbernen Schale und ließ sie in seinen Seesack gleiten. Mehr war hier leider nicht zu holen. Mit einer schnellen Bewegung riss er der Frau, die panisch in einer Sprache sprach, die Faenwulf nicht verstand, eine Bernsteinkette vom Hals und verließ das Haus. Draußen stellte sich ihm ein junger Mann entgegen, der eindeutig nicht von hier war. Er trug eine leichte Rüstung, die er sich offensichtlich schnell übergeworfen hatte und hielt ein schlankes Schwert in der Hand. Sein Atem ging schnell und sein Schwertarm zitterte leicht. Faenwulf hatte fast Mitleid mit ihm. Er überragte den Jüngling um einen halben Schritt, doch Faenwulf wusste auch, dass diese kleinen zierlichen Kerle häufig schnell waren wie Wiesel. Der Thorwaler schlug mit seinem Schild nach dem jungen Mann und dieser wich behände, fast tänzelnd, aus. Faenwulf seufzte innerlich und lockerte den Schneidzahn an seinem Gürtel. Diesmal griff der junge Mann zuerst an und stieß das Schwert in Richtung Faenwulfs Gesicht, um sich blitzschnell wieder aus der Reichweite des Thorwalers zu entfernen. Faenwulf blockte den Angriff ab, doch sofort folgte der nächste und der nächste. Mit dem großen Rundschild war es schwierig an Faenwulf heran zu kommen, doch so ein Schild wurde schwer. Trotzdem schaffte der Thorwaler es dem jungen Mann einen Schlag mit der Axt zu versetzen, verletzte ihn jedoch nicht so schwer wie gewollt. Auch Faenwulf musste einen Streich des Schwertes einstecken und er wurde langsam ungeduldig. Vorsichtig zog er den Schneidzahn aus seinem Gürtel, wobei der Schild seine Handlung verdeckte. Jetzt musste nur noch die richtige Gelegenheit kommen und er würde der kleinen Plage die Wurfaxt in die Brust rammen. Doch dazu kam es nicht. Gerade als Faenwulf einen Angriff andeuten wollte und der junge Mann sich darauf vorbereitete, wurde dieser zu Boden gerissen. Hjasgar hatte sich ihm unbemerkt genähert und ihn dann mit einem beherzten Schildstoß von den Füßen geholt. Faenwulf grinste erleichtert und vergrub dann das Blatt seiner Orknase im Rücken des Mannes, der kurz zuckte und dann liegen blieb. Die Frau, deren Haus Faenwulf gerade geplündert hatte, kam heraus gestürmt, warf sich auf den toten Jüngling und stieß lautes Wehklagen aus. Faenwulf ließ sie mit ihrer Trauer allein. Die ersten Dächer des Dorfes brannten und einige der Mannschaft hatten schöne Schmuckstücke erbeutet. Karva steckte einen mit Edelsteinen besetzten Dolch in ihren Gürtel, während Wulfgrimm einen bronzenen Kerzenständer in einem Beutel verschwinden ließ. Blotgrimm zerrte eine schreiende Frau in ein Haus. Faenwulf durchsuchte zwei weitere Häuser und erbeutete einige Ketten und Ringe. Die Gegenwehr der Dorfbewohner ließ immer mehr nach. Einige lagen tot in den Straßen, andere hatten sich in ihren Häusern verschanzt oder waren geflohen. Ein paar der Häuser standen nun komplett in Flammen und Faenwulf gab den Befehl zum Rückzug. Er wusste, dass seine Stimme und seine Sprache für die Bewohner fremdartig und bedrohlich klang. Es würde dauern, bis sie sich von diesem Angriff erholt hatten, doch Faenwulf wusste, dass dies nicht der erste thorwalsche Angriff auf dieses Dorf gewesen war. Mit schnellen Schritten zogen sie sich zur Vegahögg zurück, hievten ihre Beutestücke an Bord und schoben den Drakkar vom Strand. Nun hieß es wieder rudern, bis der Wind sie weiter trug und als Faenwulf das Kommando gab, holten sie die Ruder ein. Der Wind war kräftig und schob sie schnell über das blaue Meer. Mit breitem Grinsen leerte Faenwulf seinen Seesack und betrachtete mit seiner Mannschaft die Beutestücke. Kapitel 14 | Kapitel 16
- Unser ist das Meer – Kapitel 16
Es war noch früher Morgen als Ingibjörg seine beiden neuen Schüler weckte. Heute würden sie ihre erste Probe bestehen müssen und da sie vor Sonnenuntergang wieder zu dem kleinen Hof zurückkehren wollten, war es ratsam früh aufzubrechen. Ragin trug einen Wasserschlauch und einen Beutel mit Proviant für den Weg, während Beorn Ingibjörgs Rucksack trug. Der Alte hatte ihnen nicht gesagt wo genau sie hingehen würden. Die letzten Wochen hatten sie am Berg verbracht und wenn der Alte sie nicht unterrichtet hatte, mussten sie Feldarbeit leisten. Doch langweilig wurde es nie. Hatten sie ihre Fähigkeiten früher immer unterdrückt, schienen sie hier zu wachsen und zu gedeihen. Ob es an dem Berg, an den Lehren des Alten oder an beidem lag war nicht klar, doch die beiden jungen Männer waren froh endlich einen Weg zu gehen auf dem sie ihre früher so gefürchteten Gaben nutzen konnten. Sie folgten schmalen Pfaden, ausgetreten von Tieren, immer tiefer in den Wald hinein. Hier und da blieb Ingibjörg stehen um Kräuter zu sammeln oder in den Wald zu lauschen. Er sprach nicht und die jungen Männer trauten sich nicht etwas zu sagen. Wie die kommende Aufgabe aussehen würde blieb ihnen ein Rätsel, doch obwohl der alte Mann gebrechlich schien, gab er ihnen Sicherheit. Natürlich trugen sie Waffen bei sich. Ragin hatte eine Orknase am Gürtel und Beorn stützte sich beim Gehen auf seinen Speer. Gefahren durch Wölfe oder Schwarzpelze würden sie abwehren können und das wogegen Waffen nutzlos waren, würde der Alte vertreiben. Ingibjörg summte leise ein Lied, die Augen halb geschlossen. Er kannte diesen Weg wie die Linien auf seiner Hand und war ihn häufiger gegangen, als er zählen konnte, jedoch immer allein. Heb‘ die Füße, Junge, dachte er kichernd und Beorn stolperte zwei Sekunden später über eine Wurzel. Nicht nur die Runjas liebten ihre Streiche. Ingibjörgs Summen verstummte, als der Pfad begann schmaler zu werden. Es war leicht zu erkennen, dass sich nicht viele Tiere hierher wagten und der Wald wurde bald lichter und der Boden felsiger. Ebenso wurde der Weg steiler und bald standen allen dreien kleine Schweißperlen auf der Stirn. „Nicht mehr weit“, murmelte Ingibjörg mehr zu sich selbst als zu seinen Lehrlingen und griff seinen Gehstock fester. Sie umrundeten einen großen Findling und blickten in den Rachen einer tiefen Höhle. Sie schien weit in den Berg zu führen und der Eingang war so hoch, dass Beorn sie mit geradem Rücken hätte betreten können. Neben dem Eingang lag der Kadaver eines Wildschweins und etwas das mal ein Wolf gewesen war. Beorn und Ragin fielen sofort die feinen Runen auf, die bis auf die Höhe von drei Schritt um den Eingang herum in den Stein geritzt waren. Einige neu andere fast verblasst. Ingibjörg kniete sich vor die Überreste eines vor vielen Monden angezündeten Feuers und deutete Beorn ihm seinen Rucksack zu geben. Beorn tat wie ihm geheißen und beobachtete den Alten wie er ein Feuer entfachte und sofort etwas Rauchkraut in die Flammen warf. Noch während er Ingibjörgs Tun betrachtete fiel ihm Ragins besorgter Blick auf, der mit zusammengezogenen Brauen auf den Höhleneingang starrte. Beorn folgte seinem Blick und sein Herz sank. Wie ein schwarzes Maul klaffte die Höhle hinter ihnen und schien jedes bisschen Licht zu verschlucken. Trotz der Sonne, die hell über ihnen schien, war im Inneren der Höhle nichts zu erkennen. Im Gegenteil, schien die Dunkelheit eher aus ihr herauszukriechen. Instinktiv griffen beide an Metall und wandten sich dann wieder dem Alten zu, der sich zu ihnen umwandte und ihnen deutete sich zu setzen. Sie saßen um das Feuer herum und starrten in die Flammen. Mal schien die Zeit zu rennen, mal schien sie zu kriechen, doch die jungen Männer wagten nicht zu fragen worauf sie warteten. Ihre Rücken begannen zu schmerzen und die Kälte des Bodens kroch in ihre Glieder. Gerade als sie dachten, sie würden es nicht mehr aushalten weiter dort zu sitzen, hörten sie es. Leise Stimmen, flüsternd, manche kichernd, die aus der Höhle drangen. Die Worte waren unverständlich, doch sie waren ganz klar da. „Runjas“, flüsterte Ingibjörg in strengem Ton zurück und die Stimmen verstummten fast augenblicklich. Sie saßen weiter dort, diesmal geduldiger. Die Sonne stand schon wesentlich tiefer, doch das worauf Ingibjörg zu warten schien, ließ sich Zeit. „Du bist hier“, flüsterte Ingibjörg und riss damit seine Lehrlinge aus ihrer Trance. Er begann mit einem Stock Runen in den Boden zu zeichnen und sie hörten, dass sich hinter ihnen etwas regte. Etwas großes schien sich mit schnellen Schritten zu nähern, doch egal wie angestrengt die jungen Männer auch in die Dunkelheit starrten, sie konnten nicht ausmachen was dort auf sie zu kam. Ein kehliges Knurren erklang, das von den Wänden der Höhle widerhallte und sie erkannten, dass es schon näher war, als gedacht. Ingibjörg zeichnete einen Wolf in den Sand umringt von Runen, von denen die jungen Männer nur einige kannten. Das Wesen war jetzt ganz nah und sie konnten eine Bewegung in der Höhle erkennen. Beorn und Ragin spürten seinen heißen Atem in ihren Nacken, der nach Tod und Verwesung stank. Gleichzeitig lehnten sie sich nach vorn und begannen mit ihren Fingern ebenfalls Runen in den Sand zu zeichnen. Es geschah mehr instinktiv als wissentlich, doch das wütende Knurren verstummte. Mit einer schwungvollen Geste wischte Ingibjörg den im Sand gezeichneten Wolf fort und ein zornerfülltes Bellen erklang aus der Höhle. Beorn und Ragin sahen das Aufblitzen gelber Augen, die jedoch sofort wieder verschwanden. Der Bewohner der Höhle entfernte sich, doch sie konnten seinen abgrundtiefen Hass spüren. Mit knackenden Knochen und steifen Gliedern erhoben sie sich. Wenn sie das Grassodenhaus vor Sonnenuntergang erreichen wollten, mussten sie aufbrechen. Niemand sprach auf dem Weg zurück und die beiden jungen Männer versuchten zu lauschen, ob die Runjas ihnen etwas mitteilen wollten. Doch wie so oft waren ihre Botschaften wirr und nicht zu verstehen. Im Grassodenhaus setzten sie sich wieder um das Feuer, doch hier war es warm und gemütlich. Sie streckten ihre Glieder auf gemütlichen Fellen aus und aßen Brot mit Schmalz, während Ingibjörg einen Apfel schnitt. …
- Unser ist das Meer – Kapitel 17
Sie waren wieder auf See. Nach dem Högg waren sie alle gut ausgeruht, gesättigt und zufrieden. Niemand war mit leeren Händen auf die Vegahögg zurück gekehrt. Ein guter Start also.Dazu stand der Wind gut und sie hatten kaum rudern müssen. Während der Rest der Mannschaft sich unterhielt oder sich die Sonne auf den Bauch scheinen ließ, beratschlagte Faenwulf sich mit Karva und Blotgrimm über ihr nächstes Ziel.„Brabak“, dröhnte Blotgrimm. „Wir können Waren tauschen und vielleicht heuert uns jemand an. Eine Horde Thorwaler kann doch jeder gebrauchen.“ Faenwulf war skeptisch, hatte jedoch spontan keine andere Idee. Sie hatten noch viel Zeit und ein kleiner Abstecher nach Brabak konnte nicht schaden. „Vielleicht sollten wir auch…“ Ein Rufen von Eilif Holzauge unterbrach ihn. „Schwarze Segel!“, rief er, einen Arm um den Kopf des Drakkar geschlungen. „Schwarze Segel!“Die Thorwaler blickten auf. Schwarze Segel konnten nur eins bedeuten. Eine Al’Anfanische Galeere.Jeglicher Frohsinn war Zorn gewichen, bei manchen auch unverhohlenem Hass. Faenwulf musste kein Wort sagen. Es war klar, dass ihnen ein Kampf bevor stand und er schritt herüber zu seiner Ruderkiste um seine Krötenhaut heraus zu holen. Die meisten, zumindest die die leichte Rüstung besaßen, taten es ihm gleich. Schwere Rüstung, bis auf Helme, waren auf hoher See eher nicht ratsam. So schnell es ging zogen sich alle an und schnallten sich ihre Waffen um. Manche schickten kurze, wütende Gebete an ihren zornigen Gott.Der Drakkar hatte Kurs auf die Galeere genommen und die ersten Rufe in einer fremden Sprache waren zu hören. Faenwulf überlegte, ob er etwas sagen sollte, doch er entschied sich dagegen. Die Feindschaft zwischen Thorwal und Al’Anfa saß so tief, dass Worte eigentlich überflüssig waren. Der Aal war geladen und die Stinktöpfe waren bereit. Jetzt hieß es der Galeere auszuweichen und den ersten Angriff zu machen. Der Drakkar war schneller und wendiger als die Galeere, doch der Rammsporn am Bug des Schiffes war vernichtend, wenn er sie traf.Die Stimmung war angespannt und die sonst so fröhlichen Thorwaler von einer düsteren Stimmung befallen. Die Besatzung der Galeere rief ihnen offensichtliche Verspottungen zu, doch das kümmerte sie nicht. „Wir färben das Meer mit eurem Blut, ihr Hunde“, murmelte Faenwulf düster. „Los!“, brüllte er dann. Mit einem lauten Zischen schleuderte der Aal den Speer und verfehlte sein Ziel nicht. Ein Mann in lederner Rüstung, der laut Befehle brüllte, wurde durchbohrt und von Bord gerissen. Nur große Spritzer Blut zeugten davon, dass er überhaupt einmal dort gestanden hatte.Schreie waren vom feindlichen Schiff zu hören, das jetzt so nah war, dass Faenwulf die verzerrten Gesichter der Männer erkennen konnte, gegen die er gleich kämpfen würde.Die Thorwaler banden sich mit Essig getränkte Tücher vor Mund und Nase, kurz bevor zwei Stinktöpfe mit viel Schwung an Deck der Galeere geschleudert wurden. Der Gestank trieb ihnen sogar auf dem Drakkar die Tränen in die Augen und viele auf der Galeere, Besatzung wie Sklaven, begannen sich zu übergeben. Der Moment war günstig. Als das Schiff nah genug war, sprangen die Thorwaler auf die Galeere. Schnüre wurden gespannt, um ein auseinanderdriften der Schiffe zu vermeiden, Speere wurden geworfen und die erste Reihe der gegnerischen Besatzung wurde von den vorstürmenden Thorwalern einfach von ihren Füßen gerissen. Die Kinder Swafnirs brüllten ihren Zorn heraus und fällten alles, was ihnen vor die Äxte kam. Es war klar, dass sie im Falle eines Sieges, niemanden am Leben lassen würden.Die angeketteten Menschen hockten sich ängstlich an die Bordwand, nicht wissend wer Freund oder Feind war. Geblendet vor Zorn schlug Faenwulf immer wieder zu. Er spürte kaum wie ihm ein Schwertstrich den Arm aufschnitt, sondern riss nur seinen Schneidzahn vom Gürtel und schleuderte ihn seinem Gegenüber entgegen. Mit einem lauten Knirschen grub sich die Klinge der Wurfaxt in die Brust des Mannes, der einen Schwall Blut erbrach und regungslos liegen blieb. Der Boden war rutschig von Erbrochenem, Blut und Eingeweiden und Faenwulf mahnte sich vorsichtig zu sein. Er riss die Wurfaxt aus dem Körper des Mannes und warf sie erneut. Wieder traf sie ihr Ziel und spaltete einem weiteren Al’Anfaner den Schädel. Faenwulf kämpfte damit den Überblick zu behalten, seine Mannschaft zu zählen und dabei alle Angriffe abzuwehren, die versuchten ihn zu treffen. Der Skjald wäre hier praktisch gewesen, doch nicht sehr nützlich. Im letzten Moment wich er einem Speerstich aus, ergriff den Schaft und riss den Speerträger von den Füßen. Der Zorn in ihm wuchs noch mehr. Mit einem gezielten Tritt seiner schweren Stiefel dellte er den Brustkorb des Mannes ein, der ihn blutspuckend verfluchte. Eigene Flüche ausstoßend stach Faenwulf den Mann ab wie ein Schwein. Der Widerstand begann abzuebben. Die Galeere war verloren, das war klar und doch kämpften die Sklaventreiber bis zum bitteren Ende. Bryda wehrte sich gegen zwei Angreifer, als Faenwulf erneut zum Schneidzahn griff und einen von ihnen fällte. Noch während Faenwulf die Wurfaxt aus dem Brustkorb seines Opfers zog, lenkte ein hohes Schreien seine Aufmerksamkeit zum Heck des Schiffs.Ein Mann, offensichtlich einer der Sklaventreiber, hielt ein Kind in den Armen, ein breites Grinsen auf den schmalen, blutbefleckten Lippen. In seiner rechten Hand glänzte ein Dolch. In einer Geste des letzten Triumphs schnitt er dem Kind die Kehle durch. Blut schoss aus der Wunde, während das Leben in den Augen des Kindes langsam erlosch. Zorn, von dem er dachte er könnte nicht größer werden, stieg in Faenwulf auf, doch ein Brüllen, das fast nicht mehr menschlich schien, lenkte ihn ab. Blotgrimm hatte den Mann fixiert und Wahnsinn glänzte in seinen Augen. Wieder brüllte er voller Zorn, die mächtige Axt fest ergriffen, und preschte los, wobei er Faenwulf von den Füßen riss. Schaum bildete sich auf seinen Lippen und alles auf seinem Weg zu dem Kindsmörder rammte er fort. „Swafskari!“, brüllte Faenwulf über den Kampfeslärm und zumindest die Thorwaler verstanden und reagierten sofort. Jeder von ihnen suchte den, der der Walwut verfallen war und ließ ihn nicht aus den Augen. Jetzt galt es nicht nur sich vor dem Gegner in Acht zu nehmen, sondern auch vor einem der ihren.Blotgrimm hatte den Kindsmörder nun erreicht und so wie er es immer tat, schlug er …
- Unser ist das Meer – Kapitel 18
Niemand sprach auf dem Weg zurück zum Strand. Zwischendurch gab Faenwulf eine Anweisung, doch er betrachtete wortlos die Sklaven, denen sie nun die Freiheit schenken würden. Faenwulf kannte ihre Geschichten nicht, wusste nicht woher sie stammten oder wohin sie gehen würden, doch er war sicher dass es überall besser war als auf der Galeere und in Al’Anfa. Es waren junge Männer unter ihnen, Frauen und Kinder. Doch alle gleichfalls verängstigt. Manche weinten. Faenwulf fragte sich, ob jemand von ihnen schon mal von einer Ottajasko überfallen worden war, ob sie vor ihnen genauso viel Angst hatten, wie vor den Sklaventreibern. Doch das würde bald keine Rolle mehr spielen. Der Strand näherte sich und schon bald würden sich ihre Wege trennen. Als der Drakkar auf den Strand stieß, schüttelte es einige ordentlich durch. Faenwulf sprang von Deck und deutete den ehemaligen Sklaven das Schiff zu verlassen. „Kommt“, rief er auf Garethi. „Ihr seid frei. Geht! Macht was ihr wollt.“ Mit beherzten Schlägen wurden die letzten Fesseln gesprengt und die ungewöhnlichen Passagiere verließen das Schiff. Einige blickten sich nicht um, sprachen kein Wort mit ihren Befreiern, doch andere dankten in ihren fremd klingenden Sprachen. Eine ältere Frau legte sanft ihre Hand auf Faenwulfs Wange, blickte ihm tief in die Augen und verschwand dann über die Dünen. Dieses komische Gefühl, das in Faenwulf brütete verschwand langsam und wurde ersetzt durch Stolz. Stolz darauf, dass sie besser waren als die Al’Anfaner. Dieses dreckige Pack, die Menschen hielten wie Vieh. Faenwulfs Aufmerksamkeit wurde wieder zur Vegahögg gelenkt. Einige seiner Leute standen ratlos an Bord und wussten anscheinend nicht was sie tun sollten. Faenwulf blickte Karva fragend an, doch die gestikulierte nur ihr Unverständnis. Einer der Sklaven war an Bord geblieben. Er hatte sich neben Blotgrimm gesetzt, der noch immer nicht das Bewusstsein wieder erlangt hatte, und betupfte seine Stirn mit kühlem Wasser. Es war ein junger Moha, der Faenwulf herzlich anlächelte. Er trug nichts außer einem Lendenschurz, Talismanen und einer Decke, die er sich als Mantel umgebunden hatte. Faenwulf sah die Narben auf seinen Schultern, die von Peitschenschlägen herrührten und spürte den Zorn heiß in seinem Magen. „Du kannst gehen“, begann Faenwulf und deutete auf den Strand. „Du bist frei.“ Der Moha nickte und erhob sich. Er war sehr schlank und reichte Faenwulf kaum bis zur Schulter. „“Matatoa“, sagte er lächelnd und deutete auf sich, dann deutete er auf Faenwulf und blickte den Thorwaler fragend an. „Ich bin Faenwulf“, antwortete dieser verblüfft, aber auch amüsiert. „Du kannst gehen wenn du willst.“ Doch Matatoa blickte ihn mit allwissenden, dunklen Augen an und schüttelte nur den Kopf. Faenwulf wusste nicht was er sagen sollte, doch es war nicht ungewöhnlich dass Mohas auf thorwalschen Schiffen anheuerten. Wenn er bleiben wollte, sollte er bleiben. Und wenn es ihm doch nicht gefiel, war er kein Verlust. Also nickte Faenwulf nur und befahl dem Rest der Mannschaft den Drakkar wieder vom Strand zu schieben. Sie hatten genügend Beute gemacht, die sie nun los werden mussten und wo ging das besser als in Brabak? Also ruderten sie. Matatoa tat sein bestes und löste zwischendurch die ab, die eine Pause brauchten, doch er war zu erschöpft von seiner Gefangenschaft, als dass er lange hätte rudern können. So blickte er die meiste Zeit raus aufs Meer und schien den Wind in seinem Gesicht zu genießen. Frei von Fesseln. Faenwulf blickte ebenfalls nachdenklich aufs Meer. Was symbolisierte Freiheit besser als das Meer? Das endlose Blau, die Wellen und der Wind. Und natürlich seine Bewohner. Die Wale, die schwammen wohin sie wollten und niemand hielt sie auf. Wild und frei jagten und spielten sie, stets beschützt von ihrem Vater Swafnir. Ihrem gemeinsamen Vater. Noch nie hatte jemand Ketten um Faenwulfs Arme gelegt und er würde lieber sterben, als für immer gefangen zu sein. So ging es ihm und seinem Volk. Freiheit als das höchste Gut. Was gab es mehr? Er war froh, dass sie den Sklaven hatten helfen können und die Sklaventreiber ihre Strafe erhalten hatten. Ihre Körper sanken nun in die Tiefe, zerfetzt von Haien und anderem Getier. Niemals würden sie die dunkle Tiefe verlassen können. Eine Strafe schlimmer als der Tod, doch sie hatten es verdient. Faenwulf wurde aus seinen Gedanken gerissen als Matatoa eine Hand auf seine Schulter legte und auf eine Möwe deutete. Der Hafen Brabaks war in der Ferne zu sehen. Kapitel 17 | Kapitel 19
- Unser ist das Meer – Kapitel 19
Brabak war eine riesige Stadt, einschüchternd und voller Halsabschneider, doch nirgendwo konnte man Plündergut so einfach los werden wie hier. Faenwulf gebot seinen Leuten vorsichtig zu sein. Die meisten hatten vorher ihre Heimatstadt nie verlassen und vieles hier war neu für sie. Doch sie waren auch neugierig und die meisten verließen das Schiff und machten sich auf den Weg zu den Tavernen und Hurenhäusern. Faenwulf blieb alleine zurück und begann mit den Händlern zu sprechen. Die meisten hier hatten Erfahrung mit thorwalschem Plündergut und versuchten die Preise zu drücken, doch Faenwulf hatte ebenfalls schon etliche Male verhandelt und ließ sich nicht übers Ohr hauen. Niemand hier wollte zu viel bezahlen, und niemand wollte sich unter Preis verkaufen. Eine Einigung war jedoch immer möglich. So ließ der glückliche neue Besitzer von Faenwulfs Waren diese abtransportieren und Faenwulf ließ zwei große Beutel voller Münzen in seinen Gürteltaschen verschwinden. Er war auf der Hut, Beutelschneider gab es hier wie Sand am Meer, doch ihre Ziele waren eher die Betrunken, die aus den Tavernen torkelten und kein thorwalscher Kapitän, der sie zur Unkenntlichkeit prügeln konnte. Die Vegahögg blieb im Hafen zurück und Faenwulf machte sich auf den Weg zu der Taverne aus der der größte Lärm drang. Und tatsächlich traf er hier die meisten seiner Mannschaft an. Einige hatten das Ahl ignoriert und waren direkt zu Schnaps und Premer Feuer übergegangen. Blotgrimm leerte einen Krug Ahl nach dem anderen und kühlte seine rechte Gesichtshälfte mit einem dicken Stück Fleisch. Er hatte ordentlich was abbekommen bei seiner Swafskari, doch wie immer war er guter Stimmung. Offensichtlich hatte er Matatoa schon in sein Herz geschlossen und dieser schien Blotgrimm ebenso zu mögen. Das Ahl zeigte schon Wirkung bei dem schmächtigen Moha und Blotgrimm bestellte ihm einen Eintopf damit er nicht sofort von der Bank kippte. Bryda nahm einen großen Schluck aus ihrem Krug und stimmte ein Lied an. Ein Lied über das Meer und die Freiheit und alle stimmten ein. Faenwulf sang jede zweite Zeile mit und bedankte sich herzlich als der Wirt ihm ein unbestelltes Premer Feuer hinstellte. Matatoa kam torkelnd zu ihm herüber und nahm neben ihm Platz. „Ich muss dir danken“, begann er und Faenwulf bemerkte schmunzelnd das Lallen in seiner Stimme. „Ihr habt mich gerettet und ich muss euch danken.“ Er strahlte Faenwulf. „Du und deine Männer und Frauen seid gute Leute. Ihr verdient meinen Dank.“ Faenwulf wollte gerade abwinken, als Matatoa ihn mit einer Geste zum Schweigen brachte. „Du sprichst jetzt nicht“, fuhr er fort. „Ich weiß du und deine Leute sucht immer nach Münzen. Eure Familien warten auf euch. Ich weiß wo viele Münzen sind, aber ihr müsst stark und tapfer sein, um sie zu holen.“ Faenwulf blickte den Moha überrascht an. „Ein Schatz?“, fragte er leise und Matatoa nickte. „Auf einer Insel. Er wurde dort versteckt, doch nie mehr geholt und jetzt beschützt ihn etwas, damit das auch so bleibt. Doch ihr könnt ihn holen wenn ihr stark und tapfer seid.“ Faenwulf dachte nach. War es eine gute Idee zu den Waldinseln zu segeln? Doch warum sollten sie es nicht tun? Natürlich bestand immer noch die Möglichkeit, dass dieser Schatz nicht existierte oder nichts wert war, doch das mussten sie erst heraus finden. Sie wollten doch ins Abenteuer segeln und jetzt tat sich eine Gelegenheit auf. Vielleicht war dies ihre Belohnung dafür, dass sie nicht nur Leben genommen, sondern auch gerettet hatten. Es war eine Gelegenheit, die sie ergreifen mussten. „Dann zeig uns den Weg“, grinste Faenwulf und Matatoa grinste zurück. Der Moha schien so glücklich und erleichtert bei den Thorwalern zu sein. Die Götter hatten manchmal einen seltsamen Humor. Es war abgesprochen, dass sie sich am morgigen Tag wieder an der Vegahögg treffen würden. Was sie alle den Rest des Abends und der Nacht trieben war ihre eigene Sache. Einige waren sofort verschwunden nachdem sie Brabak erreicht hatten, andere schienen in der Taverne übernachten zu wollen. Faenwulf überlegte, ob er ebenfalls eins der Freudenhäuser aufsuchen sollte, doch nachdem er sich ein ordentliches Stück Fleisch gegönnt hatte, war ihm mehr der Sinn nach Ahl und Mjöt. Die Stimmung in der Taverne war ausgelassen und laut. Einige sangen, andere unterhielten sich mit anderen Reisenden und Blotgrimm lachte laut, eine hübsche Frau auf jedem seiner Knie. Karva war nirgends zu sehen, doch Faenwulf war sicher, dass sie ihren eigenen Geschäften nachging. Er spürte wie seine Zunge schwer wurde und sein Geist benebelt von dem Bier und dem Schnaps, den Blotgrimm bestellte, sobald der Krug leer war. Faenwulf mahnte sich vernünftig zu sein. Er war der Kapitän des Schiffs. Wenn er mit Katzenjammer und halb betrunken eine Mannschaft anführte, würden sie nie bei den Waldinseln ankommen. Also raffte er sich auf, zahlte beim Wirt für ein Zimmer und machte sich auf den Weg nach oben. Der Kampf heute war hart gewesen und er fühlte sich etwas zerschlagen. Ein gemütliches Strohlager war genau das was er brauchte. Auch wenn seine trockene Kehle sich nach mehr Ahl und Gesang sehnte. Als er das Ende der Treppe erreicht hatte, hörte er schnelle Schritte hinter sich. Zu seiner Überraschung war es Bryda, die ihm mit vielsagendem Lächeln gefolgt war. Auch sie hatte dem Ahl gefrönt und blickte Faenwulf erwartungsvoll an. „Ich dachte mir, dass man eine Nacht nach so einem Sieg nicht alleine verbringen sollte“, sagte sie mit zuckersüßer Stimme. Faenwulf zögerte kurz und seine Gedanken glitten zu seiner Überraschung sofort zu Karva, der es sicher gar nicht gefallen würde, was sich hier anbahnte. Doch Karva war nicht hier und Bryda war jung und schön. Faenwulf deutete ihr, ihm zu folgen. Noch bevor er die Tür zu seinem Zimmer abgeschlossen hatte, begann Bryda sich zu entkleiden. Ihr Körper war gestählt und zeigte noch nicht viele Hautbilder. Ihr dunkles Haar war lang und sie trug es offen, so dass es über ihren Rücken und ihre Schultern fiel. So ohne Krötenhaut, Streifenhose und Stiefel sah sie nicht wie eine Kriegerin aus. Sie hätte genauso gut eine Bauerntochter sein können, nach der sich die jungen Männer ihm Dorf …
- Unser ist das Meer – Kapitel 20
Als Faenwulf am nächsten Morgen erwachte, fühlte er sich nicht wirklich ausgeruht, doch zufrieden. Er und Bryda waren erst spät dazu gekommen zu schlafen. Bryda war immer noch bei ihm und schlief friedlich an seiner Schulter. Faenwulf betrachtete sie. Ihr dunkles Haar, das auf ihrem Kissen ausgebreitet war, ihre helle Haut und die vielen kleinen Verletzungen, die sie in den letzten Wochen davongetragen hatte. Faenwulf fühlte das Verlangen in sich, als er die junge Thorwalerin so nackt neben sich schlafen sah, doch dafür war jetzt keine Zeit. Es war bereits taghell draußen und er wollte wirklich nicht als letzter an der Vegahögg ankommen. Ohne Bryda zu wecken stand Faenwulf auf und wusch sich an einer Schale mit Wasser. Natürlich würde das Wasser außerhalb der Heimat ihn nicht säubern, doch er wollte nicht nach Bier und Lust stinkend an seinem Schiff ankommen. Mit geübten Handgriffen flocht er sein langes Haar zu einem Zopf und begann sich anzuziehen. Bryda erwachte langsam, machte aber keine Anstalten aufzustehen. Mit einem zufriedenen Grinsen beobachtete sie Faenwulf dabei wie er sich anzog. „Anstatt zu starren solltest du dich auch anziehen“, bemerkte Faenwulf schmunzelnd, während er die Schnallen seiner Krötenhaut schloss. Bryda schüttelte lachend den Kopf. „Ich brauche mehr als nur eine Katzenwäsche“, lachte sie. „Ihr werdet ja nicht ohne mich fort segeln.“ Nachdem er sie noch ein letztes Mal betrachtet hatte, verließ Faenwulf den Raum. Die Taverne war nun bis auf ein paar schlafende Trunkenbolde leer und der Wirt hatte mit dem Aufräumen begonnen. Die Stadt ging bereits ihren alltäglichen Geschäften nach und Faenwulf besorgte sich etwas frisch gebackenes Brot und Obst, um es auf der Vegahögg zu essen. Einige aus der Mannschaft warteten bereits beim Drakkar, manche ganz schön übernächtigt. Doch wer feiern konnte, konnte auch rudern, oder nicht? Nachdem er die Münzen in seiner Ruderkiste verstaut hatte, schlenderte Faenwulf zum stolzen Drachenkopf der Vegahögg, um sein Frühstück zu sich zu nehmen. Matatoa, der anscheinend den Katzenjammer seines Lebens hatte, blickte ihn schmerzerfüllt an, als er die Vegahögg betrat. „Blotgrimm ist ein guter Mann“, bemerkte er nur. „Jeder mag ihn.“ Faenwulf nickte nur. Solange man am richtigen Ende der Axt stand, war Blotgrimm der beste Freund den man haben konnte. Wollte er einem den Schädel zu Brei schlagen, suchte man besser das Weite. „Aeniko“, sagte Matatoa dann und Faenwulf wusste nicht was das bedeuten sollte. „Aeniko ist die Insel“, fuhr Matatoa fort. „Dort sind die Münzen.“ Faenwulf deutete Eilif zu ihnen herüber zu kommen. Dieser schien heute noch mürrischer als sonst, doch er kam und lauschte Matatoas Erzählungen. „Ich weiß wo das ist“, grummelte er. „Gefährliche Gegend. Es wimmelt von Piraten. Die Inseln sind von Malströmen umgeben und dann sind da natürlich noch die Schlangenanbeter.“ Faenwulf verzog das Gesicht. War es das wert? Die Mannschaft und sein Schiff zu riskieren, für einen Schatz den es eventuell gar nicht gab? Er schaute herüber zu Matatoa, der ihn mit ehrlichen, freundlichen Augen anblickte. „Über Feiglinge werden keine Lieder gesungen“, sagte Faenwulf dann entschieden und rief die Mannschaft aufs Schiff. Alle lauschten gespannt seinem Plan. Sie würden also zur Insel Aeniko segeln, eine der äußersten Inseln im Perlenmeer und auf Schatzsuche gehen. Die erfahreneren Seefahrer blickten ungläubig drein, während die Jungen es kaum erwarten konnten. Sie waren nun vollzählig und jeder bemannte nun sein Ruder. Karva, deren Ruderkiste neben Faenwulfs lag, betrachtete ihn nachdenklich. „Du triffst Entscheidungen nicht mehr so zögerlich. Das ist gut.“ Faenwulf nickte nur. Es war nicht so einfach Entscheidungen für so viele zu treffen, doch als Kapitän musste er es nun mal tun. Heute Abend würde er einen Teil der Münzen aufteilen, die er für das Plündergut erhalten hatte. Die meisten hatten in der letzten Nacht viel Geld bei den Wirten und Huren Brabaks gelassen. Nachdem sie den Hafen verlassen hatten, zog ein guter Wind auf und die Ruder konnten eingezogen werden. Das rot-weiß gestreifte Segel blähte sich im Winde und trug den Drakkar schnell über die Wellen. Es wurde nicht viel gesprochen. Karva hing ihren Gedanken nach, Blotgrimm trauerte den beiden hübschen Schankmaiden nach, die er in Brabak hatte zurück lassen müssen und der Rest schien sich noch von der gestrigen Nacht zu erholen. Faenwulf blickte auf, als sich zwei der Männer vor ihm aufbauten. Arngrimm und Tjalf waren in Waskir von Blotgrimm eingesammelt worden. Sie waren erfahrene Seefahrer, was man ihnen sofort ansah. Sie hatten ungefähr Faenwulfs Alter und schienen alles andere als zufrieden mit der Situation zu sein. „Wir können nicht so weit segeln“, begann Arngrimm ohne lange Erklärungen. „Dieser Plan ist zum Scheitern verurteilt. Entweder töten uns die Piraten oder das Schiff wird von der Tiefe verschlungen.“ Einige nickten zustimmend. „Wieso segeln wir nicht weiter an der Küste und höggen?“ Faenwulf verzog das Gesicht und erhob sich. Er war einen halben Kopf größer als Arngrimm und wesentlich kräftiger. „Wer hätte gedacht, dass du so ein Teigherz bist?“, spottete Faenwulf. „Vielleicht wäre Fiskimader das passendere für dich gewesen.“Arngrimm blickte ihn zornig an und schlug Faenwulf dann mit der Faust ins Gesicht. Sofort brach Chaos an Bord aus. Faenwulf schlug ebenfalls zu und holte Arngrimm mit einem kräftigen Haken von den Füßen. Noch bevor Tjalf seinem Freund zur Hilfe eilen konnte, hatte Blotgrimm ihn gepackt und jeglichen Widerstand mit zwei gezielten Schlägen in die Magengrube ausgemerzt. Zwei weitere Herferder sprangen auf und griffen Blotgrimm an, dem wiederum Bryda und Eilif zur Hilfe eilten. Faenwulf versetzte Arngrimm einen beherzten Tritt in die Magengegend und teilte dann einem weiteren Herferder einen Nierenhaken aus. Die Schlägerei beruhigte sich schnell. Hauptsächlich weil Faenwulf und Blotgrimm in ihren jüngeren Jahren keinem Faustkampf aus dem Weg gegangen waren und somit geübte Kämpfer waren. Faenwulf wischte sich das Blut aus dem Gesicht, das noch immer aus seiner Nase tropfte und blickte die Männer und Frauen an. „Ich mache diese Ansage nur einmal. Auf diesem Schiff, meinem Schiff, wird gemacht was ich sage. Ich habe euch angeheuert und bezahle euch. Wir sind keine Ottajasko, in der über alles diskutiert wird. Wir segeln dorthin, wohin ich es für richtig halte. …
- Unser ist das Meer – Kapitel 21
Ingibjörg und seine beiden Schüler hatten sich den gestrigen Tag über auf ihre Abreise vorbereitet. Sie hatten Proviant für einen längeren Fußmarsch dabei, der Richtung Waskir vor ihnen lag. Der Alte hatte sich nach dem Besuch an der Höhle die meiste Zeit alleine in seinem Grasodenhaus aufgehalten, ihnen doch so gut es ging zu erklären versucht, wie der Plan war. Sie würden nun nach Waskir reisen, um ein Ritual vorzubereiten. Ingibjörg stand so tief mit den Runjas in Verbindung, dass er Dinge wusste, die eigentlich unmöglich zu wissen waren. Er bereitete etwas vor, bereitete den Berg auf etwas vor, das in nicht allzu ferner Zukunft lag. So hatte er Beorn und Ragin früh geweckt. Bei dem Tempo des Alten würden sie es nicht innerhalb eines Tages in die große Stadt schaffen, also mussten sie auch Waffen mitnehmen, um sich zur Not zu verteidigen. Eine fröhliche Melodie summend, brachen sie auf Richtung Waskir. Den jungen Männern brannten so viele Fragen unter den Fingernägeln, doch der Alte wiederholte immer wieder, dass sich alles aufklären würde und ihre Fragen beantwortet würden. Immer wieder schnitt er ein paar Kräuter, die auf ihrem Weg lagen und verstaute sie in seiner Tasche. Sie würden bald damit anfangen müssen sich auf den Winter vorzubereiten. Am Berg schneite es lange und viel und kaum ein Händler verirrte sich zu Ingibjörgs Heimat. So wollte er mit einigen Händlern sprechen, die Trockenfleisch und -fisch, Dinkel und anderen Proviant zum Berg liefern sollten. In der Zwischenzeit würden sie andere Dinge erledigen. Das letzte Ritual hatte die jungen Männer beeindruckt, aber auch verängstigt. Bei ihrem alten Lehrmeister hatten sie sich ausschließlich darauf konzentriert ihre Fähigkeiten zu schulen und zu lernen die Runjas zu verstehen. Ingibjörg führte dies fort, doch er bereitete sie ebenso auf einen Kampf gegen einen mächtigen Geist vor, der seinen Platz am Berg nicht einfach aufgeben wollte. „Goifang ist vor vielen Jahrzehnten bis nach Waskir gewandert“, begann Ingibjörg zu erzählen und nahm einen Schluck aus dem Wasserschlauch. „Hat dort Menschen und Tiere getötet. Selbst die Schwarzpelze haben Angst vor ihm. Er ist auch der Grund warum sie uns bisher in Ruhe gelassen haben. Der Geist ängstigt sie zu sehr.“ Die beiden Schüler hörten ihm gebannt zu. „Mit Hilfe der Waskirer konnten wir ihn allerdings zurücktreiben und schließlich bannen. Bis in die Höhle, die ihr vor einigen Tagen gesehen habt. Doch der Geist ist stark und Rituale halten nicht ewig, daher müssen wir das tun, was wir jetzt planen. Die Menschen in Waskir werden uns helfen.“ Danach äußerte sich der Alte nicht mehr zu dem Ritual oder dem Geist und die beiden jungen Männer wagten auch nicht zu fragen. So erzählten sie wiederum Geschichten über ihren alten Lehrmeister, der ein guter Freund Ingibjörgs gewesen war, aber wesentlich strenger und ein richtiger Sauertopf. Ingibjörg lachte laut, als Ragin erzählte, dass er von ihrem alten Lehrmeister regelmäßig aus dem Schlaf gerissen worden war, um Runen zu werfen und zu deuten. „Ein guter Godi ist in jeder Situation in der Lage zu deuten und zu sehen“, imitierte Ragin den alten Mann. Ingibjörg schüttelte nur den Kopf. Er selbst hielt nicht viel von Strenge, war er doch die meiste Zeit seines Lebens von Ort zu Ort gereist und hatte in den Tag hinein gelebt. Für Strenge und Ernsthaftigkeit war da nie viel Platz gewesen. Auf ihrem Weg kamen sie an einem alten Orklager vorbei und einigen Grabhügeln, die mit orkischen Runen verziert waren. Die Gräber waren noch nicht sehr alt und sie entschieden sich noch etwas weiter zu gehen, um eventuell herum streunenden Orks aus dem Weg zu gehen. „Wir werden einen Freund von mir in Waskir abholen“, begann Ingibjörg, als sie abends am Feuer saßen. Ihr Lager hatten sie unter einem Felsvorsprung aufgeschlagen und ruhten ihre müden Füße aus. Ingibjörg rollte eine Wolldecke zusammen und setzte sich darauf. „Er ist Steinmetz und wird uns helfen, die Runen an der Höhle zu erneuern. Sie sind sehr wichtig und zusammen haben wir es bereits einmal geschafft. Doch es braucht Zeit. Die müssen wir ihm verschaffen.“ Die Nacht war kurz und sehr kühl. Der Alte hatte die meiste Zeit Wache gehalten, vermutlich wegen seinen schmerzenden Knochen und dem ungemütlichen Boden, doch kurz nach Sonnenaufgang weckte er seine Schüler und sie marschierten weiter. Es war nun nicht mehr weit nach Waskir und als sie in der Stadt eintrafen, gingen die Bewohner schon ihrem gewohnten Alltag nach. Als erstes zog es Ingibjörg zu einem Kräuterhändler, der Kräuter und Räucherzeug aus aller Welt verkaufte. Mit geschultem Blick sammelte Ingibjörg ein was er brauchte und überreichte dem Händler dann etwas Hacksilber. Er schien den Alten schon als treuen Kunden zu kennen, so wie viele in der Stadt. Einige wichen ihm aus, andere blickten ihn anerkennend an. Der Alte schien dies nicht zu bemerken und lief weiter gut gelaunt von Händler zu Händler. Er bestellte Mehl für den Winter, ebenso Hangifisk und Hangikjöt und alles was über lange Zeit nicht verderben würde. Natürlich vergaß er nicht mehrere Fässer Ahl und Mjöt zu bestellen und versprach genügend Flaschen seines Kräuterschnapses zu brauen. Am Rand der Stadt trafen sie auf seinen Freund Leif, der ihn mit freudigem Lächeln begrüßte. Der Grund des Besuchs war klar und Leif zögerte nicht, sich sofort daran zu machen seine Sachen zu packen. Er würde den Winter am Berg verbringen. „Es ist also soweit“, bemerkte er mürrisch, während er einen Karren mit Kisten belud. Ingibjörg nickte nur. „Hat lange gedauert, aber irgendwann musste er ja wieder kommen. Der verdammte Bastard lässt sich einfach nicht vertreiben.“ Ingibjörg nickte wieder und deutete auf Beorn und Ragin. „Diesmal habe ich uns Verstärkung geholt.“ Er lächelte leicht. „Aber es ist klar, dass es wieder ablaufen muss wie letztes Mal. Pack du deine Sachen. Ich gehe zum Tempel.“ Beorn und Ragin folgten ihm in den Tempel Swafnirs, in dem einige ruhig beteten, andere einfach nur zu warten schienen. In einer Ecke war ein kleiner Schrein zu sehen, der Ögnir geweiht war. Ingibjörg ging darauf zu und flüsterte etwas. Er schien zu lauschen, …
- Unser ist das Meer – Kapitel 22
Sie nahmen einen anderen Weg als den Hinweg, bogen auf einen schmaleren Pfad ab, der offensichtlich nicht oft benutzt wurde. Nach langem Marsch wurde der anfangs felsige Boden immer weicher. Auch die Pflanzen um sie herum veränderten sich. Die hohen Bäume wurden weniger und wichen dichten Büschen und hohen Gräsern. Sie trafen auf ein paar Torfstecher und Beorn und Ragin wussten nun, dass sie sich auf ein Moor zu bewegen mussten. Beorn bildetet sich ein, das modrige Wasser schon riechen zu können. Ein kalter Schauer rann seinen Rücken herab. Er hatte schon von dem Moor bei Waskir gehört. Seufzermoos nannten die Anwohner es, hielten sich aber fern so gut es ging. Lediglich die Torfstecher gingen hier ein und aus und kannten jeden Knüppeldamm wie die Rückseite ihrer Hand. Tat man hier einen falschen Schritt, konnte es das Ende bedeuten. Ein Ende das man nicht seinem schlimmsten Feind wünschte. Ragin spürte ein Kribbeln direkt hinter seinen Augen. Dieser Ort war nicht einfach ein Moor und die Runjas, die hier flüsterten, waren hinterhältig und tückisch wie das Moor selbst. Es bedurfte höchster Konzentration die feixenden Stimmen aus seinem Kopf auszuschließen. „Wir sind da“, bemerkte Ingibjörg nach schier endlos scheinendem Marsch. Sie hatten eine Art Lichtung erreicht. Der Boden war hier trocken und sicher, doch umgeben von brackigem Wasser, Moor und unzähligen Schwärmen von Mücken. Die Sonne ging langsam unter und Ingibjörg begann mit seinen Vorbereitungen. Beorn und Ragin sollten ein Feuer machen und schon mal damit beginnen einige Kräuter zu verbrennen. Ingibjörg selbst machte sich daran mit dem Ende seines Gehstocks Runen in den weichen Boden zu zeichnen. Leif hatte sich auf einen Baumstumpf gesetzt und betrachtetet das Geschehen teilnahmslos. Der fremde Reisende verfolgte alles mit steigendem Entsetzen. Er war leichenblass und seine Hände zitterten so stark, dass er sie schließlich ineinander verkrampfte, um sie daran zu hindern. Der Rauch des Räucherkrauts sammelte sich über ihnen in den Baumkronen. Ingibjörg ließ sich am Feuer nieder und blickte konzentriert in die Flammen. Seine Schüler setzten sich ebenfalls ans Feuer und versuchten kein Detail zu verpassen. Die Flammen tanzten, der Rauch schlängelte sich in den Himmel und langsam wurden die Stimmen der Runjas lauter und lauter. Sie kicherten, feixten, lachten und kreischten. Jedes Mal wenn der Lärm unerträglich zu werden schien, warf Ingibjörg eine weitere Hand Kräuter ins Feuer oder ließ den Rauch mit einer Handbewegung in eine andere Richtung tanzen, und die Runjas wurden leiser. Nach einiger Zeit schien es als würden sie Bewegungen im Moor sehen. Schnelle Bewegungen gerade außerhalb des Blicks, Bewegungen, die man nur im Augenwinkel sah und sobald man hinschaute, war dort nichts außer Dunkelheit. Es war unklar wie spät es war, doch die Sonne war komplett am Horizont verschwunden und nur das Feuer erhellte die Lichtung. Seit einiger Zeit waren Lichter im Moor erschienen. Lichter, die einen sicheren Weg durch das Moor und eine sichere Zuflucht versprachen. Doch die Runjas waren tückisch und jeder, der sie kannte, wusste, dass dieser Weg in den Tod führte. Mittlerweile war das Kichern und Feixen der Runjas so laut, dass selbst Leif und der Fremde es zu hören schienen. Die Zeit war gekommen. Mit steifen Gliedern erhob Ingibjörg sich und deutete dem Fremden zu ihm zu treten. Er war genauso wackelig auf den Beinen wie der Alte und umklammerte mit einer Hand einen Anhänger in der Form eines Pottwals. Ingibjörg blickte ihn an, berührte sanft die Stirn des Mannes und zog dann eine Tonflasche hervor. Er entkorkte sie und begann den Inhalt über Kopf und Glieder des Mannes zu verteilen. Es roch nach Algen und Salz und Ragin realisierte, dass es Meerwasser war. Kleine Tropfen hingen in den Wimpern des Mannes, der immer ruhiger wurde. Nun zog Ingibjörg ein Messer hervor, das er sich ohne die Miene zu verziehen, durch die Handfläche zog. Im Schein des Feuers schienen die Tropfen fast schwarz sein. Wieder ergriff Ingibjörg das Gesicht des Mannes und benetzte dessen Wangen mit seinem Blut. Er legte ihm eine Kette um, ließ dann einige Tropfen seines Blutes ins Feuer fallen und flüsterte etwas das niemand am Feuer verstehen konnte. Doch die Runjas schienen es zu verstehen. Sie wurden wieder lauter und lauter, so dass Beorn und Ragin sich zwingen mussten, ihre Ohren nicht mit den Händen zu bedecken. Ingibjörg blickte den Mann an und sagte ein Wort, dass die jungen Männer trotz des Lärms verstanden. „Geh!“ Und er tat es. Den Lichtern ins Moor folgend, drehte der Fremde sich um und verließ die Lichtung. Die jungen Männer versuchten ihn so lange wie möglich im Blick zu behalten, doch irgendwann war er einfach fort und die Runjas verstummten abrupt. Ragin fühlte eine Übelkeit in sich aufsteigen und auch Beorn war leichenblass. „Versucht zu schlafen“, sagte Ingibjörg mit erschöpfter Stimme. „Ruht euch aus. Morgen geht es zurück zum Berg. Das hier war erst der Anfang.“ Kapitel 21 | Kapitel 23
- Unser ist das Meer – Kapitel 23
Das Meer hier war so viel heller und klarer als oben im Norden. Seit Tagen segelten sie durch das türkisfarbene Wasser und sahen Tiere und Pflanzen, von denen sie noch nie gehört hatten. Es war heiß, für einige schon unangenehm heiß, doch niemand hatte die Mannschaft verlassen. Faenwulf hatte ihnen die Möglichkeit gegeben und noch einmal betont, dass er niemanden zwang bei der Herferd dabei zu sein. Sie hatten bei Altoum gehalten, wo ein Umkehren noch möglich gewesen wäre, doch niemand war gegangen. Von der berüchtigten Stadt Charypso aus, wäre eine Fahrt in den Norden eine Option, doch Charypso war eine Stadt voller Halsabschneider und Piraten. Riskant sich dort nach einem Schiff umzusehen. Jetzt war umkehren keine Option mehr. Sie waren so weit ins Perlenmeer vorgedrungen, dass sie hier sicher nicht auf andere Schiffe treffen würden und wenn waren diese ihnen nicht wohlgesonnen. Die Waldinseln waren von Al’Anfa beansprucht, also mussten sie hier vorsichtig sein. Sie hatten bereits einige Nächte auf dem Drakkar verbracht, da sie weit raus gefahren waren. Noch immer verbreiteten einige Herferder schlechte Stimmung, doch Faenwulf erstickte diese im Keim. Sie hatten genug Gelegenheit zu gehen. Also Maul halten und rudern. Die meisten beteten hier mehr zu Swafnir, da hier die Ferne zu ihm besonders zu spüren war. In diesem Teil der Welt beteten die Menschen Echsen und Schlangen an und jeder Thorwaler wusste wer am Anfang dieser Ungeheuer stand. Matatoa war hier eine große Hilfe und Faenwulf war unendlich froh, den jungen Moha an Bord behalten zu haben. Er kannte die Gewässer und Inseln, wusste was man essen durfte und wo Süßwasser zu finden war und war generell sehr beliebt bei den Thorwalern. Er lernte schnell mehr ihrer Sprache und erzählte fröhlich vor sich hin, während die Herferder ihm gebannt lauschten. Matatoa hatte schon sehr viel von der Welt gesehen. Ebenso war er sehr begeistert von ihren Hautbildern und Faenwulf hatte ihm schon versprochen, dass er auch welche bekommen würde, die ihn schützten. Sein Haar hatte Matatoa bereits in thorwalschem Stil geflochten und mit Muscheln und Perlen geschmückt. Er erklärte ihnen, dass es nicht mehr weit war. Sie hatten schon einige der Inseln passiert und der gefürchtete Malstrom vor Aeniko war hauptsächlich eine Gefahr wenn man sich aus dem Norden näherte. Die weißen Sandstrände waren den Thorwalern immer noch suspekt, ebenso dass das Wasser angenehm warm war und die Sonne selbst die Wettergegerbten verbrannte. Faenwulf begeisterte dies alles sehr. Er war noch nie so weit in den Süden gesegelt und seine engsten Berater, Karva und Blotgrimm, versicherten, dass er das Richtige getan hatte. Wenn sie hier wirklich einen Schatz fanden und nach Thorwal zurück brachten, würden die Skalden und Fidlari noch in hundert Jahren davon singen. Konnten sie nach so einem Abenteuer einfach wieder nach Hause fahren und ihrem Alltag nachgehen? Faenwulf bezweifelte dies stark bei den meisten Herferdern. Vor allem bei den Jungspunden. Wenn er ihre Begeisterung betrachtete, war es zweifelhaft ob sie jemals wieder in ihre Heimatstädte zurückkehren würden. Matatoas Rufen riss ihn aus seinen Gedanken. „Dort ist sie“, rief er aufgeregt und deutete auf Land, das in der Ferne zu sehen war. Faenwulf spürte ein Kribbeln im Bauch und er versuchte die Zweifel zu verdrängen. „Da ist ein Schiff vor der Insel“, rief Eilif, der mit seinem scharfen Blick wieder mehr sah, als sie. Faenwulf verzog das Gesicht. Vielleicht hatten noch andere Wind von dem Schatz bekommen. Sie würden sehen. War dies wirklich der Fall würden sie einfach versuchen den Schatzsuchern die Münzen zu entreißen. Wer zuerst kam mahlte zuerst, doch wenn man auf Thorwaler auf Herferd traf, hielt man besser seine Münzen zusammen oder suchte das Weite. Faenwulf befahl allen sich kampfbereit zu machen. Sie starrten gebannt auf die Insel und das andere Schiff. Es war, anders als ein Drakkar, vor der Insel vor Anker gegangen und als sie sich langsam näherten, hörten sie die ersten Schreie vom Strand. Ein paar Seefahrer waren auf dem fremden Schiff zurück geblieben und beschimpften die Thorwaler feindselig, als diese das Schiff passierten. Das würde Ärger geben. Faenwulf sah die ersten Toten am Strand, der Sand war rot gefärbt und auch die Wellen färbten sich langsam von Blut. Die Besucher, offensichtlich Piraten, lieferten sich einen Kampf mit den Bewohnern der Insel. Für Faenwulf sah es mehr wie ein Massaker aus, da die Eingeborenen den Piraten nur wenig entgegen setzen konnten. Ein paar der Seefahrer lagen mit dem Gesicht im Sand, durchbohrt von Pfeilen, doch die Feindseligkeit der Piraten hatte die Bewohner offensichtlich überrascht. „Tötet alles was euch angreift“, sagte Faenwulf finster. „Ich kann keinen von euch entbehren.“ Er atmete tief durch und schon krachte der Drakkar auf den Strand. Die Thorwaler sprangen brüllend von Bord und stürzten sich auf die überraschten Piraten. Bevor sie wussten wie ihnen geschah wurden die ersten von Äxten gefällt. Matatoa stach zwei mit seinem Speer ab. Wilde Flüche ausstoßend wandten sich die Seefahrer nun ihren wesentlich wehrhafteren Angreifern zu. Sie waren erfahrene Kämpfer, die ebenso wie die Kinder Swafnirs auf Herferd gingen. Sie wussten also was sie taten. Faenwulf dachte kurz an die Jungspunde, die er nicht an so ein Piratenpack verlieren wollte. Während er einen gezielten Säbelschlag mit dem Skjald parierte, blickte er rüber zu Wulfgrimm, der sich eine tiefe Schnittwunde am Arm zugezogen hatte. Tjalf eilte ihm allerdings zur Hilfe und versenkte seine Axt mit lautem Knirschen tief in der Schulter des Piraten. Noch immer überschütteten die Piraten sie mit den wildesten Flüchen, doch der Widerstand wurde weniger. Ihr Kapitän sah anscheinend ein, dass es das alles nicht wert war. Das Gerücht um einen Schatz, den es vielleicht gar nicht gab, und er verlor hier gute Männer. Sie zogen sich ins Meer zurück. Einige ruderten zum Boot, andere schwammen. Die Jungspunde riefen ihnen nun ihrerseits wilde thorwalsche Beschimpfungen hinterher, doch es wurde nun ruhiger am Strand, bis schließlich nur das Rauschen des Meeres zu hören war. Kapitel 22 | Kapitel 24
- Unser ist das Meer – Kapitel 24
Faenwulf blickte auf, als einige der Inselbewohner langsam aus dem Wald traten und sie ansprachen. Er verstand kein Wort. Auch mit ihren Gesten konnte er nichts anfangen, doch er interpretierte sie als friedlich. Also schnürte er seine Orknase an seinen Gürtel und hob die leeren Hände. Matatoa eilte ihm zur Hilfe und begann mit einem Mann, der offensichtlich das Oberhaupt war, zu reden. Auch er schien nur einen Teil dessen zu verstehen, was sein Gegenüber ihm erzählte, doch er verstand anscheinend genug. „Wir sollen mitgehen“, übersetzte er. „Wir sollen die Toten tragen.“ Faenwulf blickte zu den toten Inselbewohnern, die so viel kleiner waren als er. Mühelos warf er sich zwei über die Schulter und folgte Matatoa und dem Oberhaupt in den Wald. Die Herferder taten es ihm gleich und die Inselbewohner schienen sich nicht an dem, für andere vielleicht respektlosen Umgang mit ihren Toten, zu stören. Der Wald war dicht und die Luft so feucht, dass Faenwulf der Schweiß an Gesicht und Nacken herunter rann. Die ausgetreten Pfade waren zu klein für sie, überragten die Thorwaler, von denen die meisten fast zwei Schritt maßen, die Bewohner um mehrere Ellen. Und es wimmelte von Vögeln. Vögel in allen Größen und Farben flogen zwitschernd und krähend durch die dichten Baumwipfel. Blotgrimm schrie ängstlich auf, als sich eine Schlange vor seinem Gesicht von einem Ast schlängelte. Die Thorwaler waren sehr ruhig geworden, unsicher auf unbekanntem Land, das so verschieden, so anders als ihre Heimat war. Fast bedrohlich in seiner Hitze und dem dichten Wald mit seinen seltsamen Tieren und Bewohnern. Sie erreichten eine Lichtung auf der mehrere Hütten standen. Die Dächer waren mit Palmblättern bedeckt und so niedrig, dass keiner von ihnen aufrecht darin stehen konnte. Das Oberhaupt deutete ihnen sich zu setzen und sofort wurden ihnen Früchte und frisches Wasser angeboten. Eine ältere Frau begann sich um Wulfgrimms Arm zu kümmern, der nicht mehr blutete, aber schlimm aussah. Matatoa wechselte erneut ein paar Worte mit ihrem Gastgeber. „Das ist Takile“, stellte er das Oberhaupt vor. “Er will euch Bleichhäuten danken. Er weiß, dass wir wegen den Münzen hier sind. Sie helfen uns nicht, aber zeigen uns wo. Aber erst morgen.“ Die Aufregung machte sich wieder in Faenwulfs Magen breit. Es gab ihn also wirklich und morgen würden sie sich aufmachen den Schatz zu bergen. Die Herferd hatte also doch einen Sinn. Hoffentlich stimmten die Fidlari schon ihre Instrumente. Sie würden viel zu besingen haben. Sie brachen früh auf. Die Vegahögg war an den Strand gezogen und für eine längere Ruhezeit vorbereitet. Ein junger Mann namens Kasua, Takiles Sohn, würde sie zu den Ort begleiten, an dem der Schatz angeblich verborgen lag. Faenwulf hatte sich die halbe Nacht mit Takile unterhalten, mit Hilfe von Matatoa, und hatte erfahren, dass der Schatz von einem erfolgreichen Piraten versteckt worden war. Er hatte eine seiner Kaperfahrten nicht überlebt, doch der Rest seiner Mannschaft hatte wieder und wieder versucht den Schatz zu bergen. Ohne Erfolg. Die sonst ruhige Insel wurde seitdem immer wieder von Abenteurern und Piraten besucht, die das Gold singen hörten. Faenwulf hatte die Herferder früh geweckt und während sie sich mit Früchten und frischem Wasser gestärkt hatten, hatte Matatoa sie mit Schutzrunen und kriegerischer Bemalung versehen. Er hatte darauf bestanden und war sehr unruhig seit sie aufgebrochen waren. Auch der Rest der Herferder fühlte sich nicht wohl. Sie waren für so eine Gegend wie die Waldinseln nicht gemacht. Es war zu heiß, die Luft zu feucht und einige bekamen Magenschmerzen von den Früchten, die es hier gab. Faenwulf ließ sie jammern. Jedoch nicht zu laut. Hielten sie erst die Münzen in den Händen, würden sie das alles vergessen haben. Karva trat zu Faenwulf, während sie sich weiter ihren Weg durch den Wald bahnten. „Wir müssen vorsichtig sein“, begann sie, bedacht darauf, dass die anderen sie nicht hörten. „Das ist unbekanntes Gebiet für uns. Es könnte gefährlich werden. Es ist eine unglaubliche Chance, doch wir dürfen uns von unserer Freude nicht übermannen lassen.“ Faenwulf nickte nur. Er spürte wie seine Stimmung sank, doch Karva hatte wahrscheinlich recht. Ein Schlangenbiss oder ein toter Herferder war das letzte was sie gebrauchen konnten. Es gab immer noch genug in der Mannschaft, die gar nicht einverstanden waren, dass sie sich so weit weg von Zuhause befanden. So schritten sie weiter, angeführt von Kasua, gefolgt von Faenwulf und Karva. Blotgrimm bildete die Nachhut. Er hatte Thurbold bei dem Dorf gelassen, falls es zu gefährlich werden würde. Sie liefen gefühlt eine Ewigkeit und Faenwulf spürte wie ihm der Schweiß über Gesicht und Rücken lief. Die Thorwaler waren alle mindestens einen halben Schritt größer als die zierlichen Utulus und doch waren diese ihnen hier überlegen. Kasua verzog ob des langen Wegs keine Miene und er schwitzte auch nicht. Leichtfüßig bahnte er sich barfuß einen Weg durch den Wald während die schwerfälligen Thorwaler kaum hinterher kamen. Nur einige hatten darauf bestanden ihre Skjalde mitzunehmen, da sie im engen Dickicht zu unpraktisch waren. Faenwulf selbst trug seinen Speer, andere hatten Langäxte oder ebenfalls Speere dabei. Eilif hatte vorsichtshalber seinen Bogen geschultert. Der Wald schien immer dichter zu werden und sie mussten teilweise durch das Dickicht kriechen. Vor allem Blotgrimm, der selbst für einen Thorwaler groß war, hatte seine Probleme. Sie wanderten in Richtung eines großen Felsen, der Wald und Strand trennte. Durch den gigantischen Felsen traf das Meer hier tiefer auf die Insel und bildete eine Art kleine Lagune. Sie waren nun gut zwei Jurgaliedlängen gegangen und machten die erste Pause am Wasser. Einige konnten die Früchte nicht mehr sehen und aßen lieber Hangikjöt. Eine willkommene Erinnerung an Zuhause. Matatoa redete mit Kasua, der berichtete, dass es nun nicht mehr weit war. Er schien bedrückt, doch anders als sein Vater ihm befohlen hatte, hatte er beschlossen bei ihnen zu bleiben. Er wollte den Schatz mit ihnen zusammen bergen und sich so beweisen. Faenwulf sagte nichts dagegen. Er war schon immer der Meinung gewesen, dass junge Männer und Frauen sich ihre Hörner abstoßen mussten, so wie er selbst damals. Eltern schränkten ihre Kinder viel …
- Unser ist das Meer – Kapitel 25
Faenwulf zog sich an Land und blieb auf dem Rücken liegen, immer noch nach Atem ringend. Kasua hatte ein kleines Feuer entzündet, das die einzige Lichtquelle war. Trotzdem konnte der Thorwaler erkennen, dass er sich in einer riesigen Höhle befand, in der es wesentlich kühler war, als draußen. Wasser tropfte von der hohen Decke und es stank fürchterlich. Nach abgestandener Luft, Fisch und Verwesung. Faenwulf schluckte. Etwas stimmte hier nicht. Er schreckte zusammen als Karva prustend aus dem Wasser auftauchte. „Das war knapp“, keuchte sie und hielt Faenwulf die Hand hin, damit er ihr aus dem Wasser half.“Zur Tiefe, ich hoffe das ist es wert.“ Sie schenkte Faenwulf ein schiefes Lächeln und blickte sich in der Höhle um. Einer nach dem anderen tauchte in der Höhle auf. Die Schilde hatten gerade so durch die enge Passage gepasst und keiner war ertrunken. Tjalf hatte fast das Bewusstsein verloren und war in Panik geraten. Hjasgar, der direkt nach im getaucht war, hatte ihn mit an die Oberfläche gezogen. Sie ruhten sich noch ein paar Strophen lang schnaufend aus, während Matatoa vorsichtig begann die Höhle zu erkunden. Mit den verlaufenen Schutzrunen und den langen, geflocheten Strähnen sah er furchterregend aus, doch seine gütigen Augen sprachen eine andere Sprache. Die Höhle war bedrohlich, nicht nur wegen der herrschenden Dunkelheit. Immer wieder flogen Fledermäuse über sie hinweg, aufgeschreckt durch das Licht und die ungebetenen Eindringlinge. „Lasst sie euch nicht berühren“, flüsterte Blotgrimm finster. „Sie stehlen eure Seele und tragen sie mit sich.“ Ängstlich blickten die Männer und Frauen nach oben, darauf bedacht keins der kreischenden Tiere zu berühren. Faenwulf schluckte, atmete tief ein und wieder aus und griff seinen Speer fester. „Brechen wir auf“, begann er und blickte sich um. Er schritt tiefer in die Höhle hinein. Zwischen den nieder gestürzten Felsen lagen alte, tote Bäume, die vor langer Zeit wohl außerhalb der Höhle gestanden hatten und von herab stürzenden Felsen eingeschlossen wurden. Karva nutzte dieses alte Holz als Fackel, die mehr einer Funzel glich, da das Holz sehr feucht war. Trotzdem war jedes Licht notwendig. So schritten sie weiter, mit eingezogenen Köpfen und jederzeit auf einen Angriff vorbereitet, von was auch immer. Faenwulf bemerkte einen rostigen Säbel, der am Boden neben einem vor langer Zeit ausgetreten Pfad lag und sah, dass sein Griff von einer skelettierten Hand umklammert war. Er sagte nichts, doch er blickte sich noch wachsamer um. Alle zuckten zusammen als jemand gegen einen staubbedeckten Kelch trat, der scheppernd gegen einen Felsen prallte. Der Gestank nahm immer mehr zu, so dass einige sich schon ihre Kopftücher vor die Münder gebunden hatten. Immer häufiger sahen sie glitzernde Gegenstände im Staub liegen. Einzelne Münzen, Kelche, ein Kerzenständer und hin und wieder ein Rüstungsteil. Faenwulf blieb stehen, als er etwas großes vor ihnen erblickte. Er hob seine Fackel und sah den stark verwesten Leichnam eines Mannes. Sein Gesicht war verzerrt und etwas hatte ihm mit unsäglicher Kraft ein Bein ausgerissen. „Lasst uns hier verschwinden“, flüsterte Tjalf und umklammerte einen Talisman, der Swafnir zeigte. Faenwulf ging noch ein paar Schritte weiter, an dem Toten vorbei. Hier war der Boden vor Feuchtigkeit weich und gab bei jedem Schritt nach. In der Ferne sah er etwas schimmern und ging weiter. Und da war er. Der Schatz von dem Matatoa gesprochen hatte. Er sah aus wie die Beute einer erfolgreichen Herferd. Münzen in verrotteten Säcken, mit Edelsteinen besetzte Kelche und Kerzenständer, verzierte Waffen. Die Piraten hatten alles mitgenommen, was für sie wertvoll ausgesehen hatte. In der Nähe sah Faenwulf den verschütteten Eingang der Höhle. Wie einfach es gewesen wäre, wäre dieser noch geöffnet. Er blickte sich zu den anderen um, in deren Augen er eine Mischung aus Furcht und Gier sah. Sie hatten es wirklich geschafft. Faenwulf schenkte ihnen ein breites Grinsen, das verblasste als der Gestank um sie herum nochmal zuzunehmen schien. Matatoa trat vor und packte Faenwulf am Arm. „Yo-Nahoh“, rief er ängstlich. „Yo-Nahoh!“ Faenwulf blickte ihn verständnislos an. „Ich weiß nicht was du….“ Ein markerschütternder Schrei hallte durch die Höhle. Etwas hatte Kasua von den Füßen und in die Höhe gerissen, schleuderte ihn hin und her und mit einem lauten Knirschen gegen die Höhlenwand. Sein Schrei verstummte augenblicklich und er stürzte mit verdrehten Gliedern und einer klaffenden Wunde an der Stirn zu Boden. Noch während sie, gelähmt vor Entsetzen, die Leiche Kasuas betrachteten, packte etwas Tjalf und zog ihn aus dem Lichtschein. Wieder bei sich hoben die Thorwaler die Fackeln und griffen nach ihren Waffen, während Tjalf versuchte im sandigen Boden Halt zu finden. Etwas hatte sich um sein Bein geschlungen und von den Füßen gerissen. Sie liefen hinterher und da sahen sie ihn. Ein Krakenmolch, dessen ausgebreiteten Arme gut zehn Schritt maßen, der nun mit weiteren Tentakeln nach ihnen griff. Er war schnell und bevor sie etwas tun konnten, hatte er Tjalf zu seinem mit unzähligen Zähnen besetzten Maul gezerrt. Tjalfs Schreie verstummten als der Krakenmolch ihn ihn der Mitte durchbiss und Blut und Eingeweide den Boden befleckten. „Bei Swafnir“, keuchte Khemri und umfasste seine Axt fester. Das Monstrum kroch näher an sie heran, die Tentakel gierig ausgestreckt. Faenwulf stieß einen Schrei aus und rammte seinen Speer in einen der Fangarme. Das schien die anderen Herferder aus ihrer Trance zu reißen. Eilif spannte seinen Bogen und schoss dem Ungeheuer einen Pfeil direkt zwischen die Augen, ohne große Wirkung. Ein weiterer der Thorwaler wurde von den Füßen gerissen, doch Karva eilte ihm zur Hilfe. Mit gezielten Hieben schaffte sie es den armen Hund aus den Fängen des Krakenmolchs zu befreien. Das Ungetüm war nun auf einen Kampf aus. Mit seinen langen Armen schlug es nach ihnen, traf Eilif vor der Brust, der gegen die Höhlenwand geschleudert wurde. Blotgrimm stieß einen Schrei aus und stürzte nach vorne. Mit einem mächtigen Hieb durchtrennte er einen der Tentakel. Das Monstrum schrie auf. Ein markerschütternder Schrei, der von den Wänden der Höhle widerhallte. Vier seiner Arme nutzend richtete es sich auf und schritt auf sie zu, mit den verbleibenden drei Armen um sich schlagend. Faenwulf wurde von den Füßen …
- Unser ist das Meer – Kapitel 26
Die Bewohner des Dorfes feierten Kasua wie einen Helden. Es schien den Thorwalern suspekt und sie nahmen nur halbherzig an den Feierlichkeiten teil, doch sie respektierten die Bräuche ihrer Gastgeber. Man sah Takile die Trauer ob des Verlusts seines Sohnes an, doch auch er feierte den Mut und die Heldentat seines Sohnes. Nun, da das Ungeheuer tot war, hatten sich einige Dorfbewohner in die Höhle gewagt und den restlichen Schatz, sowie den Kadaver des Monsters ins Dorf gebracht. Sie verstanden nicht, wieso die Thorwaler die Münzen und Schmuckstücke dem schmackhaften Fleisch des Krakenmolches vorzogen, doch Faenwulf erklärte ihnen, dass das erlegte Monster sein Dank für ihre Hilfe war. Die Dorfbewohner bedankten sich überschwänglich, während Faenwulf am Strand platz nahm und in die Ferne blickte. Er wusste nicht wie lange er dort saß und dem Meer gelauscht hatte, als Matatoa sich neben ihn in den Sand fallen ließ. Faenwulf blickte seinen Freund fragend an, als dieser aufs offene Meer deutete. Der Thorwaler blickte in die Ferne und sah dunkle Wolken, die sich weit in der Ferne über dem Meer zusammen brauten. „Der Sturm wird kommen“, sagte der Moha und deutete nun auf das Dorf. „Ihr müsst helfen.“ Noch verwirrter als zuvor betrachtete Faenwulf nun die Dorfbewohner, die begonnen hatten Palmblätter an ihren Hütten zu befestigen und die Wände mit dickeren Ästen zu verstärken. Nur einige der Herferder halfen ihnen, waren die meisten noch zu schwach um etwas anderes zu tun, als ihre Wunden zu versorgen. „Der Sturm kommt früher als in anderen Jahren“, erklärte Matatoa und zog Faenwulf auf die Beine. Seine Rippen schmerzten immer noch fürchterlich von dem Schlag des Krakenmolchs, doch er folgte Matatoa und begann den Dorfbewohnern zu helfen, ihre Hütten bereit zu machen. Die Hütten standen am Rand des Waldes und dies war nicht der erste Sturm den sie überstehen würden, doch sein verfrühtes Auftreten hatte sie anscheinend überrascht. Faenwulf war entsetzt über die Geschwindigkeit mit der die dunklen Wolken näher kamen und wie schnell sie die Insel erreichen würden. Es dauerte nur einige Strophen bis er das Ansteigen des Windes spürte und die Wellen höher schlugen. Die Palmen bogen sich im Wind und der beginnende Sturm wirbelte den Sand des Strandes auf. Noch bevor sie das Dorf befestigt hatten und auch nur mit der Vorbereitung der Vegahögg beginnen konnten, war das Unwetter über ihnen. Wasser und Sand wurde ihnen in die Augen geschleudert und die Thorwaler halfen nun so gut sie konnten alles in den Wald oder die Hütten zu schaffen. Dieses kleine Paradies offenbarte immer mehr die Gefahren, die in ihm lauerten. Im Grunde konnten sie nichts tun. Der Drakkar war an den Strand geschafft und zum Festzurren des Rumpfes war keine Zeit. Zum Glück hatten sie schon vor Tagen den Mast umgelegt und den Wadmal sauber gefaltet in eine der Hütten geschafft. Die Herferder hatten sich in die Hütte zurück gezogen, die Takile ihnen zur Verfügung gestellt hatte. Der gesamte Schatz lag hier, ebenso wie ihr persönliches Hab und Gut. Wir hätten direkt fahren sollen, dachte Faenwulf betrübt, sagte aber nichts. Seit Tagen machte er sich Gedanken über ihre Abreise. Selbst wenn sie jetzt das Segel setzten, war es unwahrscheinlich, dass sie es bis zu Anbruch des Winters zurück nach Thorwal schafften. War es eine Option in Nostria oder gar Grangor zu stranden oder sollten sie hier bleiben? Er spürte, dass sich die Herferder nach ihrer Heimat sehnten und selbst die Jungspunde hatten einiges ihres Enthusiasmus verloren. Thorwaler waren bestimmt über das Meer zu segeln und doch rief ihre Heimat nach ihnen. Die Berge, die Kälte, der Schnee. Das alles gab es hier nicht und auch Faenwulf sehnte sich nach Thorwal. Egal wie weit ihn seine Abenteuer geleitet hatten, er war immer ins Land der Freien zurück gekehrt. Doch sie hatten auch einen der ihren verloren und zwei weitere hatten die letzten Tage mit gebrochenen Knochen in der Hütte verbracht. Sie würden nicht rudern können und auch Faenwulf selbst war sich nicht sicher, ob er gegen einen Sturm würde anrudern können. Jeder Atemzug schmerzte schrecklich und er war sich nicht sicher, ob nicht auch er einige gebrochene Rippen davon getragen hatte. Er wurde von entsetzten Rufen aus seinen Gedanken gerissen, sprang trotz seiner schmerzenden Rippen auf und rannte hinaus in den Sturm. Sofort sah er den Grund für den Lärm. Der Sturm trieb riesige Wellen gegen den Strand. Immer und immer wieder zerbarst das Wasser am Ufer und trieb den gestrandeten Drakkar vor sich her. Faenwulfs Herz sank, als sich eine mächtige Welle staute und wie ein Raubtier sein Schiff rammte. Die Vegahögg prallte gegen einen Felsen, welcher ein großes Loch in die Flanke des Drakkar riss. Faenwulf hätte am liebsten geschrien, doch er konnte nichts tun. Er musste mit ansehen, wie das Meer seinen Drakkar auf die Seite warf und schließlich liegen ließ, wie ein totes Tier. Bryda, die neben ihn getreten war, hatte Tränen in den Augen. Auch sie schien zu realisieren, was der Schaden an der Vegahögg für sie alle bedeutete. Faenwulf wandte sich zu den Herferdern um, bemüht, sie seine Verzweiflung nicht sehen zu lassen. „Efferd hat für uns entschieden“, sagte er mit bitterem Unterton und konnte sich ein verzweifeltes Lachen nicht verkneifen. „Wir werden den Winter hier verbringen, heilen und die Vegahögg reparieren. Und dann nach Hause zurückkehren.“ Die Herferder blickten bedrückt zu Boden. Man sah ihnen ihre Erschöpfung an. Die bisherige Reise hatte ihnen viel abverlangt. Blotgrimm knurrte und legte sein schmerzendes Bein auf Thurbolds Rücken. „Jetzt muss ich mir zumindest meine Füße über den Winter nicht im stinkenden Waskir abfrieren.“ Faenwulf und einige der anderen schmunzelten und Faenwulf ließ sich neben Karva in den Sand sinken. Nun hatten sie keine Wahl und die Entscheidung war ihm abgenommen worden. Sie mussten das Beste aus dem machen was sie hatten. Die Rückschläge waren hart und doch hatten sie ihr eigentliches Ziel erreicht. Der Schatz glänzte im Licht des Feuers und was war schon ein Winter in einem fremden Land, wenn sie als reiche Männer und Frauen in ihre …
- Unser ist das Meer – Kapitel 27
Die Vorbereitung hatte erneut Wochen gedauert und die jungen Goden beobachteten mit leichter Sorge, dass die Blätter der Bäume und Sträucher sich bereits braun färbten. Der Herbst nahte und somit war der Winter mit seiner unbarmherzigen Kälte nicht weit. Ingibjörg hatte sie heute früh geweckt und ihnen befohlen sich zu rüsten. Während Leif seine Werkzeuge auf den Karren lud und Olvir davor zurrte, rüsteten die Lehrlinge sich mit Polsterwams und Krötenhaut. Ragin schnallte sich seinen Skjald auf den Rücken und die Orknase an den Gürtel. Beorn nahm wie immer seinen Speer mit. Ingibjörg hatte einen großen Rucksack bepackt, mit Kräutern, Verpflegung und vielen anderen Dingen, die er in dem Grassodenhaus lagerte. Die Sonne begann gerade erst aufzugehen, doch sie machten sich bereits auf den Weg. Beorn und Ragin kannten diesen Weg und beide versuchten sich ihre beginnende Angst nicht anmerken zu lassen. Sie gingen wieder zur Höhle und die beiden jungen Männer wussten, dass nun passieren würde, worauf sie das ganze Jahr über hingearbeitet hatten. Sie sahen Werkzeuge in Leifs Karren, Farben und seine Waffen. Würden sie ihre Waffen überhaupt nutzen können, gegen das, was dort oben auf sie wartete? Ihre Nervosität stieg. Ingibjörg redete den Weg über nicht und alles was sie hörten waren die Geräusche des Waldes und ihr eigener schwerer Atem. Selbst die Runjas schwiegen, als warteten sie gespannt auf das, was passieren würde. Je näher sie der Höhle kamen, desto dunkler wurde es und das obwohl die Sonne schien. Die Luft schien schwer und sie spürten das Unheil, das Böse das hier hauste. Wie ein Kribbeln im Nacken, wenn man erwartete jeden Moment angegriffen zu werden. Die Geräusche des Waldes wurden immer weniger, bis sie schließlich verstummten und die beiden Lehrlinge konnten spüren, dass das Wesen das hier hauste erneut an Kraft gewonnen hatte. Es begann die Umgebung des Berges zu verseuchen, wie Gift einen See. Immer häufiger säumten tote Tiere ihren Weg, manche regelrecht zerfetzt, andere halb gefressen. Wir müssen etwas tun, dachte Ragin und warf einen Blick zurück über dieses Hochland, das er mittlerweile seine Heimat nannte. Dies alles war eine Prüfung und sie schritten ihrem Ende entgegen. Olvir wurde immer unruhiger und sträubte sich weiter zu gehen. Nur das gute Zureden von Leif überzeugte das Pony den Weg weiter zu beschreiten. Als der Wald lichter wurde und der Boden felsiger, wussten sie, dass sie fast am Ziel waren. Sie erreichten das Plateau und starrten erneut in den schwarzen Rachen der Höhle, aus der die böse Macht des Geistes, der hier hauste, zu dringen schien. Sie halfen Leif den Karren zu entladen und nachdem er Olvir das Geschirr abgenommen hatte, scheuchte er das Pony davon. Sein treuer Begleiter würde den Weg nach Hause finden. Blieb er hier, würde er die Nacht vielleicht nicht überleben. Ingibjörg begann ein Feuer zu entfachen und schickte seine Lehrlinge los, um Feuerholz sammeln. Dieses Feuer musste groß sein, zwei Schritt hoch und lange brennen. Totes Holz zu finden war nicht schwer, begannen die Bäume hier doch unter dem Einfluss des bösen Geistes zu sterben. So warfen sie immer mehr Holz ins Feuer bis es eine, für Ingibjörg, zufriedenstellende Größe erreicht hatte. Dieser holte aus seinem Rucksack eine Molle und begann in ihr verschieden Kräuter zu vermengen. Er gab geriebene Kreide und Wasser dazu und begann eine zähe Masse daraus zu mischen. Leif begann ebenfalls mit seiner Arbeit. Er hatte sein Werkzeug bereit gelegt und säuberte die in den Höhleneingang gemeißelten Runen. Die obersten Runen erreichte er mithilfe eines hölzernen Gerüsts. Er nutzte Meerwasser zum Reinigen der Runen und ging dabei mit höchster Sorgfalt vor. Beorn und Ragin konnten nichts tun, als tatenlos zuzusehen und wachsam zu sein. Ingibjörg flüsterte vor sich hin und war wie in Trance, während er weiter am Feuer saß. Auch die Lehrlinge konnten die Runjas hören, doch anders als sonst, hörten sie noch eine weitere Stimme, leise, doch mächtig und dröhnend. Weit entfernt und in Worten sprechend, die sie nicht verstanden. Und doch jagte ihnen diese Stimme solch eine Angst ein, dass es sie größte Anstrengung kostete nicht sofort zu fliehen. Dass der Alte und Leif sich dem Ursprung dieser Stimme bereits einmal gestellt hatten, schien unglaublich. Sie schreckten aus ihren Gedanken hoch, als Leif begann, die ausgewaschenen Runen erneut zu vertiefen. Mit Hammer und Schrifteisen begann er mit der Arbeit. Ingibjörg deutete ihnen nun zu ihm zu treten. „Es beginnt“, murmelte er und zog ein Messer aus seinem Gürtel. Sanft griff er Beorns Arm und setzte einen Hautschnitt. Dies tat er ebenso an Ragins Arm. Das Messer war so scharf, dass sie den Schnitt kaum spürten. Wortlos fing Ingibjörg das Blut in der Molle auf und vermischte des mit der Masse aus Kräutern, Kreide und Meerwasser. Es folgte ein Schnitt in seinen eigenen Arm. Ingibjörg schien viel mehr seines eigenen Blutes zu brauchen, doch die Lehrlinge äußerten ihre Sorge nicht. Der alte Mann wusste was er tat. So warteten sie weiter ab. Leifs Arbeit ging nur langsam vorwärts und bald standen ihm kleine Schweißperlen auf der Stirn. Doch er arbeitete unermüdlich, ohne etwas zu trinken oder zu essen. „Kommt zu mir“, befahl Ingibjörg seinen Lehrlingen. Das Feuer brannte lichterloh und strahlte eine große Hitze aus. „Dies wird eure größte Prüfung“, begann der Alte und reichte den beiden seinen Wasserschlauch. „Ihr werdet kämpfen müssen. Mit der Axt und mit eurem Geist. Doch denkt stets an Swafnir, der an eurer Seite kämpft gegen Hranngars Gezücht und allem was sich in seinen und unseren Weg stellt. Ihr dürft nicht zurück weichen.“ Die Lehrlinge nickten wortlos. Sie schwitzten, doch sie wussten nicht ob es aufgrund des Feuers war, oder wegen der steigenden Angst, die sich in ihrem Inneren wand. Kapitel 26 | Kapitel 28
- Unser ist das Meer – Kapitel 28
Ingibjörg stand auf und Schritt zum Eingang der Höhle. Leif war beim Bogen des Eingangs angekommen und sah unendlich verletzlich aus. Der Alte schritt zu den tiefen, neuen Runen und begann diese mit der Masse aus Blut auszumalen. „Es geht los“, rief er an seine Schüler gewandt und widmete sich dann wieder den Runen. Zuerst geschah nichts, doch dann spürten die jungen Thorwaler ein Dröhnen aus der Höhle. Der Boden unter ihren Füßen schien zu erbeben. Ragin griff nach seiner Axt, Beorn hielt seinen Speer bereit. Und tatsächlich hörten sie, dass sich aus mehreren Richtungen etwas näherte. Sie hörten das Knurren, bevor sie sie sahen. Wölfe. Sie wussten nicht wieviele es waren, doch die Augen der Tiere waren wirr und böse. Er nutzt sie für seine Zwecke, dachte Ragin, als das erste Tier ihn ansprang. Der junge Thorwaler riss seinen Skjald hoch und wehrte den Angriff der Bestie ab. Beorn stieß dem Tier seinen Speer in die Seite, bevor es erneut angreifen konnte, doch die anderen Wölfe fielen nun ebenfalls über sie her. Ragin wehrte den nächsten Angriff ab, doch Beorn fiel dies, nur mit Speer bewaffnet wesentlich schwerer. Dazu mussten sie Leif und Ingibjörg beschützen, war es doch das Ziel von Goifang die beiden an ihrem Vorhaben zu hindern, die Runen am Eingang der Höhle zu erneuern. Ragin hieb seine Axt in den Kopf eines Wolfs der sich in den Rand des Schilds verbissen hatte, während Beorn den Speer immer wieder vorschnellen ließ um Angriff nach Angriff abzuwehren. Es waren so viele. Noch während Beorn einen Wolf von sich stieß, riss ihn ein anderer von den Füßen und verbiss sich in seinem Oberarm. Vor Schmerz schreiend, versetzte er dem Raubtier einen kraftvollen Tritt, bevor Ragin den Wolf mit der Axt tötete. „Zur Tiefe“, fluchte Beorn und hielt sich den blutenden Arm. „Diese verdammten Biester.“ Hinter Ragins Skjald Schutz suchend, wehrten sie Angriff nach Angriff ab. Der Boden war bereits getränkt von Blut, als die ersten Wölfe begannen sich zurückzuziehen. Kurz vor völliger Erschöpfung stehend, blickten die jungen Thorwaler zu der Höhle. Leif hatte seine Arbeit beendet, griff nun ebenfalls nach einer Orknase und eilte ihnen zur Hilfe. Ingibjörg malte unbeirrt weiter, tunkte seinen Finger immer wieder in die blutige Farbe und zog gewissenhaft die Runen nach. Leifs Hände waren blutig und übersät von Blasen, die durch seine pausenlose Arbeit entstanden waren. Sie alle wurden hier an ihre Grenzen gebracht, doch die Angriffe der Wölfe wurden schwächer und waren immer leichter abzuwehren. Die Tiere begannen schließlich zu fliehen, doch sie wussten, dass es noch nicht überstanden war. Ragin versorgte die tiefe Bissverletzung an Beorns Arm und Leif begann seine wunden Hände zu verbinden. Ingibjörg stand auf seinen Stock gestützt vor dem klaffenden, schwarzen Maul der Höhle, die jegliches Licht zu verschlingen schien. Er sah sehr schwach und zerbrechlich aus vor der großen Öffnung, die tief in den Berg reichte. Er murmelte etwas vor sich her, Bannsprüche, deren Macht Ragin und Beorn spüren konnten. Sie schritten zu ihrem Lehrmeister um ihn zu unterstützen und wenn es nur durch ihre Anwesenheit war. Sie hatten den ersten Schritt getan. Der erste Angriff war abgewehrt und während Ingibjörg noch leise vor sich hin sprach, begann Leif hinter ihnen in einem Mörser erneut Kreide zu zerkleinern. Beorn und Ragin blickten ihren Meister unbeirrt an, auf jedes kleine Zeichen achtend, wie sie ihm helfen konnten. Intuitiv begannen sie ebenfalls leise Gebete zu Swafnir zu sprechen. Der mächtige Gottwal, der sie selbst hier, so fern des Meeres, hören konnte und ihnen Kraft und Mut schenkte, während er seinen eigenen, ewig währenden Kampf gegen die verderbte Hranngar austrug. Sie beteten auch zur gütigen Ifirn, zum listigen Phex und zum hinterhältigen Ögnir, über den sie viel von Ingibjörg gelernt hatten. Sollten die Götter ihnen Kraft, Mut und List schenken. Und ebenso die gleiche Unbarmherzigkeit, die ihr Gegner ihnen entgegen brachte. Beide schreckten hoch, als sie die Hände Ingibjörgs auf ihren Schultern spürten. Der Alte hatte seine Gebete, seine Bannworte beendet und blickte nun mit harten Augen in die Dunkelheit der Höhle. Leif war zu ihnen getreten und legte wiederum seine zitternde Hand auf Ingibjörgs Schulter. Die beiden jungen Männer konnten die Angst spüren, die von Leif ausging und fühlten ihre eigene Angst tief in sich wachsen. Sie wurde größer und größer und schienen ihnen die Kehlen zuzuschnüren. Und plötzlich sahen sie eine Bewegung in der Höhle. Ein Schatten, der sich in der Dunkelheit regte und immer näher kam. Langsam ins Licht trat. Goifang zu sehen, war noch viel schrecklicher als von ihm zu hören oder von ihm zu träumen. Jetzt, im Licht der herbstlichen Sonne, sahen sie, dass es kein Wolf war. Die Illusion, in die der böse Geist sich gehüllt hatte, war nun zu durchschauen. Er sah aus wie ein Wolf, doch auch wie ein Ungeheuer. Zwei Schritt hoch mit toten, weißen Augen und langen Zähnen, dünn wie Nadeln, die, bedeckt mit Geifer, aus seinem Maul ragten. Ein Schatten umgab ihn wie Nebel, wie ein Schwarm Fliegen eine Leiche. Er schien in ihre Seelen zu blicken und hinterließ dort nichts als Schrecken und Kälte. Mein! Dieser Berg ist mein. Eure Seelen sind mein. Ihr seid armselig, Gewürm. Euer Tod wird vergessen sein, eure Leiber zerrissen, eure Seelen zerfetzt. Euer Bemühen war vergeblich und wird vergeblich sein. Ich kann niemals sterben, euer Tod ist unvermeidbar. „Genug“, schrie Ingibjörg das Monstrum an. „Genug!“ Der Wolf wich nicht zurück. Sein Zähnefletschen glich einem grausamen Grinsen, als er einen weiteren Schritt aus der Höhle heraus trat. Seine langen Klauen hinterließen tiefe Spuren im Sand. „Du wirst gehen“, sagte Ingibjörg und seine Stimme war kalt wie Eis. Er tat ebenfalls einen Schritt nach vorne. „Und ich werde dich bannen, so wie jedes Mal bisher. Nicht nur du bist mächtiger geworden.“ Aus der Kehle des Wolfs drang ein tiefes Knurren, dass ihnen durch Mark und Bein ging. Leif Schritt zum Feuer, ein Runenband in den Händen haltend. Als er es ins Feuer warf, schrie das Monstrum auf. Ein markerschütternder Schrei voller Hass und …
- Unser ist das Meer – Kapitel 29
Sein Gesicht in den Wind haltend, schloss Faenwulf die Augen und sog den Geruch des salzigen Meeres tief ein. Seine Hände, die das Ruder umklammerten, kribbelten angenehm. Sie waren wieder unterwegs und würden bei gutem Wind heute Brabak erreichen. Der Winter war lang gewesen. Die Herferder hatten bald nach dem Sturm begonnen die Vegahögg zu reparieren. Wulfgrimm war ihnen da als Schiffszimmermann eine große Hilfe und mit dem Holz eines vor Monaten gestrandeten Wracks konnten sie den Riss im Rumpf des Drakkars flicken. Die Stimmung war angespannt und nach Wochen waren alle Geschichten und Abenteuer erzählt. Sie sehnten sich nach ihrer Heimat, dem Essen und den Gebräuchen. Die Bewohner Aenikos behandelten sie wie die ihren, doch das reichte nicht. Schon bald konnten sie keine Früchte mehr sehen und auch die heiße Sonne und der weiße Strand begann an ihrem Gemüt zu nagen. Dass ihre Situation nicht zu ändern und es die beste Entscheidung war, den Winter auf der Insel zu verbringen, änderte die sinkende Stimmung nicht. Immer häufiger stritten sich die Herferder, es kam zu Schlägereien und Anfeindungen, doch Faenwulf und Karva gelang es immer wieder, die Wogen zu glätten. Sie verstanden, dass die Männer und Frauen zu ihren Familien und in ihre Heimat zurückkehren wollten. Matatoa half ihnen weiterhin beim Gespräch mit den Inselbewohnern. Faenwulf war ihnen dankbar, doch auch sie verstanden, dass die Thorwaler das Segel setzten, sobald es ihnen möglich war. Und doch war ihr langer Aufenthalt nicht ausschließlich schlecht. Sie hatten hier Freunde gefunden und wahrscheinlich das größte Abenteuer ihres Lebens hier erlebt. So rollten doch ein paar Tränen beim Abschied und das Versprechen wurde gegeben, dass man sich noch in diesem Leben wiedersah. Und dann waren sie gesegelt. Die Vegahögg wesentlich schwerer als bei ihrer Ankunft und der erbeutete Schatz in Ruderkisten und Säcken verstaut. In Brabak würden sie das meiste davon zu einem guten Preis eintauschen. Wenn Faenwulf etwas konnte, dann war es Handel. Sie steuerten den Hafen von Brabak an. Die Stadt schien nach ihrem langen Aufenthalt auf der Waldinsel noch lauter, belebter und dreckiger zu sein als vorher. Faenwulf zögerte kurz bevor er auf den Steg sprang, überwältigt von den Eindrücken. Blotgrimm legte ihm eine schwere Hand auf die Schulter und sprang dann mit seinem besten Freund von Bord. Sofort umschwärmten sie Händler wie Fliegen, doch Faenwulf wusste mit wem er hier gute Geschäfte machen konnte. Sie hatten in der langen Zeit des Winters den Schatz sortiert und sich entschieden die Münzen bis nach Thorwal zu transportieren. Der Rest würde verkauft. Faenwulf steuerte zielstrebig ein Haus an, das einem alten Bekannten von ihm gehörte. Schon in jungen Jahren war Faenwulf mehrfach nach Brabak gereist und hatte dort einen Andergaster namens Marek Dreuber kennengelernt. Es gab kaum eine zwielichtigere Person, doch Faenwulf hatte mit ihm immer gute Geschäfte gemacht. Marek fragte nie woher die Waren kamen, die man ihm anbot und zahlte gut. Er machte gerne Geschäfte mit Thorwalern und hatte keine Probleme mit ihren Plünderungen und dem Brandschatzen. Als Faenwulf sein Haus betrat, hellte sich Mareks Gesicht vor Überraschung auf. „Du bist braungebrannt wie ein Spanferkel“, bemerkte er und musterte Faenwulf von oben bis unten. Man sah die Neugier in seinen Augen, doch als Faenwulf ihm nicht weiter erläuterte wo er die Sonne genossen hatte, fragte Marek auch nicht weiter nach. Faenwulf leerte zwei große Säcke mit wertvollen Gegenständen. Kelche, Kerzenhalter, Schmuck und blickte Marek erwartungsvoll an. Dieser grinste breit und prüfte die Gegenstände auf ihren Wert. „Du hast ihn tatsächlich gefunden“, bemerkte er dann. „Den Schatz von dem hier geflüstert wurde.“ Faenwulf nickte nur, hüllte sich aber weiterhin in Schweigen. Marek sortierte die Gegenstände nach Wert und Größe, rechnete und wog. Faenwulf wusste, dass dies zu seinem Ablauf gehörte und wartete weiterhin. Wenn Marek genug bezahlte, konnte er auch ruhig Räder schlagen. Faenwulf war dies gleich. Schließlich machte der Andergaster ihm ein Angebot und Faenwulf war über die Höhe der Summe überrascht. Natürlich gab es einen Haken und er wusste, dass Marek ihm nichts schenkte, doch er feilschte nur ein bisschen. Nach einigem Jammern von Marek, dass Faenwulf ihn zu einem armen Mann machte, schlugen sie ein und Marek reichte Faenwulf zwei Beutel voller Münzen. Sie tranken noch ein Premer Feuer zusammen um das Geschäft zu besiegeln. Dann verließ Faenwulf das Haus. Er hatte das Gefühl, dass er Marek für lange Zeit nicht mehr sehen würde. Wenn es nicht sogar das letzte Mal war. So wie der Rest der Mannschaft sehnte Faenwulf sich nach einem gemütlichen Lager, Ahl, Mjöt und etwas anderem zu essen als Früchten und Krakenmolch. Er ging also zu dem Gasthaus, in dem er und die Herferder vor so vielen Monden genächtigt und getrunken hatten. Wo Matatoa ihm von dem Schatz erzählt hatte und sie die Entscheidung getroffen hatten, nach Aeniko zu segeln. Der Wirt erinnerte sich nicht an ihn, freute sich jedoch sehr über seinen thorwalschen Kunden als dieser ihm mitteilte, dass er alle Schlafplätze des Gasthauses brauchte, sowie ein Fass Ahl und einen guten Eintopf mit viel Fleisch. Faenwulf nahm an einem leeren Tisch Platz und genehmigte sich schon mal einen Krug kühles Ahl. Es schien als hätte er noch nie etwas so leckeres getrunken. Würzig und frisch und so viel besser als das fade Wasser auf der Insel. Er bestellte sich direkt noch einen Krug sowie ein Stück frisches Brot, Käse und Speck. Sie alle hatten auf der Insel an Gewicht verloren, waren sie doch anderes gewohnt. Es dauerte nicht lange bis Blotgrimm, gefolgt von Matatoa, das Gasthaus betrat. Thurbold trottete gutmütig hinter ihnen her. Matatoa, dessen Haut nun schon einige Hautbilder zierten, wenn auch unsauber gestochen, nahm freudig neben Faenwulf Platz und bestellte ebenfalls einen Krug Ahl. In diesem Gasthaus war er schließlich auf den Geschmack des leckeren Gebräus gekommen. Beherzt biss er in das Stück Brot auf Faenwulfs Teller und ließ sich zufrieden in die Lehne der Bank sinken. Blotgrimm und Faenwulf tauschten amüsierte Blicke. Sie hatten den Moha ins Herz geschlossen und er war nach so kurzer Zeit einer ihrer engsten …
- Unser ist das Meer – Kapitel 30
Ragin lachte erleichtert auf, während Tränen der Erleichterung Beorns Wangen herab liefen. Ingibjörg ging in die Knie und brach dann am Eingang der Höhle zusammen. Er hielt seinen Bauch, in dem eine tiefe Wunde klaffte, die stark blutete. Sofort schafften die Lehrlinge ihn ans Feuer und versuchten die Blutung zu stillen. „Ihr solltet zurück gehen“, sagte Leif. „Nehmt ihn mit und versorgt ihn. Ich kümmere mich um den Rest.“ So schafften sie den alten auf den Karren, in dem Leif seine Werkzeuge transportiert hatte und fuhren damit zurück zum Grassodenhaus. Olvir hatte es tatsächlich zurück geschafft. Das Pony graste friedlich neben den Ziegen. Sie legten Ingibjörg auf sein Lager und nutzten, was er ihnen beigebracht hatte. Sie gaben dem Alten Knoblauch zu essen. Roch seine Bauchwunde nach kurzer Zeit nach Knoblauch, war ihm nicht mehr zu helfen. Es wäre ein Zeichen dafür gewesen, dass der Wolf seine Eingeweide zerfetzt hatte. Dies war jedoch nicht der Fall. Also gaben sie ihm ein Horn seines guten Kräuterschnapses und schlossen die Wunde mit etlichen Nadelstichen. Der Alte schlief sofort ein und die jungen Thorwaler wussten, dass er noch nicht über den Berg war. Sie legten schmerzstillende Kräuter unter seine Zunge und ließen den Alten dann allein. Nun versorgten sie auch ihre eigenen Wunden, aßen und tranken etwas und legten sich auf ihre Lager. Beide waren so erschöpft, dass sie Leifs Rückkehr nicht bemerkten. Trotz des steten flüstern der Runjas schliefen die beiden jungen Goden traumlos. Anders als an anderen Morgen war der Alte nicht schon aufgestanden, als die Sonne sie weckte. Er war jedoch wach und unterhielt sich leise mit Leif, der an seinem Lager saß. Ingibjörg schenkte seinen Lehrlingen ein schmerzverzerrtes Lächeln. „Ich bin sehr stolz auf euch“, flüsterte er. „Ich muss jetzt ruhen, aber bald geht unsere Arbeit weiter. Wir müssen den Berg vorbereiten. Und jetzt holt mir etwas kaltes zu trinken.“ Die beiden jungen Männer schüttelten lachend die Köpfe und gingen raus, um ihrem Lehrmeister ein Horn kaltes Wasser zu bringen. Sie blickten überrascht auf, als sie sahen, dass das grüne Banner mit dem Antlitz des Wolfes über dem Plateau gehisst war. Leif musste es aufgestellt haben, als er zurück gekehrt war. Sie wussten nicht wieso, doch dieses Banner gab ihnen ein gutes Gefühl. Ein Gefühl von Sicherheit. Sie schritten schweigend zum Brunnen, füllten den Eimer mit kaltem Wasser und gaben gleichzeitig den Ziegen neues Heu und füllten ihre Tränke. „Es ist unglaublich was wir da gestern erlebt haben“, begann Beorn und blickte in den Wald Richtung der Höhle. „Und ich hoffe wir werden so etwas nie wieder erleben“, ergänzte Ragin trocken und nahm einen Schluck Wasser. „Ich dachte schon die Runjas wären schlimm, doch dieses Monstrum übersteigt alles Schreckliche, das ich je vorzustellen wagte.“ Sie füllten ein Horn mit Wasser und gingen zurück ins Grassodenhaus. Ingibjörg nahm einen tiefen Schluck, während er sich mit schmerzverzerrtem Gesicht den Bauch hielt. „Leif wird euch helfen alles vorzubereiten“, begann er und biss etwas von einem Stück frischen Brotes ab. „Nun da der Berg wieder sicher ist, müssen wir das Plateau vorbereiten. Es werden Bäume gefällt werden müssen, Steine geschleppt und Vorräte für den Winter angelegt. Sobald der Winter vorbei ist, wird es beginnen.“ Die Lehrlinge tauschten verwirrte Blicke, doch sie wussten, dass sie von dem Alten keine genauen Antworten würden erwarten können. Es war ebenfalls ein Teil der Prüfung. Wieviel Arbeit waren sie bereit zu leisten, ohne zu wissen wofür. Ingibjörg würde es ihnen mitteilen und Bäume fällen und Steine schleppen war tusund mal besser als gegen einen rachsüchtigen bösen Geist zu kämpfen. Außerdem sollten sie beginnen bevor der erste Schnee fiel. Kapitel 29 | Kapitel 31
- Unser ist das Meer – Kapitel 31
Nach und nach trafen die anderen Herferder ein. Ihre Laune schien sich gebessert zu haben und selbst Eilif, der alte Sauertopf, ließ sich ein Lächeln abringen. Nach dem vierten Krug Ahl stimmte Blotgrimm ein Lied an und selbst die, die den Text nicht wirklich kannten, stimmten ein. Schon bald waren die meisten von ihnen völlig betrunken und selbst durch seinen nebligen Kopf spürte Faenwulf wie sehr er das vermisst hatte. Sie hatten mit ihrer Anwesenheit das Gasthaus in eine thorwalsche Taverne verwandelt, was die anderen Gäste nicht zu stören schien. Einige hatten bereits an dem großen Tisch, an dem die Thorwaler saßen, Platz genommen. Bryda, die zum Tisch getorkelt kam, einen Krug Ahl in der einen und einen Becher Premer Feuer in der anderen Hand, nahm auf Faenwulfs Schoß Platz. Während der Zeit auf Aeniko hatte sie sich zurück gehalten, doch jetzt, in trunkenem Zustand, schien Karvas giftiger Blick sie nicht zu stören. Sie säuselte Faenwulf verführerische Dinge ins Ohr, die aufgrund des Lärms glücklicherweise niemand anderes hörte. Faenwulf nahm ihr das Premer Feuer aus der Hand und leerte den Becher in einem Zug, während seine andere Hand an Stellen wanderte, für die er bei anderen Konas normalerweise eine Ohrfeige kassiert hätte. Bryda schlang ihre Arme um seinen Hals und sie tauschten einen leidenschaftlichen Kuss. Obwohl Faenwulf nicht unerfreut über die Situation war, brauchte er doch etwas frische Luft bevor es weiter ging. „Ich bin gleich zurück“, flüsterte er Bryda zu und verließ die Gaststätte. Draußen war es wesentlich kühler und die Luft half ihm, wieder etwas klarer zu werden. Außerdem merkte er jetzt wie dringend er pinkeln musste. Leicht schwankend in eine Gasse torkelnd, dachte Faenwulf noch darüber nach, dass Karva sicher ziemlich wütend sein würde, wenn das mit Bryda so weiter ging. Sie waren kein Paar, weder er und Bryda, noch er und Karva, und doch verband ihn irgendetwas mit seiner alten Freundin das über normale Freundschaft hinaus ging. Natürlich hatten sie schon häufiger das Lager geteilt, doch das war Jahre her. Die Gasse wieder verlassend, hörte Faenwulf plötzlich schnelle Schritte hinter sich. Er war betrunken, doch nicht so sehr, dass er nicht trotzdem achtsam war. Er fuhr herum und sah im letzten Moment das Glänzen einer Klinge. Den Dolch mit dem Arm abwehrend, drang die Klinge in seine linke Schulter und nicht, wie geplant, in seinen Hals. Er schlug seinen Angreifer zu Boden und packte den Griff des Dolches. Nicht rausziehen, hörte er Ingibjörgs Stimme in seinem Kopf. „Verdammte Scheiße“, fluchte Faenwulf laut und trat einen Schritt auf den am Boden liegenden Angreifer zu. Er spürte das Blut heiß seine Seite herunter rinnen und seinen linken Arm konnte er kaum bewegen. Faenwulf überlegte ob er dem Angreifer mit einem gezielten Tritt ein Ende bereiten sollte, als er erneut Schritte hinter sich hörte. Es sind zwei, dachte Faenwulf, hoffend, den zweiten Angreifer abwehren zu können. Auch dieser attackierte ihn mit einem Dolch und Faenwulf versuchte in seinem trunkenen Zustand den Angriffen auszuweichen. Die Klinge fügte ihm zwei weitere tiefe Schnitte zu, als er ein grollendes Knurren hörte. Der Angreifer wurde zu Boden gerissen und etwas verbiss sich in seiner Kehle. Die Schreie verstummten schnell und voller Erleichterung sah Faenwulf, dass es Thurbold war, der dem Angreifer die Kehle zerfetzt und ihm somit das Leben gerettet hatte. Der sonst so friedliche Olporter trottete zu ihm und wich ihm auf dem Weg zum Gasthaus nicht von der Seite. Immer noch stark blutend betrat Faenwulf den Raum, woraufhin das Lachen und der Gesang augenblicklich verstummten. Blotgrimm, ungewöhnlich flink für seine Größe, war als erstes bei ihm. „Was zur Tiefe ist passiert?“, rief er und begann seinen Freund zu stützen, darauf bedacht den aus Faenwulfs Schulter ragenden Dolchgriff nicht zu berühren. „Bin angegriffen worden“, knurrte Faenwulf, dem langsam schwarz vor Augen wurde. Karva eilte nach draußen, um einen Heilari zu suchen, während die drei Jungspunde sich um die Angreifer kümmerten. Blotgrimm trug seinen Freund auf ein Strohlager und versuchte die Blutung zu stillen, während sie auf einen Heilari warteten. Immer wieder verlor Faenwulf das Bewusstsein, doch er spürte sehr wohl das Beißholz, das Blotgrimm ihm zwischen die Zähne schob und den brennenden Schmerz, als der Heilari den Dolch aus seiner Schulter entfernte. Die anderen Herferder warteten besorgt vor der Tür, durch die sie die Schmerzensschreie ihres Anführers hörten. Erst als klar war, dass Faenwulf nicht sterben würde, gingen die meisten zu Bett. Faenwulf erwachte am nächsten Morgen mit einer verbundenen Schulter und zu allem Überfluss mit einem ordentlichen Katzenjammer. Auf dem Lager neben ihm lag Bryda, die die ganze Nacht an seiner Seite geblieben war und nicht erwachte als Faenwulf sich erhob. Sein Hals war trocken und er war erschöpft. Vor Schmerzen verzog er das Gesicht und schritt nach draußen, wo er auf Karva traf. Sie blickte nicht auf, als er zu ihr ging. „Du musst von jetzt an besser auf dich aufpassen“, begann sie und blickte dann Faenwulf an. „Und wir müssen hier weg.“ Sie hielt ein Stück Papier hoch und obwohl Faenwulf nicht lesen konnte, erkannte er, dass es ein Steckbrief war. Sein Steckbrief mit einem Bild, das ihn sogar relativ gut getroffen hatte. „Du wirst gesucht. Bevorzugt tot“, erklärte Karva. „Der Mann dem das Sklavenschiff gehörte, hat ein Kopfgeld auf dich ausgesetzt. Eine sehr hohe Summe.“ Faenwulf verzog angewidert das Gesicht. Ließ das Stück Papier zu Boden fallen und spuckte darauf. „Dann machen wir, dass wir hier weg kommen“, sagte er finster. „Es wird Zeit dass wir nach Hause segeln.“ Kapitel 30 | Kapitel 32
- Unser ist das Meer – Kapitel 32
Sie kamen langsamer vorwärts als geplant. Die Winde waren ihnen nicht wohlgesonnen und mit Matatoa als Ersatz für Tjalf und Faenwulf, der in seinem Zustand kaum rudern konnte, bewegte sich die Vegahögg schwerfälliger über das Wasser als sonst. Faenwulf musste immer wieder Pausen machen in denen er finster dreinblickend am Drachenkopf stand und ins tiefe Blau des Meeres starrte. Es ärgerte ihn, dass seine Mannschaft wegen ihm einer solchen Gefahr ausgesetzt war. Die meisten Kopfgeldjäger waren unbarmherzige Hurensöhne und je höher die Summe war, die auf einen Kopf ausgesetzt war, desto skrupelloser wurden sie. Faenwulf kannte nicht einmal den Namen das Sklaventreibers, der seinen Schädel auf einem Speer sehen wollte, doch er verfluchte ihn innerlich. Als sich einer der Winde doch erbarmte und das Segel gesetzt werden konnte, wurden die Ruder eingezogen. Die meisten zählten wieder und wieder ihren Anteil der Beute, immer noch sprachlos, dass diese verrückte Herferd tatsächlich von Erfolg gekrönt war. Die Vorfreude wuchs. Zurück in Thorwal würden die meisten wohl zu ihren Familien zurück kehren oder den Winter in den Tavernen und Hurenhäusern verbringen. Faenwulf gönnte ihnen alles Gute das ihnen widerfahren mochte. Es war die beste Mannschaft die er bisher zusammen gebracht hatte und es stimmte ihn etwas melancholisch zu wissen, dass die Fahrt sehr bald enden würde. Karva trat zu ihm und legte, wie so oft, ihre kühle Hand in seinen, von der Sonne Aenikos gebräunten, Nacken. „Du grübelst schon wieder so viel“, bemerkte sie und lächelte ihren alten Freund leicht an. „Wir haben es bald geschafft. Freu dich doch ein bisschen.“ Faenwulf nickte, seufzte dabei aber tief. Die Melancholie, die sein Volk häufig heimsuchte, hatte ihn erwischt. „Du hast ja recht“, antwortete er und blickte in die Ferne. „Mich stimmt es nur traurig, dass die Herferd bald vorbei ist.“ Karva seufzte ebenfalls und blickte zurück auf die Mannschaft, die sich vom langen Rudern ausruhte, offensichtlich gespannt auf ihre Rückkehr nach Thorwal. „Du hast mehr vollbracht, als die meisten sich nur erträumen können“, bemerkte Karva tröstend und blickte Faenwulf in die blauen Augen. „Wir haben genügend Abenteuer erlebt um zahllose Skalden und Fiddlari für Jahre zu beschäftigen. Diese Herferd wird legendär werden. Natürlich mussten wir auch einstecken, aber überleg doch was wir erlebt haben. Wie sehr du das Leben der meisten hier verändert hast. Und es kann ja noch weiter gehen. Wer sagt denn das alles jetzt enden muss?“ Faenwulf blickte Karva dankbar an und legte seine raue Hand auf ihre Wange. So viele Gedanken schossen gerade durch seinen Kopf. „Wir kriegen Besuch“, rief Eilif und riss die beiden aus ihrem vertraulichen Gespräch. „Ziemlich ungebetenen Besuch.“ Er verzog das Gesicht und spuckte ins Wasser. Faenwulf eilte zu seinem Steuermann und blickte nach hinten. Seine Augen waren nicht so gut wie die von Eilif, doch auch er sah sie. Zwei Galeeren, schwarz wie die Nacht, mit schwarzen Segeln. Diese verdammten al’anfanischen Hurensöhne, fluchte Faenwulf innerlich. Sie hatten sich vom offenen Meer her genähert und folgten ihnen jetzt. „Sie jagen uns“, bemerkte Karva, die neben ihn getreten war. Ihr Blick zeigte entsetzen, aber auch die Erwartung, dass er etwas tat. Sie hatten keine Wahl, sie mussten weg. Gegen zwei Galeeren kamen sie nicht an, schon gar nicht mit reduzierter Mannschaft. „An die Ruder“, brüllte Faenwulf. „Wir verschwinden von hier. Die Bastarde werden uns nicht kriegen.“ Die Mannschaft blickte sich besorgt an, doch sofort setzten sie sich auf ihre Ruderkisten und ruderten. Auch Faenwulf begann wieder zu rudern und versuchte die Schmerzen in seiner Schulter so gut es ging zu ignorieren. Sie mussten versuchen einem Kampf so gut es ging aus dem Weg zu gehen. Es war jetzt nicht mehr weit. Ihnen allen lief der Schweiß am Körper herab, doch sie Galeeren kamen immer näher. Die innerlichen Flüche waren mittlerweile zu lauten Flüchen geworden, die von der gesamten Mannschaft laut geäußert wurden. „Da vorne“, rief Matatoa, der aussah als würde er vor Erschöpfung gleich das Bewusstsein verlieren. Er konnte nicht äußern was er sah, hatte der zierliche Moha wahrscheinlich noch nie Berge gesehen. Die sichere Heimat war so nah. „Eins der Schiffe dreht ab“, rief Eilif. „Die anderen Bastarde hängen uns aber immer noch am Arsch.“ Faenwulf warf einen Blick zurück. Eilif hatte leicht untertrieben. Die Galeere war nun so nah, dass er die Gesichter der Mannschaft sehen konnte und der Rammsporn für sie in Kürze eine echte Gefahr darstellen würde. Komm schon altes Mädchen, fluchte Faenwulf innerlich und warf einen Blick auf seine Orknase. Wenn die Galeere sie einholte, waren sie geliefert. Er konnte das Brüllen der Mannschaft hören, die ihnen in fremden Zungen Flüche entgegen riefen. „Sie sind gleich da“, rief Eilif nach hinten und Faenwulf wusste dass sie keine andere Wahl hatten. „Eilif“, rief er und zog sein Ruder ein. „Du bleibst am Steuer und hältst den Drakkar von diesem Rammsporn fern. Der Rest rüstet sich und nimmt seine Waffen. Ladet den Aal.“ Sein Blick blieb an Matatoa hängen, der ihn mit Verzweiflung in den Augen anblickte. „Du gehst nicht zurück“, versicherte ihm Faenwulf und drückte ihm eine Orknase in die Hand. „Wenn, dann gehst du mit uns zu Swafnir.“ Matatoa nahm kurz Faenwulfs Hand und lächelte. „Swafnir“, sagte er leise. „Die alte Flosse.“ Faenwulf nickte. Nächtelang hatte er mit Matatoa über seinen Vater Swafnir gesprochen und der junge Moha hatte ihm gespannt gelauscht. Karva hatte ihm ein Amulett mit dem Antlitz Swafnirs aus einer weißen Muschel geschnitzt und Matatoa hatte es seitdem nicht mehr abgelegt. Sein erstes Hautbild war das der Pottwalrune, gestochen mit weißer Farbe, die geheimnisvoll in der dunklen Haut des Moha schimmerte. Sie bedeckte nun einen großen Teil der Narben, die er in der Gefangenschaft der Al’Anfaner erlitten hatte und sollte ein Symbol dafür sein, dass er nun für immer frei war. Kapitel 31 | Kapitel 33
- Unser ist das Meer – Kapitel 33
Durch das geschickte Manöver Eilifs war es nur einigen Al’Anfanern gelungen an Deck zu kommen. Sie wurden erbarmungslos nieder gemacht. „Werft sie in die Tiefe“, befahl Faenwulf und wischte sich das Blut aus dem Gesicht. „Sie greifen wieder an.“ Die Galeere war zwar schneller aber nicht annähernd so wendig wie der Drakkar, so dass sie jetzt vor dem Drachenboot segelte. Faenwulf trat an den Aal. Gab man ihm einen Bogen in die Hand, konnte er nicht einmal einen Ochsen treffen, doch am Aal war unschlagbar. Er zielte auf den Steuermann und traf. Der Speer traf den Mann in die Schulter und riss ihn fast entzwei. Ausgleichende Gerechtigkeit, dachte Faenwulf finster und fasste an seine schmerzende Schulter. Er blickte Wulfgrimm und Hjasgar an. „Nachladen“, bellte er und die Jungspunde eilten herbei. Faenwulf war mit seiner Verletzung nicht in der Lage das Geschütz schnell genug zu laden. Nun ohne Steuermann schafften sie es dem zweiten Angriff der Galeere auszuweichen, doch erneut sprangen einige Angreifer auf den Drakkar. Das wird nie aufhören, dachte Faenwulf und feuerte den Aal erneut ab. Und wieder traf er einen Mann, der von dem Aufprall ins Wasser geschleudert wurde. Er war tot bevor er die Wasseroberfläche berührte. Faenwulf fuhr herum, als sich ihm ein Angreifer näherte, doch zu seinem Entsetzen schaffte er es nicht den Hieb des Säbels wirkungsvoll zu parieren. Zu geschwächt war er von dem nächtlichen Angriff in Brabak. Khemri eilte ihm zur Hilfe und enthauptete den Angreifer mit einem Schlag seiner Axt. Faenwulf rappelte sich auf und trat den Schädel des Al’Anfaner von Bord. Noch einen Angriff des gegnerischen Schiffs würde die sowieso schon angeschlagene Vegahögg wahrscheinlich nicht überstehen. Zur Tiefe mit euch, fluchte Faenwulf. Plötzlich geriet die Mannschaft der Galeere in Aufruhr. Immer wieder deuteten sie in die Ferne. Faenwulfs letzte Hoffnung hatte sich bestätigt. Mehrere Drachenschiffe waren zu sehen, die sich ihnen schnell näherten. Beleidigungen, Flüche und die schlimmsten Verwünschungen wurden vom Wind über das Meer zu ihnen getragen. Thorwalsche Flüche und Verwünschungen. Ihre Landsleute kamen ihnen zu Hilfe. Die Mannschaft begann zu jubeln, als sie sahen, dass die Mannschaft der Galeere, hektisch wie Ameisen, begann, das Schiff zu wenden. Sie zogen den Schwanz ein. Und doch war es mutig von ihnen, der Vegahögg bis hierher, bis nach Thorwal, zu folgen. Doch für Münzen taten einige Menschen wirklich alles. Die ersten Ottas brausten an ihnen vorbei, die Äxte schwingend, mit Wind in den Segeln. Sie waren endlich Zuhause und niemand war verletzt. Also setzten sie sich wieder an die Ruder, noch erschöpfter als zuvor, dreckig und blutig, doch sie wollten nach Hause. Olport war nun zu sehen und Eilif leitete sie mit ruhiger Selbstsicherheit durch die Steine. Sie konnten es noch nicht glauben. Sie hatten es wirklich geschafft. Die Herferd war beendet. Flankiert von zwei, nicht annähernd so imposanten Ottas, liefen sie in den Hafen Olports ein. Faenwulf hatte einen Kloß im Hals, als er endlich wieder den Boden seiner Heimat unter den Füßen spürte. Nach und nach verließen die Herferder das Schiff. Faenwulf wollte warten, bis alle ihrer Wege gegangen waren, sich verabschieden und sich dann darüber klar werden, wie es nun weiter ging. So hatte er es bisher bei jeder Herferd gemacht. Innerlich überschlugen sich seine Gefühle, war diese Herferd doch so anders gewesen, als die bisherigen davor. Einige der Herferder verließen den Drakkar wortlos, andere bedankten sich bei Faenwulf. Blotgrimm und Karva, ihre Ruderkisten in den Händen und die Beute geschultert, gesellten sich zu ihm. Das half ein bisschen. „Ich bin sprachlos“, begann Blotgrimm und klopfte Faenwulf auf die gesunde Schulter. „Was für ein Abenteuer.“ Faenwulf nickte und grinste seinen alten Freund an. „Hat sich doch gelohnt“, murmelte er. Matatoa stellte sich zu ihnen und blickte Faenwulf mit seinen unergründlichen Augen an. „Eure Heimat ist schön“, bemerkte er und blickte dann verträumt über die Stadt. Wie recht er doch hatte. Kapitel 32 | Kapitel 34
- Unser ist das Meer – Kapitel 34
Und schließlich war es soweit. Nur noch Faenwulfs Hab und Gut blieb zurück. Blotgrimm half ihm die Sachen zu tragen.Ihr erstes Ziel sollte ein Gasthaus sein, in dem sie ihre Beute verstauen konnten. Doch ihr Weg wurde unterbrochen, als Blotgrimm Faenwulfs Aufmerksamkeit auf den Steg lenkte. Ein Teil der Herferder war im Hafen zurück geblieben und blickte zu ihnen herüber. Unter ihnen die Jungspunde. Vorsichtig traten sie an ihren jetzt ehemaligen Anführer heran. „Wir…“, begann Khemri, brachte seinen Satz jedoch nicht zu Ende. „Wir wollen nicht gehen“, eilte ihm Wulfgrimm zur Hilfe. „Wir wissen nicht wohin. Nach Hause wollen wir nicht.“ Auch die anderen Rekker nickten zustimmend. Faenwulf war sprachlos und auch froh, dass nicht nur er so empfand. Die lange Reise hatte sie verbunden. Enger zueinander gebracht, als es für eine angeheuerte Mannschaft üblich war. Natürlich empfanden nicht alle so. Einige waren schon ihrer Wege gegangen und vielleicht froh, wenn sie nie wieder einen Fuß auf die Vegahögg setzen mussten, doch die anderen, die sich jetzt hier versammelt hatten, wollten nicht mehr ohne sie sein. „Wir sind einfach keine Mannschaft mehr“, begann Blotgrimm und blickte die Anwesenden an. „Vielleicht sind wir schon eine Ottajasko.“ Faenwulf blickte seinen alten Freund an, der mittlerweile schon eher wie ein Bruder für ihn war. Was suchst du, Faenwulf?, hallte die Stimme des Alten in seinem Kopf. Du hast keine Ottajasko. Niemand braucht deine Herferd. Faenwulf blickte die Männer und Frauen an, die nach so langer Fahrt vor ihm standen. Vielleicht hab ich sie gesucht, dachte er.Wo konnte man besser Entscheidungen treffen als in der Taverne? Ihr Hab und Gut sicher verstaut saßen sie nun zusammen, wie vor einem Jahr, und tranken. Eigentlich waren sie sich einig. Sie würden weiterhin zusammen bleiben. Sie würden eine Ottajasko sein. Doch wie gingen sie jetzt weiter vor? Vielleicht brachte das Ahl ihnen die Erleuchtung.Es sprach sich schnell rum, dass ihre Herferd beendet war und welch ein Abenteuer sie erlebt hatten. Die eine Hälfte der Zuhörer feierte sie wie Helden, die andere Hälfte hieß sie Lügner und Hochstapler. Faenwulf war das egal. Obwohl die Münzen in seinem Geldbeutel klingelten, musste er diesen Abend keine Münze für Ahl oder Mjöt ausgeben. Jeder in der Taverne schien mit ihm trinken zu wollen und die Frauen warfen sich an seinen Hals. Auch Blotgrimm schien die Situation zu gefallen. Eine hübsche Kona auf jedem Knie, erzählte er überschwänglich von den Abenteuern die sie erlebt hatten.Karva, offensichtlich betrunken von der Stimmung und zu viel Mjöt, setzte sich neben Faenwulf und legte einen Arm um seine Hüfte. „Ich hatte eine Idee“, flüsterte sie und kam Faenwulf dabei so nah, dass er eine angenehme Gänsehaut bekam. „Wir könnten zum Berg gehen. Ich habe dort mit Vater jahrelang gut gelebt. Es ist ein besonderer Ort und mein Vater wartet auf uns.“War das eine Option sie alle zum Berg zu holen? Wie konnte es keine Option sein? Er hatte seine Rekker ans Ende der Welt geführt und wieder zurück. Sie wollten ihm weiterhin folgen und so musste er eine Entscheidung treffen. Betrunkener Kopf oder nicht. „Wir werden zum Berg gehen“, verkündete er lauter als gewollt und obwohl sie nicht einmal wussten wo dieser Berg lag stimmten die Anwesenden gröhlend zu.Faenwulf erwachte am nächsten Morgen mit der Sonne in seinem Gesicht. Er hatte noch lange weiter getrunken, wusste aber nicht mehr wie lange. Zu seiner Überraschung lag Bryda neben ihm, nackt und tief schlafend. Faenwulf bedauerte es sehr, dass er sich an nichts mehr erinnern konnte, doch so wie er Bryda einschätzte würden dieser Nacht noch einige folgen.Mit schmerzendem Kopf und nackt wie er war ging er zur Tür und lugte hinaus, als Blotgrimm ohne Kleidung an ihm vorbei schritt. Offensichtlich ebenfalls vom Katzenjammer geplagt schritt er zu einer Bank und sammelte seine Stiefel und seine Bruche ein. Zur Begrüßung brummte er Faenwulf einmal kurz zu und verschwand dann wieder in dem Zimmer in dem er die Nacht verbracht hatte. Das Lachen brachte seinen Schädel zum Dröhnen, doch Faenwulf konnte nicht anders. Nach einer Katzenwäsche während der er Bryda immer wieder Blicke voller Verlangen zuwarf, zog er sich an und ging nach draußen. Es fühlte sich einfach so viel besser an wieder Zuhause zu sein. Wieder hatte er viel geplant und sie hatten einen weiten Weg vor sich, doch in der Heimat zu sein, machte alles einfach so viel besser. Und in Thorwal und vor allem am Berg war sicher vor den Schergen des Sklaventreibers. Kein Al’Anfaner würde sich nach Thorwal trauen und kein Kopfgeldjäger zum Berg. Kapitel 33 | Kapitel 35
- Unser ist das Meer – Kapitel 35
Noch bevor die meisten der anderen wach waren, schlenderte Faenwulf zum Hafen. Er musste nicht lange suchen, um Runolf Holzauge zu finden. Dieser musterte Faenwulf mit der gewohnten Verachtung, aber auch mit unverhohlener Neugier.„Ist es wahr?“ begann er. „Hast du einen Schatz am Ende der Welt gefunden?“ Faenwulf nickte stolz, ging jedoch nicht weiter auf ihre Abenteuer ein. Runolf war ein Sauertopf und Schandmaul und es war sicher, dass er sich schon etliche Male über Faenwulf das Maul zerrissen hatte. Faenwulf kehrte nur immer wieder zu ihm zurück, da er einer der besten Skipsmider Thorwals war.Die Vegahögg war arg mitgenommen und es würde einen ordentlichen Batzen Geld kosten, das alte Mädchen wieder auf Vordermann zu bringen. Doch Geld hatte Faenwulf nun genug und er sagte Runolf offen, dass er alles notwendige veranlassen sollte. Der Drakkar sollte nächstes Jahr wieder aussehen wie neu.Runolf murmelte, dass er Skipsmider war und kein Galdmader, doch ein neues Schiff kam für Faenwulf nicht in Frage.Faenwulf erblickte Wulfgrimm, der mit offensichtlich schmerzendem Schädel und einem ordentlichen Katzenjammer, seinen Weg in den Hafen gefunden hatte. „Sie ist ein besonders schönes Schiff“, bemerkte Wulfgrimm und betrachtete die Vegahögg. Faenwulf stimmte ihm zu. „Ich habe sie schon viele Winter und sie hat mich nie im Stich gelassen.“ „Wo hast du sie her?“, fragte Wulfgrimm, erstaunt darüber, dass ein Mann ohne Ottajasko in Besitz eines stolzen Drakkars war. „Ich habe sie damals…“ Faenwulfs Erzählung wurde von den lauten Flüchen Runolfs unterbrochen. „Du verräterischer Hund“, brüllte er und warf ein Holzscheit nach Wulfgrimm. „Ich habe dich versorgt und ausgebildet und wie dankst du mir? Du verschwindest ohne ein Wort und ich stehe mit nur einem Lehrling da!“ Wulfgrimm ging hinter Faenwulf in Deckung, der sich freundlich aber hektisch von Runolf abwandte. Er dankte ihm erneut, dass er die Vegahögg zu reparieren bereit war und verabschiedete sich dann bis zum nächsten Faramond. Die lauten Flüche folgten ihnen noch durch etliche Straßen.So saßen sie nun beisammen. Die Schädel schmerzten mittlerweile weniger und alle waren bereit für die nächsten Schritte.„Unser Ziel ist ein Berg im Norden Waskirs“, begann Faenwulf. „Karva hat dort lange mit ihrem Vater gelebt. Es ist abgelegen, aber sicher und wir bleiben dort auf jeden Fall unter uns. So haben wir die Möglichkeit ein Ottaskin aufzubauen und ich werde nicht von irgendwelchen gierigen Kopfgeldjägern gestört.“ Faenwulf verzog das Gesicht und die anderen spuckten wütend auf den Boden. Faenwulf hoffte, dass er bis nächstes Jahr bei den Al’Anfanern in Vergessenheit geraten war. Er wollte nicht ständig mit einem offenen Auge schlafen, damit ihn niemand im Schlaf erdolchte.„Dann ist es entschieden“, dröhnte Blotgrimm und erhob sich. „Am besten brechen wir sofort auf. Es ist ein langer Marsch zum Berg.“ Einige erhoben sich, doch sie alle blickten Faenwulf an, bis dieser nickte und sich ebenfalls erhob. „Gehen wir!“Faenwulf hatte einen Karren und ein Pony besorgt, das diesen zog. Hjasgar hatte vorgeschlagen, dass Blotgrimm und das Pony sich beim Ziehen des Karrens abwechseln konnten, was für einige Lacher gesorgt hatte. Faenwulf fand die Idee gar nicht schlecht.Sie hatten ihre Ruderkisten und einen Großteil der Münzen auf den Karren geladen, ihre Seesäcke und Waffen geschultert.Und so ging ihre Reise weiter. Sie verließen Olport durch ein kleineres Tor und ein letztes Mal blickte Faenwulf zurück auf die stolze Stadt Olport und das Meer. Sein Herz schmerzte allerdings nur leicht bei dem Gedanken was alles noch vor ihnen lag.Blotgrimm summte eine leise Melodie, während Thurbold ihnen stets ein paar Schritt voraus war und neugierig in jedem zweiten Gebüsch schnüffelte. Zornbrecht hatte es sich auf Karvas Schultern gemütlich gemacht und zierte sie wie ein zerzauster Fellkragen.Die meisten waren schnell außer Puste. Sie waren nach der langen Zeit ans Rudern gewöhnt, aber nicht durch bergiges Hochland zu marschieren. Sie waren nicht in Eile und so machten sie mehr Pausen als eigentlich nötig waren. Alle waren guter Stimmung und schwatzten gespannt über ihre ungewisse Zukunft. Niemand schien jedoch Angst vor ihrer offenen Zukunft zu haben. Zu sehr vertrauten sie Faenwulf und seinem Urteil. Wenn er sagte, dass ein Ottaskin an so einem fernen Ort eine gute Idee war, so musste es so sein. Faenwulf grübelte. Er selbst war nie Mitglied einer Ottajasko gewesen, doch er nahm sich vor, ihnen mehr eigenes Denken zu überlassen. Er war nicht mehr ihr Kapitän, sondern nun auch nur einer von ihnen. Die Entscheidungen sollten von nun an von allen getroffen werden.Sie wanderten, bis die Sonne begann unter zu gehen. Ihr Abendessen würde aus Hangikjöt, Hangifisk, Brot und Äpfeln bestehen. Bis sie am Berg ankamen, würden solche Mahlzeiten häufiger vorkommen, doch sie waren alle viel zu aufgeregt, als dass sie das stören würde.Sie saßen nun um ein kleines Feuer, alle in Decken oder Felle gewickelt und ziemlich zufrieden. Natürlich dachten sie alle noch über die Abenteuer nach, die sie zusammen erlebt hatten, doch gemeinsam sprachen sie nicht mehr viel darüber. Alles was gesagt werden konnte war gesagt. Ihre Wunden waren verheilt und vernarbt. Einige von ihnen trugen noch immer die Spuren der mächtigen Saugnäpfe des Krakenmolchs, andere spürten bei einem Wetterwechsel ihre gebrochenen und wieder verheilten Knochen. Matatoa blickte begeistert in diesen Teil der Welt, der ihm so fremd war.„Du hast nicht zu Ende erzählt woher du die Vegahögg hast“, bemerkte Wulfgrimm, der neben Faenwulf saß, in eine Decke gewickelt und an einem Stück Trockenfleisch kauend.„Das ist eine großartige Geschichte“, dröhnte Blotgrimm. „Lass hören!“ Faenwulf schmunzelte, nahm einen Schluck Wasser und begann. Kapitel 34 | Kapitel 36
- Unser ist das Meer – Kapitel 36
„Blotgrimm und ich waren als Jungspunde ganz schöne Rumtreiber. Kein Lehrmeister und keine Frau konnte uns halten und so zogen wir von Stadt zu Stadt, um dort von einem Tag zum nächsten zu leben. Und das klappte besser als gedacht. Mal prügelten wir uns für Geld, mal misteten wir Ställe aus und mal trugen wir Kisten und Säcke von Schiffen in Lagerhäuser. Die Bezahlung war immer mies, doch wir brauchten nicht viel und meistens schliefen wir in Scheunen oder in den Betten der Frauen, die wir in den Tavernen kennenlernten.Wir kamen schließlich in ein Dorf namens Vidsand, wo es den Gerüchten nach hervorragenden Waskirer gab. Wir suchten uns also etwas zu tun, hackten Holz, schleppten Kisten und striegelten Pferde und von dem verdienten Geld gönnten wir uns eine Menge Waskirer in der kleinen Taverne des Dorfes. Und sie hatten nicht zu viel versprochen. Der Waskirer war ausgezeichnet, der Mjöt vom Honig fast cremig und die Frauen schön. Eine hatte es mir besonders angetan. Sie hatte Haar wie Gold und unzählige Sommersprossen. Ich denke sie hatte kein zwanzig Winter gesehen, aber ich hatte auch nicht mehr auf dem Buckel. Ich spendierte ihr ein paar Ahl und auch den einen und anderen Waskirer und was soll ich sagen? Wir landeten im Heu und hatten eine Menge Spaß.Womit ich nicht gerechnet hatte, war, dass ich vom Brüllen ihres wütenden Vaters geweckt wurde. Dröhnend kam er in die Scheune marschiert und verfluchte mich bis in die Tiefe und zurück. Seine Tochter würde sich nicht mit Rumtreibern abgeben, wofür es schon ein bisschen zu spät war würde ich sagen, und er drohte mich so zu verprügeln, dass mich meine eigene Mutter nicht mehr wieder erkennen würde. Ich war ziemlich eingeschüchtert, schnappte meine Hose und Stiefel und türmte durch ein Fenster, während der wütende Kerl noch die Leiter zum Heuschober hoch stieg.Blotgrimm wäre vor lachen fast erstickt und ich nahm es auch mit Humor. Ich hatte schließlich nichts ab bekommen und die Nacht mit der schönen Tochter würde mir noch lange im Gedächtnis bleiben.So schlenderten wir zum Strand, um den Fischern bei der Arbeit zuzusehen und dort sahen wir die schönsten Drakkar, die wir je gesehen hatten. Denn obwohl Vidsand ein kleines Dorf war, war die Ottajasko, die hier lebte, dank ihres ehrgeizigen Hetmanns, ziemlich reich. Und deswegen hatte diese Ottajasko nicht nur einen Drakkar, sondern zwei. Gerade als wir uns den beiden Drachenschiffen näherten, packte mich jemand bei der Schulter und schlug mir so hart ins Gesicht, dass ich Sterne sah. Blotgrimm, der schon damals von der Statur her eher einem Bullen, als einem Mann glich, konnte sich gerade noch zurück halten. Natürlich war es der Vater des Mädchens mit dem ich die Nacht verbracht hatte, und vielleicht hatte ich die Prügel auch ein bisschen verdient, doch nun sollte auch gut sein. Dachte ich zumindest. Ihr Vater war da anderer Meinung. Wie ich nun aber herausfand, war er der Hetmann der in Vidsand lebenden Ottajasko. Ich beglückwünschte ihn zu den schönen Schiffen und er blickte mich verächtlich an. Ob ich schon mal gesegelt war, fragte er, was ich bejahte. Der Hetmann verzog das Gesicht und musterte mich. Ob ich es genossen hatte, fragte er dann, worauf ich antwortete, dass die Sehnsucht nach dem Meer in jedem Thorwaler schlummerte. Wir waren geboren um aufs Meer zu fahren.Der Hetmann nickte nur und blickte mich verschlagen an. Man sah ihm an, dass er mich am liebsten zu Brei geschlagen hätte und es wäre ihm sicher gelungen. Ich war jung und wesentlich schmächtiger als heute. Doch mich zu verprügeln reichte ihm anscheinend nicht.Er deutete auf die beiden Schiffe. „Eins soll dir gehören“, knurrte er. „Wenn du mich in einem Wettsegeln besiegst. Siehst du den großen Felsen in der Ferne? Wir starten hier, umsegeln den Felsen einmal und kehren wieder in den Hafen zurück.“ Das klang leicht, dachte ich und betrachtete den Felsen, der aus dem Wasser ragte. „Was ist mein Einsatz?“, fragte ich ihn dann. Irgendwas stimmte hier nicht. Ich hatte nichts von Wert bei mir. „Das ist einfach“, grinste der Hetmann. „Wenn du verlierst, schwörst du, dass du nie wieder einen Fuß auf ein Schiff setzen wirst. Du wirst für immer an Land bleiben, bis du dein armseliges Leben aushauchst.“ Kapitel 35 | Kapitel 37
- Unser ist das Meer – Kapitel 37
Blotgrimm zog entsetzt die Luft ein, doch ohne lange nachzudenken ergriff ich die ausgestreckte Hand des Hetmanns und schlug ein. Die Chance in Besitz eines solchen Schiff zu kommen war einfach zu verführerisch. Als ich Blotgrimm anblickte, dachte ich er würde ihn Ohnmacht fallen. Er verfluchte mich fast genauso wie der Hetmann. Ich wusste, dass das eine blöde Idee gewesen war und dass der Hetmann sich seines Sieges mehr als sicher war. Er wollte mich mit dem schlimmsten mir Vorstellbaren bestrafen, weil ich seine Tochter gebumst hatte, und ich war ihm fröhlich grinsend in die Falle gegangen.Ich musste mir also was einfallen lassen. Der Hetmann war ein guter Steuermann und obwohl er mir die Mannschaft zur Verfügung stellte, die den Drakkar immer lenkte, kannte ich das Schiff jedoch gar nicht. Meine Chancen standen also mehr als schlecht. Blotgrimm und ich gingen also zurück in die Taverne und schmiedeten Pläne. Ich würde nicht als Landratte enden und nach einigen Krügen Ahl kam mir doch eine Idee. So warteten Blotgrimm und ich bin zum Einbruch der Dunkelheit und schritten dann zur Tat.Am nächsten Morgen waren wir etwas verkatert und sehr müde, doch nicht mehr völlig hoffnungslos. Der Hetmann stand bereits am Steg, sich seines Sieges mehr als sicher. Er wiederholte die Bedingungen. Wenn mein Schiff vor seinem den Steg erreichte, würde es mir gehören. Wenn er den Steg zuerst erreichte, würde ich nie mehr das Meer befahren. Erneut schlugen wir ein und stiegen auf die Drakkar. Ein Herferder gab das Signal und wir ruderten los. Es war nicht einfach und ich habe in meinem Leben noch nie so geschwitzt wie an diesem Tage. Natürlich war der Felsen, den es zu umsegeln galt, von Untiefen umgeben, die auf dem Hinweg ein schwieriges Hindernis waren, auf dem Rückweg bei hoher Geschwindigkeit jedoch kaum zu meistern, vor allem wenn man ein unerfahrener Stümper war, so wie ich. Wir fuhren also langsam, sehr langsam, um nicht in eine Untiefe zu geraten und ich schwöre euch, ich konnte den Hetmann lachen hören. Diesmal war ich es, der ihn lauthals verfluchte, doch das machte mein Schiff auch nicht schneller. Ich schritt an den Kopf des Drachen und versuchte so gut es geht zu navigieren. Noch bevor wir den Felsen umrundet hatten, flog der zweite Drakkar an uns vorbei. Die Geste, die der Hetmann in meine Richtung machte, will ich hier nicht wiederholen. Gerade als wir wieder Richtung Steg fuhren, hörten wir ein ohrenbetäubendes Krachen. Der Drakkar des Hetmanns war auf Grund gefahren und das nicht zu knapp. Ein großes Loch klaffte im Rumpf und nur die Untiefe verhinderte, dass das Schiff voll Wasser lief. Als wir nun wiederum an dem Leck geschlagenen Drakkar vorbei fuhren, erwiderte ich die Geste des Hetmanns, was ich hier aber auch nicht wiederholen werde. Er fluchte und schimpfte und im Vorbeifahren sahen wir, dass sämtliche Ruderkisten umgestürzt und mit schweren Steinen gefüllt waren. Der Drakkar lag somit tiefer im Wasser und der Hetmann, der sein Schiff eigentlich wie seinen Handrücken kannte, hatte sein eigenes Schiff versenkt. Oder zumindest zerstört. Und so kamen wir als erstes am Steg an. Der Hetmann tobte, schrie etwas von Betrug und Schummelei, doch die meisten waren sich einig, dass die einzige festgelegte Bedingung war, dass ich als erstes am Steg ankommen musste, um den Drakkar zu gewinnen. Unter welchen Umständen war nie besprochen worden. Somit hatte ich den Wettkampf gewonnen und man durfte mir nicht, wie vom Hetmann gefordert, den Kopf oder etwas ganz anderes abschneiden. Und so kam ich nicht nur in den Besitz des schönsten Drakkars in ganz Thorwal, sondern versenkte auch den zweiten Drakkar dieses Hurensohns.Die Jungspunde blickten Faenwulf voller Ehrfurcht an, während Karva ihm ein gutmütiges Lächeln schenkte. „Grandiose Geschichte“, lachte Blotgrimm und klatschte seine Hand lachend auf seinen Oberschenkel. „Die kannte ich auch noch nicht.“ Faenwulf verdrehte die Augen und lachte dann ebenfalls. Er holte vom Karren ein Flasche Waskirer und reichte sie herum. Vielleicht würde er wirklich irgendwann mal die wahre Geschichte erzählen, wie er und die Vegahögg zusammen gefunden hatten. Vielleicht. Kapitel 36
- Unser ist das Meer – Kapitel 9
Von einem erstickten Schrei und dem kehligen Knurren von Thurbold geweckt, fuhr Faenwulf aus dem Schlaf hoch. Sofort glitt seine Hand zu seiner Orknase. Er versuchte sich zu orientieren, etwas in der Dunkelheit zu erkennen, doch das Feuer war so weit herunter gebrannt, dass fast völlige Dunkelheit herrschte. Dann hörte er ein Grunzen, gefolgt von einem Röcheln und Gestalten, die im Dunkeln beinahe komplett verschwanden. „Schwarzpelze!“, brüllte Faenwulf und sprang auf, gefolgt von Blotgrimm und Karva, die ebenso schnell auf den Beinen waren. Mit einem Satz war Faenwulf bei Steinar, der zusammengesunken am Boden lag. Über ihm stand ein Ork, in eine zerfetzte Lederrüstung gehüllt und einen langen Dolch in der Hand. Faenwulf holte aus und grub die Klinge seiner Axt tief in den Torso des Orks. Dieser brüllte auf und brach dann wild um sich schlagend zusammen. Nun waren die anderen auch wach. Sie drängten sich um den Rest des Feuers, doch alle kämpften. Faenwulf fuhr herum und wich im letzten Moment einer gezackten Orkklinge aus. Er ließ seine Axt hervorschnellen und bohrte die Spitze in die Kehle des Orks. Blut schoss aus der Wunde, doch der Ork war noch nicht tödlich getroffen. Wieder holte er aus und wieder gelang es Faenwulf, dem diesmal nicht so präzisen Schlag auszuweichen. Diesmal schlug Faenwulf mit der Rückseite der Orknase zu und traf seinen Gegner an der ungeschützten Schläfe. Die beiden Dornen seiner Axt bohrten sich tief in den Schädel des Orks und dieser brach grunzend und zuckend zusammen. Faenwulf blickte auf. Neben ihm kämpfte Karva, die den langen Dorn ihrer Skraja tief im Schädel eines Orks versenkt hatte. Gleichzeitig blockte sie mit ihrem Schild einen weiteren Angriff ab und rammte ihrem Gegner dann den Schildrand ins Gesicht. Blitzschnell fuhr sie herum und fällte den Ork mit zwei schnellen Hieben ihrer Skraja. Dampfende Eingeweide ergossen sich über ihre Stiefel, doch sie blickte sich schon nach dem nächsten Gegner um. Blotgrimm brüllte im Kampfrausch auf und stürzte sich auf einen Schwarzpelz, der beinahe so groß war wie er selbst. Bewaffnet mit Schwert und Schild war der Ork flinker als Blotgrimm mit seiner riesigen Axt, doch Blotgrimm war ein erfahrener Kämpfer. Er deutete einen mächtigen Schlag an, schwang die Axt jedoch in einem Bogen und vergrub die Klinge im Bein des Orks, das durch den Schlag fast ganz abgetrennt wurde. Mit einem weiteren Schwung hakte er die Axt am Schild des Schwarzpelzes ein und zog ihn mit einem kräftigen Hieb zu sich. Der Ork fiel taumelnd vor Blotgrimm zu Boden, doch dieser packte ihn und begann sein Gesicht mit den Fäusten zu bearbeiten, die etlichen Zahnlücken in einem irren Grinsen entblößt. Nach dem vierten Schlag wandte Faenwulf den Blick ab und sah gerade noch wie Thurbold einen Schwarzpelz zu Fall brachte und ihm die Kehle zerfetzte. Faenwulfs Aufmerksamkeit zog sich auf die beiden Jüngsten und wie sie sich schlugen. Hjasgar wich seinem Gegner leichtfüßig aus und ging dann zum Angriff über. Mit einem gezielten Schildstoß brachte er den Gegner aus dem Gleichgewicht und fällte ihn dann mit einigen kräftigen Axthieben. Khemri rammte seinen Gegner direkt um. Riskant aber wirkungsvoll. Der Kampf war ebenso schnell zu Ende wie er begonnen hatte und Khemri schlug dem Ork die Holzfälleraxt mehrmals in den Körper. Sein Gegner blieb in seinem eigenen Blut liegen. Die letzten Schwarzpelze waren geflohen und nun mussten sie sehen, ob es Verletzte gab. Karva und Blotgrimm knieten vor Steinar, der röchelnd am Boden lag. Blotgrimm hatte seine Hand, die noch immer blutbefleckt war, auf Steinars Brustkorb gelegt und blickte ihn traurig an. Der grimmige Thorwaler lag in seinem eigenen Blut, die Kehle so tief aufgeschlitzt, dass kein Heilari diese Wunde hätte nähen können. Die riesige Blutlache schimmerte schwarz in dem schwachen Licht und allen war klar, dass Steinar sterben würde. „Kannst du das Weiß sehen?“, brummte Blotgrimm leise. „Das ist Swafnir.“ Er drückte Steinar seine Orknase in die Hand. „Kannst du schon das Feuer riechen? Das ist Swafnirs Halla. Du wirst deine Brüder, Väter und Mütter wiedersehen und ihr werdet gemeinsam an Swafnirs Seite streiten.“ Steinar blickte Blotgrimm an. Blut floss aus seinem Mund und das glückliche, blutverschmierte Lächeln, das er Blotgrimm schenkte, brachte Faenwulf eine Gänsehaut. Auch auf Blotgrimms mächtigen Armen breitete sich Gänsehaut aus, doch er blieb bei dem Thorwaler, bis er seinen letzten Atemzug getan hatte. Alle blickten Faenwulf an. Sie wussten nicht was sie jetzt tun sollten. „Wir werden Steinar morgen begraben“, sagte er entschieden. „Versucht zu schlafen. So schwer es auch sein mag. Morgen wird ein anstrengender Tag.“ Wortlos zogen sie sich in ihre Lager zurück und Faenwulf begann das Feuer neu zu entfachen. Er würde des Rest der Nacht Wache halten. An Schlaf war sowieso nicht zu denken, zu sehr spürte er noch den Wal in sich toben. Karva trat zu ihm und drückte kurz seine Schulter. Ihr Blick sagte mehr als tausend Worte. Du musst weiter machen. Lass dich von einem frühen Rückschlag nicht aufhalten. Faenwulf nickte, als hätte er sie verstanden und setzte sich dann ans Feuer. Er stand vor dem Morgengrauen nur einmal auf, um eine Decke über Steinars Körper zu legen. Die Schwarzpelze griffen kein zweites Mal an. Vermutlich war es ein herum streunendes Rudel gewesen, die sie für reisende Händler gehalten hatten. Dies war schließlich ein beliebter Weg für Händler von Olport nach Waskir. Bei Sonnenaufgang begann Faenwulf eine Grube auszuheben. Die, die von den Geräuschen geweckt wurden, halfen ihm und bald war das Loch groß genug, um Steinar darin zu begraben. „Wir werden ihn abholen“, versprach Faenwulf. „Sobald wir von unserer Herferd zurück sind, werden wir seine Gebeine holen und seiner Familie übergeben.“ Alle nickten zustimmend. Die toten Orks stapelten sie nahe des Wegs. Sollte ihr Clan sie holen kommen und wenn nicht, so dienten sie doch als Warnung für andere unvorsichtige Wanderer. Sie brachen wieder auf. Alle waren sehr schweigsam und Faenwulf konnte nicht aufhören zu denken. Schon in der Nacht hatte er ununterbrochen gegrübelt. War dies ein Zeichen? Sollte er sein Vorhaben abbrechen? Karva hatte direkt gesagt, dass er …